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Politik: Ruf nach Revolution

Die Opposition sucht noch eine Linie bei den Steuern. Für die Zukunft hat sie eine: den Radikalumbau des Systems

Von

DIE UNION UND DIE REFORMEN

Von Robert Birnbaum

und Albert Funk

Es war kurz vor zwölf in der Nacht zum Freitag, die Unionsspitze saß schon fünf Stunden beisammen, da wollte Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus es doch mal wissen: Wie denn nun die Union zum Vorziehen der Steuerreform stehe? Zusammen mit seinem Stuttgarter Kollegen Erwin Teufel hat er das Vorhaben der Bundesregierung im Grundsatz unterstützt. Noch immer will er eine teilweise Gegenfinanzierung durch Neuverschuldung nicht ausschließen. Althaus und Teufel betonen den psychologischen Effekt einer Steuersenkung.

Ein Beschluss kam in der Nacht aber nicht zu Stande: Kein Beschluss, abwarten, hieß die Parole. „Wir haben doch Zeit“, wiegelt Hessens Regierungschef Roland Koch ab. Koch war mit Blick auf seine angespannte Haushaltslage immer schon gegen die Steuerpläne der Regierung. Er sieht keinen großen konjunkturellen Effekt durch die einmalige Aktion, und das bisschen Psychologie? Wie Koch denkt auch der Niedersachse Christian Wulff. Sachsens Regierungschef Georg Milbradt will die Steuerschätzung vom November abwarten. „Das wird die Stunde der Wahrheit“, so Milbradt. Gut möglich, dass sich dann das Vorziehen der Steuerreform wegen Maastricht-Defizit und allgemeiner Haushaltsnotlage von selbst erledigt.

Eher bei Koch/Wulff als bei Teufel/Althaus bewegt sich derzeit Edmund Stoiber. Er hat vor der Bayern-Wahl das Vorziehen befürwortet, selbst neue Schulden für möglich gehalten. Inzwischen hat er viel Verständnis für die Nöte der Länderkollegen, deren Haushalte knapper sind als der bayerische. Seit Stoiber sich zum Skeptiker gewandelt hat, hat in der Union die Neigung zum generellen Nein zugenommen. „Stoiber will diese Steuerreform nicht mehr“, glaubt ein Teilnehmer der Donnerstagsrunde. Aber eine Entscheidung gibt es nicht. Also wartet die Union ab, pendelnd zwischen einem „Ja, aber“ und einem „Eher nein“, ob Rot-Grün sich bewegt.

Um nicht bewegungslos zu erscheinen, ja, um in die Vorhand zu kommen, haben sich die Unions-Strategen auf zwei Vorschläge verständigt. Teufel hat sie im Bundesrat vorgetragen. Einerseits fordert er eine Verfassungsänderung, womit die Regierung verpflichtet wird, spätere Mehreinnahmen verbindlich zur Verringerung der aktuellen Neuverschuldung einzusetzen. Das würde die Zustimmung zu höheren Schulden erleichtern. Und zweitens eine große Steuerreform. Die hat Teufel zur Bedingung gemacht, um eventuell bei Kürzungen von Steuervergünstigungen entgegenzukommen, wie sie Rot-Grün zur Gegenfinanzierung der Steuersenkung 2004 vorsieht. Stichwort: Pendlerpauschale und Eigenheimzulage. Verständige man sich auf eine solche große Reform, „dann, und nur dann, kann zur Gegenfinanzierung auch über den umfassenden Abbau von Steuervergünstigungen gesprochen werden“. Denn, so Teufel, würden die beiden Steuersubventionen jetzt abgeschafft, dann sei mangels Masse zur Gegenfinanzierung auch eine große Steuerreform für lange Zeit gestorben.

So ist ein neuer Kurs der Opposition erkennbar: Warum 2004 ein kleiner Schritt, wenn man 2005 mit einem großen das Steuersystem gründlich umbauen könnte? „Reformieren hilft nicht mehr angesichts der vielen steuerpolitischen Einzelbaustellen. Wir müssen Revolution machen“, meint Stuttgarts Bundesratsminister Rudolf Köberle. Die ersten Barrikaden sind erkennbar. Teufel hatte am Donnerstag eine Ministerpräsidenten-Runde zu Gast, darunter auch NRW-Regierungschef Peer Steinbrück (SPD). Sie ließ sich von Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof dessen radikale Steuerreform-Ideen erläutern. Am 6. Oktober will Fraktionsvize Friedrich Merz sein Konzept vorstellen, in das Kirchhofs Ideen eingeflossen sind. Und dann, so eine der Überlegungen im Unionslager, ist es fast egal, ob die Union im Dezember dem Vorziehen der Steuerreform zustimmt oder nicht – in jedem Fall will sie sich danach als die Partei präsentieren, die das Steuerproblem von Grund auf anzugehen verspricht.

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