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Sekt oder Selters? Helmut Holter, Spitzenkandidat der Linken.

© dpa

Ruhe vor dem Sturm: Die Linke plant mit ihrer Führung abzurechnen

Die Linke verordnet sich Zwangsruhe bis zur Berlin-Wahl – Parteiinterne Auseinandersetzungen drohen.

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Berlin - Als Gesine Lötzsch am Wahlabend davon schwärmte, dass die Linkspartei dann gut abschneide, wenn Bundes- und Landesebene gemeinsam um Erfolge ringen, rieb sich manch ein Genosse im Karl-Liebknecht-Haus verwundert die Augen. „Das ist doch eine Frechheit“, stöhnte einer. Erst relativierende Äußerungen zum Mauerbau, dann die Lobeshymnen zum 85. Geburtstag des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro – die linken Wahlkämpfer in Mecklenburg-Vorpommern hatten sich die Unterstützung durch die Bundespartei anders vorgestellt.

Und so zeigte sich der Linken-Spitzenkandidat Helmut Holter enttäuscht von dem Ergebnis, auch wenn seine Partei sich leicht verbessern konnte. „Wir wollten richtig zulangen, wir wollten mehr erreichen. Aber scheinbar war der Bundestrend nicht auf unserer Seite“, sagte er in Schwerin. Die Mauerbau-Debatte und innerparteilicher Streit hätten nicht unbedingt dazu beigetragen, deutlich zuzulegen, sagte Holter resigniert. Ein kleiner Trost für den bisherigen Linken-Fraktionschef, der zwischen 1998 und 2006 als Arbeitsminister in Schwerin Regierungserfahrung gesammelt hat: Rot-Rot ist möglich – mindestens rechnerisch. Schon vor der Wahl hatte Holter die SPD umgarnt. „Sozialdemokratische Positionen“ könne sie „nur mit der Linken“ umsetzen, sagte er, die Linke stehe vor einem „Befreiungsauftrag“ und müsse die SPD aus den Fesseln der CDU lösen.

Zunächst aber hielt SPD-Wahlsieger Erwin Sellering die Linkspartei-Genossen hin. Und die wiederum spielen in eigener Sache auf Zeit: Vor der Berlin-Wahl in zwei Wochen soll die seit Monaten schwelende Auseinandersetzung um das glücklose Spitzen-Duo mit Lötzsch und Klaus Ernst nicht zusätzlich angeheizt werden. Für Berlin sagen die Demoskopen deutliche Stimmenverluste der Linken voraus, die Fortsetzung von Rot-Rot steht auf der Kippe. Doch auch ohne Wahldebakel in Berlin: Zur Abrechnung mit der Spitze sind viele Genossen fest entschlossen. Eigentlich läuft deren Amtszeit bis Juni 2012. Bisher halten sie sich sogar eine neue Kandidatur offen.

Lesen Sie auf Seite zwei: Warum der Spitzenkandidat der Linken, Helmut Holter, mit Kleingartenkolonien sympathisiert.

Offen sind die Details des Putsches: Wer wird sich tatsächlich der geplanten Mitgliederbefragung stellen? Kehrt der frühere Vorsitzende Oskar Lafontaine aus Sorge um seine Partei doch zurück? Wird die Personaldiskussion den Erfurter Parteitag im Oktober dominieren, auf dem eigentlich das neue Grundsatzprogramm verabschiedet werden soll? Dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, ist fast allen klar – ausgenommen womöglich nur Gesine Lötzsch selbst, der selbst hohe Kader inzwischen vorwerfen, sie sei „beratungsresistent“.

Ob Fraktionschef Gregor Gysi noch über die notwendige Autorität verfügt, um den Führungswechsel zu organisieren, ist dann schon die nächste Frage. Vertreter des Reformerflügels hatten dem linken Lager zuletzt vorgeworfen, an Gysis Demontage zu arbeiten. Zudem gibt es Zweifel, ob Gysi und Lafontaine noch so abgestimmt agieren, wie das zu ihrer gemeinsamen Zeit an der Fraktionsspitze der Fall war. Am Wochenende irritierte Lafontaine Parteifreunde mit einem längeren Interview für die linksextremistische „Junge Welt“, in dem er gegen die SPD polemisierte, die in der Regierung die Dinge unterlasse, die sie in der Opposition fordere. Die Zeitung druckte das Gespräch unter der Überschrift „SPD ist eine Spaßpartei“. Lafontaine hofierte ausgerechnet also jenes Blatt, zu dem Gysi nach der Danksagung für 28 Jahre Mauerbau mit einem Anzeigenboykott auf Abstand gehen wollte. In der Bundes-SPD dürfte eine drohende Rückkehr von Lafontaine die Bereitschaft zur Kooperation mit den Linken weiter dämpfen. Generalsekretärin Andrea Nahles meint ohnehin, Castro und Mauerbau hätten die Chancen für rot-rote Koalitionen nicht erhöht.

Lötzsch derweil offenbarte in ihrem Internet-Tagebuch ganz andere Sehnsüchte. Nach dem Wahlkampfbesuch der Kleingartenanlage „Ehm Welk“ in Rostock lobte sie Kleingärtner-Werte wie Toleranz, Zusammenhalt, Solidarität und friedliches Miteinander. Diese Tugenden seien „beispielgebend für die gesamte Gesellschaft, vor allem in einer Welt, in der immer mehr Kriege geführt“ würden. Vielleicht hat sie dabei auch an die drohenden Auseinandersetzungen in ihrer Partei gedacht.

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