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Politik: Russisch Amerika

Von Christoph von Marschall

Die USA sind das „Land der Freien“, verspricht die Nationalhymne. Doch was ist aus den Freiheitsrechten seiner Bürger geworden? Und was aus der Verteidigung der Grundrechte aller Menschen, auch der Nichtamerikaner, für die dieses Land einst stand? Das Telefongeheimnis gilt nicht mehr – und die Bush-Regierung sagt: ganz legal. Weltweit macht sie Jagd auf potenzielle Feinde Amerikas und lässt sie in Gefängnissen verschwinden, ohne Gerichtsverfahren, ohne Zugang zu Anwälten. Und ohne Respekt vor internationalen Normen wie der Genfer Konvention. „Habeas corpus“, das Rechtsstaatsprinzip, wonach jeder Mensch Anspruch auf seinen gesetzlichen Richter hat und niemand willkürlich seiner Freiheit beraubt werden darf, hat Bush suspendiert. Wieder heißt es, das sei rechtlich in Ordnung. Nun kommt heraus, auch das Bankgeheimnis gilt nicht mehr. Tausende Überweisungsdaten wurden heimlich überprüft, ohne richterliche Genehmigung. Natürlich, auch das ist angeblich juristisch einwandfrei gelaufen.

Gewiss, wir leben in Zeiten des Terrors. Man darf diskutieren, welche Maßnahmen gerechtfertigt sind, um Attentätern und ihren Geldquellen auf die Spur zu kommen. Doch eine Gesellschaft und ein Rechtsstaat können das nur abwägen, wenn sie davon wissen. Bush betreibt Geheimniskrämerei. Wenn Medien ihn ertappen, empört er sich: Die Veröffentlichung sei der Skandal, sie helfe den Terroristen. Und beruft sich auf seine Sondervollmachten als oberster Kriegsherr. Oder, wie bei der Abschöpfung der Bankdaten, auf ein Dekret von 1971, das es ihm erlaubt, ökonomische Sanktionen zu verhängen, um Gefahren abzuwehren.

Regieren mit Sondervollmachten oder Dekreten, unter Ausschaltung der Kontrolle durch Parlament, Gerichte und Öffentlichkeit – das passt nicht zu Demokratie und Rechtsstaat. Das sind Methoden autoritärer Regime. Wird Bushs Amerika zu Russisch Amerika?

Vom Wahlvolk ist keine Rettung zu erwarten. Das Abhörprogramm mögen Juristen für bedenklich halten, eine stabile Mehrheit in den Umfragen hat nichts dagegen. Als die Banküberwachung jetzt ans Licht kam, richtete sich der erste Zorn der Anrufer in den politischen Talkshows nicht gegen Bush, sondern gegen die „New York Times“. Sie übernehmen die Behauptung des Weißen Hauses, die Veröffentlichung bedrohe Amerikas Sicherheit. Von Guantanamo sind die US- Bürger auch nicht persönlich betroffen. Die Vorgänge sind ein warnendes Beispiel, wie leicht eine Regierung Regeln außer Kraft setzen kann, wenn die Gesellschaft sich bedroht fühlt.

Keine Rettung, nirgendwo? Doch. Parlament, Gerichte und Medien holen sich langsam die Kontrollrechte zurück, die sie nach den Anschlägen 2001 vorschnell preisgegeben haben. Was wir über die Verschleppung Terrorverdächtiger, CIA-Flüge, Folterskandale wissen, haben US-Medien aufgedeckt – auch die mögliche Komplizenschaft europäischer Dienste und Regierungen. Wenn die Banküberwachung ein Skandal ist, dann spielt er vor allem in Europa. Europäische Banken haben die Praxis genehmigt und überwacht. Wo sind hier die „checks and balances“? Bushs Rechtsvergessenheit ist die Ursache des Problems. Aber die Medien erfüllen ihre Wächterrolle. Amerikas Demokratie wehrt sich. Es ist mühsam, verlorene Freiheit zurückzuerobern. Und es geht unerträglich langsam.

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