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Prorussische Separatisten verprügeln in der Ostukraine einen Anhänger der Regierung in Kiew.

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Update

Ukraine-Krise: Russland hat Truppen noch nicht zurückgezogen

Die Lage in der Ostukraine bleibt angespannt: Die Nato wartet auf den versprochenen Rückzug Russlands, die prorussischen Aktivisten stellen Bedingungen zur Freilassung der OSZE-Beobachter.

+++Russland hat Truppen noch nicht zurückgezogen+++

Der angekündigte russische Truppenabzug von der Grenze zur Ukraine lässt auf sich warten. Der Nato liegen bislang keine Hinweise dafür vor. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte während eines Telefonats mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel gesagt, die Truppen seien abgezogen worden. Grund dafür sei die Beteuerung aus Kiew gewesen, die ukrainische Armee „nicht gegen unbewaffnete Zivilisten“ im Osten des Landes einzusetzen. Ein Nato-Diplomat sagte jedoch der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag, derzeit gebe es keine Informationen, „die auf einen Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze hindeuten“. Das Bündnis fordere Russland „weiterhin auf, gemäß der Vereinbarung von Genf zugunsten von Diplomatie und Dialog alle Truppen entlang der ukrainischen Grenze abzuziehen“. Die Nato hatte am 10. April Satellitenbilder aus dem Grenzgebiet veröffentlicht und von 35.000 bis 40.000 dort stationierten russischen Soldaten gesprochen.

+++Verletzter Bürgermeister von Charkiw nach Israel gebracht+++

Der durch Schüsse schwer verletzte Bürgermeister der ostukrainischen Stadt Charkiw, Gennadi Kernes, ist zur medizinischen Behandlung nach Israel gebracht worden. Israelische Ärzte hätten Kernes für transportfähig erklärt, woraufhin er am frühen Dienstag ausgeflogen worden sei, teilte die Stadtverwaltung mit. Demnach wird der Politiker in einer Privatklinik in der Hafenstadt Haifa behandelt. Diese teilte mit, die bisherige Behandlung schlage an, weitere Operationen seien voraussichtlich nicht nötig. Kernes ist in seiner Heimat eine schillernde Persönlichkeit mit dem Ruf eines Kriminellen. Unter anderem geht es dabei um Diebstahl und Betrug, aber auch um Entführungs- und Foltervorwürfe. Kernes unterstützte bis zuletzt den im Februar gestürzten prorussischen Staatschef der Ukraine, Viktor Janukowitsch. Die Übergangsregierung in der Hauptstadt Kiew erkennt er nicht an. Allerdings strebt er auch keine Angliederung der östlichen Ukraine an Russland an, sondern wirbt für die Einheit des Landes. Er war am Montag von Schüssen in den Rücken getroffen und schwer verletzt worden. Laut der Stadtverwaltung verübten Unbekannte das „Attentat“.

+++Aktivist: Beobachter kommen nur bei Rücknahme von EU-Sanktionen frei+++

Wegen der EU-Sanktionen gegen führende prorussische Aktivisten in der Ostukraine drohen die Separatisten, festgesetzte Militärbeobachter auch aus Deutschland nicht freizulassen. „Wir kehren erst zu einem Dialog über den Status der Kriegsgefangenen zurück, wenn die EU diese Zwangsmaßnahmen zurücknimmt“, sagte der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, am Dienstag der Agentur Interfax. Die Aktivisten halten seit Tagen mehrere Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gefangen, darunter vier Deutsche. „Falls sie die Sanktionen nicht ändern, werden wir ihnen alle Zugänge versperren, und sie kommen nicht zu uns durch“, betonte Ponomarjow. „Daran werde ich auch meine Gäste von der OSZE erinnern. Und ich denke, die EU wird die Sanktionen zurücknehmen“, sagte er.

+++EU-Sanktionen treffen russische Spitzenpolitiker und Aufständische+++

Die neuen Einreiseverbote und Kontensperrungen der EU gegen Russland treffen eine Reihe russischer Spitzenpolitiker sowie maßgebliche Vertreter der prorussischen Aufständischen im Osten der Ukraine. Dies geht aus der am Dienstag im Amtsblatt der EU veröffentlichten Namensliste hervor. Die Liste wird angeführt vom russischen Vize-Ministerpräsidenten Dmitri Kosak. Auf ihr befinden sich auch der Chef des russischen Militärgeheimdienstes, Igor Sergun, Generalstabschef Waleri Gerassimow und der russische Krim-Minister Oleg Saweljow. Zu den genannten Rebellenführern aus dem Osten der Ukraine gehören Igor Strelkow, der an Zwischenfällen in Slawjansk beteiligt war, sowie der Leiter der „Republik Donezk“, Andrej Purgin. Nicht auf der Liste steht aber der selbsternannte Bürgermeister von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, der für die Gefangennahme eines OSZE-Teams verantwortlich gemacht wird. Anders als die USA belegt die EU zudem keine russischen Geschäftsleute mit Sanktionen.

+++Auch Japan verschärft Sanktionen gegen Russland wegen Ukraine-Krise+++

Nach der Europäischen Union und den USA hat auch Japan seine Sanktionen gegen Russland wegen des Konflikts in der Ukraine verschärft. Wie das Außenministerium in Tokio am Dienstag mitteilte, wurden Visa-Sperren gegen 23 Russen verhängt, die verdächtigt werden, „die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu verletzen“. Die Namen der Betroffenen wurden nicht genannt. Japanischen Medienberichten zufolge stehen auch einige russische Regierungsvertreter auf der Sanktionsliste. Japan hatte bereits im März erste Sanktionen gegen Russland verhängt. Verhandlungen über Visa-Erleichterungen wurden ausgesetzt und Gespräche über ein neues Investitionsabkommen abgesagt. Am Montag hatten die USA und die EU ihre Sanktionen gegen Russland verschärft.

+++Moskau und Washington sprechen zumindest miteinander+++

Besonders im Osten der Ukraine bleibt die Lage auch am Dienstag prekär: Nach wie vor halten die prorussischen Milizen in Slawjansk mehrere Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gefangen, darunter vier Deutsch. Am Montagabend war es erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen Separatisten und Regierungstruppen gekommen. Wegen der Krise telefonierte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Montag mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel. Schoigu habe Hagel erklärt, dass Russland zur Abhaltung großangelegter Militärübungen an der Grenze zur Ukraine „gezwungen“ gewesen sei, weil eine ukrainische Militäraktion gegen Zivilisten gedroht habe. Da die ukrainischen Behörden aber erklärt hätten, ihre regulären Streitkräfte nicht gegen die unbewaffnete Bevölkerung einzusetzen, seien die Truppen in die Kasernen zurückgekehrt, hieß es in der Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums. Washington erklärte zu dem Telefonat, Schoigu habe Hagel versichert, dass die russischen Streitkräfte die Ukraine nicht angreifen würden. Zugleich habe Schoigu von Washington gefordert, einen weniger scharfen Ton in der Debatte zu wählen, erklärte das Pentagon. Der US-Minister habe die Lage im Grenzgebiet zudem als weiterhin „gefährlich“ bezeichnet und Russland aufgefordert, seinen „destabilisierenden Einfluss“ in dem Nachbarland zu beenden.

+++Bundesregierung: Schwerste Krise in Europa seit Ende des Kalten Krieges+++

Im Fall einer Verschärfung des Konflikts mit der Ukraine will die Bundesregierung Wirtschaftssanktionen gegen Russland mittragen. Zwar wünsche niemand, „dass es zu solchen Maßnahmen kommt“, hieß es in einer am Montagabend veröffentlichten Erklärung der Fraktionsspitzen. Die Koalition wäre jedoch „dazu bereit und entschlossen, falls sie unumgänglich werden“. Das bei der Klausurtagung von Union und SPD in Königswinter bei Bonn angenommene Papier zur Außenpolitik nimmt Bezug auf einen dreistufigen Sanktionsplan der EU, der in letzter Konsequenz Wirtschaftssanktionen vorsieht, sollte Russland die Ukraine weiter destabilisieren. Die Entscheidung muss aber von allen 28 EU-Staaten getroffen werden. Wegen der mit solchen Sanktionen verbundenen Folgen für die Wirtschaft in der EU gibt es dagegen aber Vorbehalte und auch in der Koalition war die Haltung zuletzt noch uneinheitlich gewesen.

Der selbsternannte Bürgermeister von Slawjansk, Ponomarjow, mit zwei der festgesetzten OSZE-Militräbeobachter.
Der selbsternannte Bürgermeister von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow (rechts), mit zwei der von den Separatisten festgesetzten OSZE-Militärbeobachtern, darunter der deutsche Oberst Axel Schneider (links), der das Beobachterteam leitet.

© dpa

Den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bezeichnete die Regierungskoalition als die „schwerste Krise in Europa seit dem Ende des Kalten Kriegs“. Daher unterstütze sie die „Entschlossenheit“ der EU, mit dem abgestuften Sanktionsverfahren Russland von einer „weiteren Eskalation der Lage abzuhalten“.

+++Neue Sanktionen treffen auch russischen Vizeregierungschef+++

Die EU und die USA haben ihre Drohungen wahr gemacht: Aus Verärgerung über das Vorgehen Russlands in der Ukraine-Krise verhängten Brüssel und Washington am Montag neue Sanktionen gegen russische Regierungsmitglieder, Unternehmen und Manager. Die Moskauer Regierung bezeichnete die US-Schritte als „abscheulich“. Kurz vor der Verkündung der neuen Sanktionen sagte US-Präsident Barack Obama bei einem Besuch auf den Philippinen, diese sollten Putin dazu bewegen, „nicht nur darüber zu sprechen, die Krise in der Ukraine diplomatisch zu lösen, sondern das auch zu tun“.

Prominente Namen auf der US-Liste sind etwa Vizeregierungschef Dmitri Kosak und der Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, Igor Setschin. Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow sprach nach Angaben der Agentur Interfax von einem „Realitätsverlust“ der USA. Der Sanktionstext verkenne vollständig die Vorgänge in der Ukraine. Der Minister kündigte Gegenmaßnahmen an. Der ukrainische Übergangsministerpräsident Arseni Jazenjuk hofft indes auf eine Reaktion Russlands auf die neuen Sanktionen. Nur, wenn die internationale Gemeinschaft gemeinsam handle, könne Moskau dazu gebracht werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und internationale Gesetze zu achten. „Das ist unsere einzige Chance. Die einzige Chance für mein Land und meine Regierung zu überleben“, sagte Jazenjuk im Interview der Deutschen Welle. Die USA stimmten sich in der Sanktionsfrage mit den Europäern ab. Die Regierungen der 28 EU-Staaten beschlossen am Montag Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen 15 Personen, wie der EU-Ministerrat in Brüssel mitteilte. Damit wächst die Gesamtzahl der von solchen EU-Maßnahmen betroffenen Russen und prorussischen Ukrainer auf 48.

+++EU will am Dienstag neue Sanktionsliste veröffentlichen+++

Auch die Europäische Union beriet in Brüssel über weitere Strafmaßnahmen wegen der russischen Politik in der Ukraine-Krise. Die Sanktionsliste werde um 15 Namen erweitert, hieß es am Montag in Brüssel. Darauf einigten sich die EU-Botschafter der 28 Mitgliedstaaten angesichts der mangelnden „Deeskalation“ der Lage in der Ukraine. Im März hatte die EU bereits Konten- und Visasperren gegen 33 Personen aus Russland und von der Krim verhängt. Die Wirkung dieser Sanktionen gilt jedoch als vergleichsweise gering, in Deutschland wurde kein einziges Konto gesperrt. Die Namen der 15 Personen auf der neuen Sanktionsliste der EU sollen allerdings erst am Dienstag veröffentlicht werden.

+++Keine rasche Freilassung der Militärbeobachter in Sicht+++

Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine planen nach eigenen Aussagen keine schnelle Freilassung der festgesetzten OSZE-Militärbeobachter, darunter auch vier Deutsche. Zunächst seien „weitere Gespräche“ nötig, sagte der selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, am Montag dem russischen Staatsfernsehen. Die bewaffneten Aktivisten werfen den seit Freitag gefangenen Männern „Spionage für die Nato“ vor und erwägen einen Austausch mit inhaftierten Gesinnungsgenossen. Die Beobachter sind gemäß dem Wiener Dokument der OSZE, dem alle Mitgliedstaaten zugestimmt hatten, in der Ukraine unterwegs. Die Nato hat mit der Mission nichts zu tun.

Die Bundesregierung forderte die sofortige Freilassung des Teams von Militärbeobachtern. Die Männer würden „gegen jedes Recht und ohne jeden Grund gefangen gehalten“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Die Bundesregierung verurteilt diese Geiselnahme auf das Schärfste.“ Den selbst ernannten Bürgermeister von Slawjansk forderte er auf, das gesamte Team „unverzüglich, bedingungslos und unversehrt“ freizulassen. An Russland appellierte Seibert, sich „ganz klar“ von solchen Taten zu distanzieren.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Hans-Peter Bartels (SPD), wies den Vorwurf prorussischer Separatisten in der Ukraine zurück , die gefangen gehaltenen OSZE-Inspekteure seien Nato-Spione. Eine solche Unterstellung erinnere ihn an alte "stalinistische Rhetorik", sagte Bartels dem Tagesspiegel. Der SPD-Politiker verteidigte ausdrücklich den Einsatz der Inspekteure. Internationale Präsenz in der Ostukraine zu zeigen sei eine "richtige Maßnahme der Vertrauensbildung".

Die Übergangsregierung in Kiew hat einen Gefangenenaustausch bisher abgelehnt. Am Sonntagabend hatten die Protestführer in Slawjansk einen Schweden freigelassen, der unter Diabetes leidet.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nannte die öffentliche Zurschaustellung der Militärbeobachter "abstoßend". Dies verletze "in eklatanter Weise die Würde der Betroffenen". Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte angesichts der Geisel-Krise einen geplanten Truppenbesuch im Kosovo ab.

+++Bürgermeister von Charkiw bei Anschlag schwer verletzt+++

In der krisengeschüttelten Ostukraine ist der Bürgermeister der Millionenstadt Charkow bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt worden. Gennadi Kernes sei in den Rücken geschossen worden, teilte Sprecherin Tatjana Grusinskaja am Montag örtlichen Behörden zufolge mit. Der Politiker sei in ein Krankenhaus gebracht worden, die Ärzte würden notoperieren.

+++Separatisten besetzen weiteres Rathaus im Osten der Ukraine+++

Prorussische Milizen weiten unterdessen ihre Besetzungen von Regierungs- und Verwaltungsgebäuden in der Ostukraine aus. Rund 20 Bewaffnete besetzten am Montag das Rathaus der 80.000-Einwohnerstadt Kostjantyniwka im Gebiet Donezk, wie ein AFP-Journalist berichtete. Die Angreifer trugen Uniformen ohne Hoheitszeichen, hissten die Fahne der jüngst ausgerufenen „Republik Donezk“ und errichteten Barrikaden.

In anderen Städten der krisengeschüttelten Ostukraine riefen prorussische Separatisten erneut zu Abstimmungen über mehr Autonomie für russischsprachige Regionen auf. Trotz massiver Kritik werde ein solches Referendum am 11. Mai in Donezk stattfinden, kündigten Aktivisten im besetzten Haus der Regionalregierung an. Auch in Lugansk stürmten Separatisten ein Verwaltungsgebäude, stellten Forderungen an die Zentralregierung und riefen eine eigene "Volksrepublik" aus. (Tsp/dpa/AFP)

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