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Russland: Kremlkandidat wird in Sotschi Bürgermeister

Stolze 77 Prozent heimste Anatoli Pachomow am Sonntag bei den Bürgermeisterwahlen in der russischen Olympiastadt Sotschi ein. Den Einwohnern kommen Zweifel an dem Abstimmungsergebnis.

Moskau - Obwohl hunderte Einwohner bei Spontanumfragen eines kritischen Radiosenders zu Protokoll gaben, sie hätten nicht für Anatoli Pachomow gestimmt und würden niemand kennen, der ihn gewählt habe. Überrascht waren sie über den Ausgang der Abstimmung dennoch nicht.

Pachomow, der das Amt vor sechs Monaten kommissarisch übernommen hatte, war für die Putin-Partei Einiges Russland ins Rennen gegangen, und die hatte nach Angaben von Kritikern in geballter Form das eingesetzt, was hierzulande „administrative Ressource“ heißt: massive Behinderungen und Verleumdungen von Gegenkandidaten sowie Taschenspielertricks zur Manipulation des Ergebnisses. In der Millionenstadt am Schwarzen Meer sollen 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden. Sie sind das Lieblingsprojekt von Ministerpräsident Wladimir Putin. Vorbereitung und Durchführung sollen daher von einem hundertprozentig loyalen Politiker kontrolliert werden, der das Vorhaben notfalls auch gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzieht.

Denn die murrte, schon lange bevor Boris Nemzow, der Kandidat der demokratischen Opposition, ein unabhängiges Gutachten vorlegte, aus dem hervorgeht, dass Sotschi mit der Ausrichtung der Spiele hoffnungslos überfordert ist. Nemzow gehört wie Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow zur Führung von Solidarnost, einem Bündnis, das Liberale und Bürgerbewegte im November 2008 gegründet haben. Nemzow fordert, Russland müsse Teile der Wettkämpfe in anderen Städten austragen oder die Spiele gänzlich zurückgeben. Jene 40 Prozent der Wahlberechtigten in Sotschi, die in baufälligen Wohnungen hausen, sahen das ähnlich und wollten zudem wissen, ob von den umgerechnet zwölf Milliarden Euro, die das Vorhaben nach gegenwärtiger Planung kostet, zumindest ein paar Brosamen für sie abfallen.

Wären Wahlkampf und Abstimmung fair verlaufen, so Nemzow am Montag bei Radio „Echo Moskwy“, hätte er nicht 14, sondern 40 Prozent bekommen und Kremlkandidaten Pachomow womöglich sogar eine Stichwahl aufzwingen können. Dieser hatte sich nicht nur das Monopol bei den TV-Sendern im örtlichen Kabel gesichert, die Nemzow und dessen kommunistischen Mitbewerber ignorierten. Beamte und Angestellte staatlicher Behörden wurden auch mitten am Tag von der Arbeit freigestellt, um die Säle, in denen Pachomow sein Programm verkündete, zu füllen. Unmittelbar danach durften sie bereits dort ihre Stimme vorfristig abgeben – was erfahrungsgemäß besonders große Freiräume für einen kreativen Umgang mit dem Wählerwillen schafft. Fast zwölf Prozent aller Stimmberechtigten – siebenmal mehr als bei den Parlamentswahlen im Dezember 2007 – machten davon Gebrauch.

Noch mehr Aufsehen erregte aber, dass Einwohner von Georgiens abtrünniger Region Abchasien, die an Sotschi grenzt, ebenfalls abstimmen durften, wenn sie einen russischen Pass haben. Gegenwärtig sind das bereits über 80 Prozent. Elke Windisch

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