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„Ausdrücklich nicht gegen Russland“. 2008 testeten die USA diese Abwehrrakete in Kalifornien. Dass die Nato jetzt bescheiden aufrüstet, hat einen Grund: Iran.

© picture alliance / dpa

Russland und die Nato: Logik der Kraftproben

Moskau protestiert gegen die Nato-Raketenabwehr und droht mit Gegenmaßnahmen, beeindruckt das Militärbündnis damit aber nur wenig. Denn das bescheidene Aufrüsten der Nato hat einen Grund: Iran.

Von Robert Birnbaum

Der Nato-Generalsekretär wirbt für Zusammenarbeit, die Kanzlerin wirbt um Vertrauen. Aber weder Anders Fogh Rasmussen noch Angela Merkel wirken am Freitag nach ihrem Treffen in Berlin sonderlich beeindruckt von den jüngsten russischen Drohungen gegen die geplante Nato-Raketenabwehr. Dass der russische Generalstabschef Nikolai Makarow am Vortag einen Präventivschlag gegen das Nato-System angedroht hat, beantwortet Rasmussen mit dem kühlen Satz: „Ich glaube, dass diese Äußerungen ungerechtfertigt sind.“ Merkel merkt nicht minder kühl an: „Wir haben Beschlüsse gefasst.“ Das Programm sei sinnvoll und nützlich – und außerdem „ausdrücklich nicht gegen Russland gerichtet“.

Tatsächlich fällt Makarows Drohung, ausgestoßen auf einer gemeinsamen Fachkonferenz von Nato und Russland eben über die Raketenabwehr in Moskau, nach Einschätzung westlicher Fachleute in die Rubrik „Theaterdonner“. Es wäre nicht das erste Mal. Seit die Nato über einen Schutzschild gegen ballistische Raketen nachdenkt, droht Russland mit Gegenmaßnahmen. Die Führung in Moskau hat mehrfach die Stationierung von Kurzstreckenraketen des Typs „Iskander“ auf dem Gebiet von Kaliningrad angekündigt, abgeblasen und erneut angekündigt. Die Iskander-Raketen sind modernstes Gerät und könnten jene Radarstellung zerstören, die als ein Herzstück der Nato-Abwehr in Polen stehen soll.

Allerdings: Dieses Großradar soll 2018 in Betrieb gehen, eine ähnliche Anlage in Rumänien 2015. Makarows Warnung vor dem Präventivschlag ist also selbst präventiv. Merkel sagt denn auch, man habe noch „viel Zeit“, um bei den Russen weiter um Vertrauen zu werben.

Auf den Nato-Gipfel in zwei Wochen in Chicago hat die aktuelle Verhärtung des Tonfalls keine konkreten Auswirkungen. Dort soll zwar die erste Stufe der Nato- Abwehr in Kraft gesetzt werden. Aber selbst Russland behauptet nicht, dass davon jene Gefahr ausgeht, die Politiker und Militärs in Moskau an die Wand malen – dass sich das westliche Bündnis unverwundbar macht und damit die Logik der Abschreckung außer Kraft setzt, die noch den Nachfolgern der Sowjetunion militärischen Weltmachtstatus sichert. Denn was da in Chicago auf den Weg gebracht ist, läuft bei der Nato unter „begrenzte Abwehrfähigkeit gegen eine kleine Zahl technisch wenig anspruchsvoller Raketen“. Zu Deutsch: Zu dem US-Raketenkreuzer, der seit etwa einem Jahr im Mittelmeer kreuzt, kommen noch ein oder zwei weitere dazu; außerdem nimmt das Abwehrzentrum in Ramstein in der Pfalz die Arbeit auf, und eine Reihe von Frühwarnsatelliten und -radarstationen wird zusammengeschaltet.

Dass die Nato diese erste bescheidene Stufe jetzt umsetzt, hat einen schlichten Grund: Iran. Sollten die Machthaber in Teheran demnächst imstande sein, mit Raketenattacken auf Nato-Gebiet zu drohen, stellen die „Aegis“-Raketen an Bord der US-Schiffe einen hinreichend effektiven Schirm dar. Russische Attacken Richtung Mitteleuropa lassen sich damit aber nicht neutralisieren – die Abfangraketen kämen, selbst wenn ihre Reichweite groß genug wäre, schlicht zu spät.

Aber der russischen Führung geht es nach Einschätzungen im westlichen Bündnis ohnehin nicht um technische Details, sondern ums Prinzip. Weder reicht Russland die von der Nato angebotene enge Verzahnung des westlichen mit einem noch aufzubauenden russischen Abwehrsystem – die Russen wollen ein einziges System und dabei volle Mitsprache. Ihnen reicht auch nicht eine politische Erklärung, dass sich das Nato-System nicht gegen Russland richte – sie verlangen eine Art formellen Nichtangriffspakt. Dass sich vor allem die USA auf beides nicht einlassen, nährt in Moskau die Sorge, dass die Amerikaner auf die Dauer weiter gesteckte Ziele verfolgen als nur einen Schirm über dem alten Kontinent. „Die Russen sehen die ganze Welt, nicht nur Europa“, sagt ein Nato-Experte. „Die Paranoia ist echt.“

Zum ganzen Bild gehört freilich auch, dass die Russen erst im März in Ottobrunn bei München an einer Raketenabwehrübung teilnahmen. Russische und Nato-Offiziere saßen erst getrennt, zuletzt sogar gemeinsam vor der Computersimulation. Die größten Probleme gab es dabei nicht mit den Gästen aus Moskau, sondern im Bündnis selbst. Weil die Türkei sich als nahöstliche Brückenmacht profilieren will, darf selbst ein simulierter Angreifer nicht „Iran“ heißen. Man einigte sich schließlich auf ein Kriegsspiel-Szenario, in dem irgendwelche „Länder“ aus Südosten die Bösen waren.

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