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Russland: Wink mit der Rakete

Russland setzt ein Zeichen, das sich auch als Wunsch nach neuen Abrüstungsgesprächen deuten lässt.

Westeuropäische Beobachter fühlten sich bei Dmitri Medwedews Drohungen, erneut taktische Kurzstreckenraketen an Russlands Westgrenzen zu stationieren, an Blockkonfrontation und Kalten Krieg erinnert. Der eigentliche Adressat indes war der gerade gewählte Präsident der USA und die Drohung auch ein Signal, dass Moskau dringenden Gesprächsbedarf bei der Abrüstung sieht – und zwar bei konventioneller wie bei nuklearer.

Alexej Arbatow, der das Zentrum für internationale Sicherheit beim Institut für Weltwirtschaft der russischen Akademie der Wissenschaften leitet und als einer der profundesten USA-Kenner und Abrüstungsexperten gilt, warnte daher lange vor den Wahlen am Dienstag, Moskau müsse gleich nach Barack Obamas Amtseinführung Ende Januar auf Tempo bei Verhandlungen zu einem Folgevertrag für die Start-1-Abkommen zur Begrenzung strategischer Rüstung drängen. Andernfalls drohe „ein rechtliches Vakuum auf dem wichtigsten Gebiet der militärisch-politischen Sicherheit“, wie es vor 40 Jahren bestand.

Kein neues Abrüstungsabkommen zwischen Russland und den USA seit 15 Jahren

Handlungsbedarf besteht in der Tat: Der 1991 ausgehandelte und 1994 in Kraft getretene Start-1-Vertrag, der beiden Seiten je 6000 Kernsprengköpfe und 1600 Trägerraketen erlaubt, läuft im Dezember 2009 aus. Und mit ihm ein raffiniertes Kontrollsystem, mit dem die jeweils andere Seite sich präzise über Qualität und Quantität des gegnerischen Potenzials informieren kann. Verhandlungen über Folgeabkommen aber stecken seit Jahren in einer Sackgasse. Start 2 wurde zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert und bei Start 3 kamen beide Seiten über Absichtserklärungen nicht hinaus.

Das aber ist nur die Spitze des Eisbergs. Dass Washington aus dem 1972 abgeschlossenen ABM-Vertrag ausgestiegen ist, der die Anzahl der Raketenabwehrstellungen für Moskau wie für Washington begrenzt und Russland als Antwort auf die Stationierungspläne der Bush-Regierung für Polen und Tschechien jetzt seine Westflanke ebenfalls aufrüstet, ist dabei noch ein vergleichsweise geringes Übel. Sehr viel bedenklicher ist, dass Kreml und Weißes Haus in den letzten 15 Jahren kein einziges neues Abrüstungsabkommen unter Dach und Fach brachten.

Stärkeres Misstrauen zwischen Moskau und Washington als vor 17 Jahren

Verhandlungen für ein Abkommen zum Verbot der Herstellung spaltbaren Materials zu militärischen Zwecken haben sich festgefahren, der Vertrag zum Verbot von Kernwaffentests aus dem Jahre 1996 wurde nicht ratifiziert. Das und die unklare Zukunft der Start-Verhandlungen, so fürchten russische Experten, werden sich auch extrem negativ auf die Einhaltung des Kernwaffensperrvertrags auswirken. Denn Artikel VI der Konvention über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen verpflichtet Russland und die USA zur Fortsetzung einschlägiger Verhandlungen. Kommen sie dem nicht nach, könnten andere Signatarstaaten bereits auf der für 2010 geplanten Folgekonferenz alle Maßnahmen zur Festigung der gegenwärtig geltenden Mechanismen blockieren. Länder wie Iran oder Nordkorea hätten dann auch einen Vorwand, ihre Atomprogramme wieder aus dem Giftschrank zu holen. Ein Horrorszenario, das nur durch Moskaus Dialog mit der neuen Regierung in Washington verhindert werden kann. Ergebnis muss ein neues Abkommen sein.

Denn als der alte Start-Vertrag zustande kam, dachte niemand an einzeln steuerbare Mehrfachsprengköpfe, mit denen Russlands neue Interkontinentalraketen Topol-M ausgestattet sind. Ebenso wenig an U-Boot-gestützte Trident- und Hyperschall-Raketen, an denen Washington schon arbeitet. Moskau hat momentan nichts Gleichwertiges in der Pipeline. Dazu kommt, dass beide Seiten einander stärker misstrauen als vor 17 Jahren. Bei kühner Auslegung geben die bestehenden Abkommen sogar die Stationierung strategischer Truppen außerhalb des eigenen Staatsgebietes her. Ambitionen, die beide Seiten einander seit dem Vordringen der militärischen Infrastruktur der Nato bis an Russlands Grenzen und dem Augustkrieg im Kaukasus unterstellen.

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