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Politik: Russlands Weinkrieg

Moskau stoppt Importe aus Georgien und Moldawien – um mit den Regierungen abzurechnen

Selbst in gut sortierten Supermärkten der russischen Hauptstadt sieht es in den Weinregalen wieder so trostlos aus wie in den letzten Jahren der sowjetischen Mangelwirtschaft: Wo noch vor kurzem mehrere Dutzend Sorten aus Georgien oder Moldawien den Kunden vor die Qual der Wahl stellten, herrscht nun gähnende Leere.

Der Grund: Ende März verhängte Russland einen Importstopp für Weine aus beiden Ex-Sowjetrepubliken. Inzwischen stehen auch Brannt- und Schaumweine auf dem Index. Die Hersteller dort würden russische Standards nicht erfüllen, monierte Moskaus oberster Hygienearzt, Gennadij Onnischtschenko. Beanstandet wurde vor allem der Einsatz von Pestiziden, obwohl auch europäische Winzer und die Kollegen in Südrussland oder auf der ukrainischen Halbinsel Krim einschlägige Pflanzenschutzmittel verwenden. Bis zu 80 000 Flaschen wurden daher allein in Moskau per Hauruck-Aktion aus dem Verkehr gezogen. Moldawiens Parlamentschef Marian Lupu sprach bereits von einem „Weinkrieg“ und sondierte in Moskau mit den Vorsitzenden der Duma-Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und GUS-Angelegenheiten Möglichkeiten für dessen Beilegung – ohne nennenswerten Erfolg.

Ähnlich wie bei Russlands Gaskrieg gegen die Ukraine vermuten Beobachter auch für das Weinembargo politische Gründe. Dafür spricht nicht zuletzt, dass Weine und Spirituosen aus abtrünnigen Regionen beider Republiken nach wie im Angebot sind: Kognak aus Transnistrien, einer von Russen und Ukrainern besiedelten Region am linken Dnjestr-Ufer, die sich 1992 von Moldawien losgesagt hatte, und Rotweine aus Georgiens abtrünniger Schwarzmeer-Provinz Abchasien. Flaschen von dort werden sogar in Regale einsortiert, über denen die Flaggen der international nicht anerkannten Zwergstaaten prangen. Beide Separatisten-Regime werden seit Jahren mehr oder minder offen von Russland unterstützt und lieferten auch für den Weinkrieg den Anlass.

So einigte sich Moldawien Mitte März mit Kiew darauf, dass Waren aus Transnistrien an der Grenze zur Ukraine nur noch abgefertigt werden, wenn für diese zuvor eine Ausfuhrgenehmigung beim Zoll in Moldawiens Hauptstadt Chisinau eingeholt wurde. Die Altstalinisten um Transnistriens Präsident Igor Smirnow sahen darin einen Angriff auf ihre Souveränität und riefen Moskau um Hilfe an. In Georgien dagegen, mit dem der Kreml seit der Revolution der Rosen 2003 permanent über Kreuz liegt, will Russland offenbar wachsende Enttäuschung der Massen über Präsident Michail Saakaschwili, den einstigen Hoffnungsträger, anheizen.

Die Rechnung könnte aufgehen. Sowohl für Georgien als auch für Moldawien ist Wein Exportschlager, Russland der mit Abstand größte Abnehmer. Weine aus Moldawien, die sich, so sie vor Ort abgefüllt und nicht in Russland gepanscht werden, durchaus mit der Konkurrenz aus Italien oder Frankreich vergleichen können und international prämiert wurden, waren wegen der moderaten Preise auch für die Masse in Russland erschwinglich.

Zwar stoßen Weingüter aus Südrussland jetzt in die Marktlücke. Doch die Winzer dort sind erst vor ein paar Jahren auf trockene Sorten umgestiegen, und ihr Merlot schmeckt noch immer wie missratene Erdbeerbowle. Vor Importen aus Westeuropa aber schreckt sogar die Mittelklasse zurück. Hohe Einfuhrzölle lassen den Preis für eine Flasche Landwein aus dem Veneto, den deutsche Supermärkte für weniger als zwei Euro anbieten, in Moskau auf das Sechsfache hochschnellen.

Eine „Affenschande“ sei das, schimpft die Ärztin Irina Gawrilowa, die ihren zahlreichen Bluthochdruck-Patienten seit Jahren rät, von Wodka auf trockenen Roten umzusteigen. Durch den Weinkrieg, fürchtet Gawrilowa, seien einschlägige Erziehungsversuche bis auf weiteres zum Scheitern verurteilt.

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