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Sachsen-Anhalt: Kriminell im Staatsdienst

Die Betrügereien eines Spitzenbeamten erschüttern die Polizei in Sachsen-Anhalt. Vom Innenministerium hatte er wenig zu befürchten.

Von Frank Jansen

Das Ansehen der Polizei in Sachsen-Anhalt ist lädiert. Es leidet seit 2007 schon an einer Affäre wegen Versäumnissen im Kampf gegen braune Kriminalität – und nun wird der Ruf zusehends durch ein zweites Debakel belastet. Diesmal geht es um einen der ranghöchsten Beamten im Land, der mit viel krimineller Energie als Betrüger agierte und vom Innenministerium wenig zu befürchten hatte. Trotz Warnzeichen unterblieben selbst Routinekontrollen.

Der Leitende Kriminaldirektor Klaus-Peter Deppe, inzwischen suspendierter Vizechef der Polizeidirektion Nord mit Sitz in Magdeburg, ist seit Jahren überschuldet. Mit einem gefälschten Grundbuchauszug und weiteren Manipulationen soll er sich bei einem Privatmann 26 300 Euro erschlichen haben. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg erhob im Februar Anklage, Deppe ist geständig. Doch was tat sich wann im Ministerium? Am Freitag hörte der im April zum Fall Deppe installierte Untersuchungsausschuss des Landtags prominente Zeugen. Einige Aussagen lagen weit auseinander.

Sie hätten erst im März 2010 erfahren, dass Deppe schon lange hochverschuldet war, sagten Innenminister Holger Hövelmann und Staatssekretär Rüdiger Erben (beide SPD) nahezu gleichlautend den Abgeordneten. Die Polizei-Abteilung des Hauses soll es jedoch gewusst haben. Immerhin ging im Frühjahr 2002 eine erste Pfändung von Deppes Gehalt ein. Hövelmann und Erben beklagten auch, bis zum März 2010 sei ihnen nicht bekannt gewesen, dass die Staatsanwaltschaft bereits im Februar den Beamten angeklagt hatte. „Ich war stinkig“, beschrieb Holger Hövelmann seine damalige Gemütslage.

Der Minister und sein Staatssekretär entschlossen sich dann, durchzugreifen. Der Leiter der Polizei-Abteilung, Klaus- Dieter Liebau, von vielen als heimlicher Herrscher des Hauses – Spitzname „roter Sheriff“ – gefürchtet, wurde abgelöst. Ebenso sein Stellvertreter, der Chef des Personalreferats, Godehard Vagedes. Das Ministerium bebte. Die Geschassten fielen jedoch nicht allzu tief.

Liebau wurde Chef einer anderen Abteilung, Vagedes bekam ein wiedergegründetes Referat zugeteilt. Doch zumindest Vagedes ist nicht bereit, sich damit abzufinden. Mit manchmal zitternder Stimme schilderte er am Freitag als dritter Zeuge dem Ausschuss seine Version. In der Hoffnung, die Abgeordneten könnten „zu meiner vollständigen Rehabilitation“ beitragen.

Im Juli 2007 habe er „entsetzt“ seinem Vorgesetzten Liebau mitgeteilt, dass der Anwalt des Gläubigers von Deppe mit einer Vorpfändung in Höhe von mehr als 78 000 Euro an das Ministerium herangetreten sei. Liebau „fiel aus allen Wolken wie ich“ und habe am selben Tag Staatssekretär Erben informiert, sagte Vagedes. Und Liebau habe die „Spitze des Hauses“ weiter „durchgehend informiert“.

Die Abgeordneten blickten konsterniert. Sollte Vagedes’ Aussage stimmen, hätte Staatssekretär Erben vor dem Ausschuss gelogen, möglicherweise auch der Minister. Vagedes musste allerdings zugeben, dass die Polizei-Abteilung es versäumt hatte, Minister und Staatssekretär vom Eingang der Anklageschrift gegen Deppe zu informieren. Außerdem bestätigte Vagedes, dass Unterlagen zu Deppes finanziellen Problemen separat in einem Panzerschrank der Polizei-Abteilung aufbewahrt wurden. Und das sind nach der Befragung der drei Zeugen durch den Ausschuss nicht die einzigen Merkwürdigkeiten, die Fragen aufwerfen.

Deppe gelang es immer wieder, trotz der Pfändungen Bedenken abzubügeln, die in Referaten des Ministeriums geäußert wurden. Dass ein Spitzenbeamter, der überschuldet ist – intern ist von mehreren hunderttausend Euro die Rede –, korruptionsanfällig und ein Sicherheitsrisiko sein dürfte, hatte keine Konsequenzen. Deppe fühlte sich so wenig angreifbar, dass er 2005, damals war er Vizechef der Polizeidirektion Halberstadt, über sein Dienstfax den gefälschten Grundbuchauszug an den Gläubiger schickte.

Seltsam erscheint auch, dass Deppe 2008 zum stellvertretenden Leiter der neu gebildeten, größeren Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord aufsteigen konnte – ohne Sicherheitsüberprüfung. Sie hätte auch seinen finanziellen Verhältnissen gegolten. Wurde Deppe aus dem Ministerium heraus geschützt? Weil er wie Vagedes und Liebau aus Niedersachsen stammt und auf alte Verbindungen hoffen konnte? Als sich der Untersuchungsausschuss dieser Frage näherte, gab Vagedes ausnahmsweise eine lächelnde Antwort: Eine „Niedersachsen- Connection“ habe es nie gegeben.

Der Fall Deppe dürfte Sachsen-Anhalt noch lange beschäftigen. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg führt ein weiteres Verfahren gegen den Beamten – wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Auch da geht es um Deppes Schulden.

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