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Ein Wahlkämpfer für Hillary: Bernie Sanders.

© Shawn Thew/dpa

Demokratischer Parteitag: Sanders und Obama retten die Einheit der Partei

Am Morgen erntet Bernie Sanders noch Buh-Rufe, als er für Hillary Clinton wirbt. Abends bekommt er dafür Ovationen - mit einem Plädoyer gegen Trumps Angstmacherei.

Das hätte ins Auge gehen können. Konfliktreich hatte der erste Tag der Demokratischen Convention begonnen. Aufgebrachte Parteilinke demonstrierten in Philadelphia, nachdem geleakte E-Mails belegt hatten, dass die Parteiführung in den Vorwahlen Hillary Clinton unterstützt und gegen ihren Rivalen Bernie Sanders gearbeitet hatte. Bei Frühstücksveranstaltungen wurden Vertreter des Parteivorstands ausgebuht, darunter die Vorsitzende Debbie Wasserman Schultz, die am Sonntag wegen der Affäre ihren Rücktritt angekündigt hatte, und Nancy Pelosi. Buhs erntete sogar der Held der Protestierer, Bernie Sanders – als er bereits am Morgen versuchte, die Gemüter zu beruhigen, und zur Wahl von Hillary Clinton aufrief, um einen Präsidenten Trump zu verhindern.

Ein Schock: Trump führt in den Umfragen

Da schwante es manchen, dass hier einiges auf dem Spiel steht. Die Umfragen versetzen den Demokraten einen weiteren Tiefschlag. Der Parteitag der Republikaner in der Woche zuvor hatte deren Basis offenbar mobilisiert und Donald Trump Auftrieb gegeben. Im Schnitt der jüngsten Erhebungen hat er seinen Rückstand nicht nur aufgeholt. Er führt sogar, wenn auch nur hauchdünn: mit 44,3 zu 44,1 Prozent.

Als am späten Nachmittag kurz nach Einlass in die Arena dort auffällig viele Sanders-Anhänger mit Protestplakaten Platz nehmen, treffen sich Mitarbeiter von Clinton und Sanders zu einer Krisensitzung und besprechen, wie man die Emotionen unter Kontrolle halten kann. Am Abend helfen vier herausragende Reden von Senator Cory Booker, First Lady Michelle Obama, Senatorin Elisabeth Warren und schließlich Bernie Sanders die Einheit der Partei zu retten. Ob aber Einsicht die treibende Kraft ist oder eher der Alptraum einer Trump-Präsidentschaft, falls sich die Demokraten zerstreiten, muss sich erst noch erweisen. 

Merkels Reem ist Clintons Karla

Die Choreografie zur Fernseh-Primetime ab 19 Uhr bedient erst einmal auf weiche Art das Selbstwertgefühl der Demokraten. Karla Ortiz, ein amerikanisches Pendant zum Palästinensermädchen Reem, deren Familien eine Abschiebung fürchteten, bedankt sich bei Hillary Clinton. Die habe ihr versprochen, alles zu tun, damit die Familie bleiben kann. Die kleine Karla und ihre Mutter fordern nun eine Reform des Einwanderungsrechts und werben "Hillary Clinton for President", Karla auf Englisch, die Mutter auf Spanisch.

Im Bemühen um die Einheit schrecken die Organisatoren auch vor Kitsch nicht zurück. Die Kabarettistin Sarah Silverman, eine Sanders-Anhängerin, und der vom Comedian zum Senator gewandelte Al Franken, ein Hillary-Fan, rufen nach allerlei Witzen, die in jede Late-Night-Show gepasst hätten, zur Einheit auf.

Auch Kitsch kann heilen

Dann drucksen sie herum, sie bilden eine "Brücke", einerseits zum Zusammenschluss, andererseits zum nächsten Programmpunkt. Paul Simon betritt die Bühne und singt "Bridge over troubled water". Wenngleich das kitschig wirkte – „eine Brücke zu weit“, urteilt ein TV-Kommentator: Der Kitsch führt zu anrührenden Szenen. Demokraten rechter und linker Ausrichtung fassen sich bei den Händen und wiegen sich in der bekannten Melodie. Parallel zeigen die Kameras Bill Clinton im Publikum, leicht angespannt, aber offenbar zufrieden mit der Entwicklung.

Weiß, wie es geht: Bill Clinton.
Weiß, wie es geht: Bill Clinton.

© Carlos Barria/Reuters

Auftritt Cory Booker, Senator von New Jersey und ein Nachwuchsstar der Demokraten. Er hält eine kämpferische und zugleich inspirierende Rede. Er greift Trump hart an: Der verallgemeinere, dass all die hart arbeitenden Latinos Verbrecher und Vergewaltiger seien. Trump verspotte Behinderte. Und spalte die Gesellschaft. Booker verbindet die Attacke mit einem demokratischen Gegenentwurf: Stark sei Amerika, wenn die Bürger sich zusammentun und ihre Unterschiede als Reichtum empfinden. „Wenn du schnell vorankommen willst, gehe allein. Wenn du weit kommen willst, tu dich mit anderen zusammen“, zitiert er eine Redensart. Und schließt: „Love trumps hate“ – Liebe triumphiert über Hass.

Michelle Obama sorgt sich als Mutter

Inzwischen ist es 22 Uhr. Michelle Obama nimmt den Namen Donald Trump nicht einmal in den Mund. Aber jeder versteht, worauf sie sich bezieht. Sie spricht als Mutter. Wie schwer das sei, Kinder  in diesen brutalen Zeiten von Idealen zu überzeugen. Wie viel Kraft es koste, ihren Töchtern immer wieder zu erklären, sie sollten nicht auf die hässlichen Worte im Wahlkampf hören: dass ihr Vater unrechtmäßig Präsident sei, weil er angeblich nicht in den USA geboren wurde.

Die Devise müsse sein: „When they go low, we go high.” Je niedriger das Niveau des Gegners, umso mehr solle man sich um moralische Höhe bemühen. In diesem Wahlkampf gebe es „nur eine Person, der ich traue und die qualifiziert ist für das höchste Amt: unsere Freundin Hillary Clinton“, bekennt Michelle Obama. Clinton habe sich als Anwältin für benachteiligte Kinder eingesetzt und als First Lady für die allgemeine Krankenversicherung gekämpft. Sie verschweigt nicht, dass sie acht Jahre zuvor auf der anderen Seite stand. Als aber Clinton damals den Kampf um die Kandidatur gegen ihren Mann Barack Obama nicht gewann, „gab sie nicht auf, sondern diente dem Land als Außenministerin“. Clinton sei „die Person, die ich als Präsidentin für meine Töchter haben möchte“.

Amerika sei jetzt schon "great", sagt Michelle Obama.
Amerika sei jetzt schon "great", sagt Michelle Obama.

© imago/UPI Photo

Denn wer über die Codes zu den Atomwaffen verfüge, darf keine dünne Haut haben, darf nicht rachsüchtig sein. Der muss ausgeglichen und gut informiert sein. Dafür reichen 140 Zeichen nicht, spielt Michelle Obama auf Trumps Vorliebe für Twitter an.

Und was meine der überhaupt mit dem Anspruch, er müsse Amerika erst wieder „great“ machen. Amerika sei jetzt schon „great“. Ein Land, in dem ein Schwarzer Präsident wurde. In dem junge afroamerikanische Mädchen alles werden können. In dem eine Frau Präsidentin werden kann. „Lasst euch von niemandem einreden, dieses Land sei nicht jetzt schon great." 

Die Stimme der Linken

Elisabeth Warren hält keine so mitreißende Rede. Sie erfüllt eine andere Funktion. Sie ist die Stimme der Parteilinken. Die hätten sie gerne als Vizekandidatin gesehen. „Wow, was für ein Abend“, klinkt sie sich erstmal in den Jubel ein: „Michelle Obama, Corey Booker - und gleich kommt noch Bernie Sanders.“ Erneut jubelt die Arena. „Danke, Bernie, dass du uns erinnerst, wofür wir kämpfen.“ 

Amerika stehe vor der Wahl zwischen einem Egoisten, der nur an sich denkt, und einer Frau, die für andere kämpft, sagt Warren. Sie sei die Tochter eines Gefängniswärters, wurde Lehrerin, dann Professorin in Harvard und nun Senatorin. Amerika ist also wirklich ein "Land of Opportunity".

Es gebe viel Geld und Reichtum in Amerika, nur leider „tröpfeln“ die nicht nach unten durch zu den Ärmeren, wie das die Republikaner seit Jahrzehnten mit ihrer Theorie von „Trickle down“-Ökonomie versprechen „Donald Trump betrügt die Leute, er betrügt die Arbeiter, er darf niemals Präsident werden.“ Habe er jemals einen praktischen Plan vorgelegt - außer den, eine dumme Mauer zu bauen?

Zum Schluss nimmt sie zentrale Sanders-Vorschläge auf, zum Beispiel diesen: „Wenn Banken zu große Risiken eingehen, brecht sie auf!“ Die Reaktionen sind nicht so enthusiastisch wie auf Michelle Obama und Cory Booker. Aber Warren hat auf ihre Weise den Schmerz der Sanders-Anhänger gelindert.

Sanders bekommt Ovationen

Und nun folgt deren eigentlicher Held, eingeführt mit Videoszenen aus seinem Wahlkampf, unterlegt mit dem Song „All come to look for America”. Überall in der Arena gehen blaue Poster mit seinem Namen hoch. Die Ovationen sind so laut, dass er seine Rede lange nicht beginnen, sondern nur immer wieder "Thank you" sagen kann. Er beginnt mit dem Dank an seine „Hunderttausenden freiwilligen Helfer. An die Millionen Bürger, die ihn mit Kleinspenden unterstützt haben. „Weiß jeder noch, wie hoch die Durchschnittsspende war?“ – „27 Dollar“ antwortet die Arena im Sprechchor.

Treue Anhänger: Sie wünschen sich weiterhin einen anderen demokratischen Kandidaten.
Anhänger des unterlegenen Bernie Sanders beim Parteitreffen der US-Demokraten

© dpa/EPA/Andrew Gombert

Sanders dankt allen Amerikanern, die in den Vorwahlen dazu beigetragen haben, dass er 1846 Delegierte bekam. Und er dankt diesen Delegierten in der Arena. Einen Moment scheint es so, als wolle er es noch einmal spannend machen. „Ich freue mich auf eure Stimmabgabe morgen“, sagte Sanders.

„Die Revolution ist nicht zu Ende“ 

Aber dann nimmt er die angekündigte Wende. „Ich weiß, dass viele von euch enttäuscht sind über das Ergebnis der Vorwahlen. Aber wir dürfen stolz sein, was wir erreicht haben. Unsere Revolution ist nicht zu Ende. Wahlen kommen und gehen. Der Kampf um die Rechte der Bürger geht weiter. Der Kampf um ökonomische Gerechtigkeit geht weiter. Und ich werde ihn weiter an eurer Seite führen.“

So aufgebracht, wie manche seiner Anhänger am Morgen noch waren, erschien es klar, dass Sanders nicht nur einfach zur Wahl von Hillary Clinton aufrufen kann. Er muss diese Empfehlung inhaltlich gut begründen. „In dieser Wahl geht es nicht um Donald Trump, Hillary Clinton oder mich. Sondern es geht um die Bedürfnisse der Bürger und um die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Es muss darum gehen, nach 40 Jahren den Niedergang der Mittelklasse zu beenden“ leitet Sanders seinen Appell ein. 

„Es darf nicht dazu kommen, dass die nächste Generation ein geringeres Einkommen hat.“ Es ist „nicht fair und nicht durchhaltbar, dass das oberste Zehntel von einem Prozent so viel Reichtum hat wie die unteren 90 Prozent.“ 800.000 Menschen haben ihre Jobs verloren, als die Gier der Wall Street zur Finanzkrise führte. Präsident Obama hat die Wirtschaft wieder nach oben gebracht. Hillary Clinton wird diesen Weg fortsetzen.

Und dann der Aufruf für Hillary – ohne Buhs

Die entscheidende Frage sei, welcher Kandidat besser versteht, was getan werden muss. Nicht bombastische Worte, nicht Angstmache, sondern praktische Verbesserungen. „Deshalb muss Hillary Clinton die nächste Präsidentin werden.“ Nun jubelt die Arena. Es sind keine Buhs zu hören, wie noch am Morgen, aber einige anfeuernde "Bernie"-Rufe. Manche seiner Anhänger im Saal weinen still. Und einige wenige haben sich den Mund zugebunden, als Zeichen des Protests, dass sie sich zum Schweigen verdammt fühlen.

Sanders zählt nun sein Argumente auf: Clinton möchte den Mindestlohn erhöhen, Trump will ihn senken. Trump will Steuersenkungen für die Reichen, Clinton nicht. Es geht darum, wer die nächsten Verfassungsrichter ernennt. Und um den Klimawandel; Trump behauptet, der sei eine Erfindung, Clinton hält ihn für real und will etwas dagegen tun. „Wir müssen uns zusammentun und dürfen uns nicht spalten lassen.“

„No TPP“ – dann ist es geschafft

„Es ist kein Geheimnis, dass Hillary Clinton und ich nicht in allem einer Meinung sind“, sagt Sanders. „Aber als in diesen Tagen das Wahlprogramm beraten wurde, haben wir unsere Ideen zusammengeworfen.“ Seine Anhänger rufen nun „No TPP!“ – kein Freihandelsabkommen mit Asien. Dann ist es geschafft. Bernie Sanders hat an diesem Abend alles getan, um seine Anhänger in Hillarys Camp zu bringen.

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