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Sarrazins Äußerungen: Mehr Integration wäre besser

Sarrazin wurde von der Bundesbank degradiert. Die Debatte aber geht weiter. Worüber wird diskutiert?

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin hat mit seinen Thesen zur Integrationsunwilligkeit von Arabern und Türken in Deutschland eine Welle der Empörung ausgelöst. Jetzt wurden seine Kompetenzen in der Bundesbank beschnitten. Der Vorstand hat ihn von einem seiner drei Zuständigkeitsbereiche (Bargeld) entbunden. Jenseits seiner konkreten Äußerungen geht die Integrationsdebatte weiter. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) will den Druck auf ausländische Arbeitslose erhöhen, die wegen schlechter Deutschkenntnisse schwer vermittelbar sind. Die Grünen kritisierten das als „dumpfen Populismus“. Die stellvertretende FDP-Fraktionschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnt im „Hamburger Abendblatt“ eine „ehrliche Debatte“ über Integration an. Diskutiert wird über Maßnahmen und Zahlen.

Was steckt hinter den Zahlen?

Etwa ein Viertel der türkischstämmigen Einwanderer hat keinen berufsqualifizierenden Abschluss und mehr als 50 Prozent haben keine berufliche Bildung. Solche Zahlen scheinen Thilo Sarrazin zu stützen. Lässt man aus diesen allerdings die über 60-jährigen ehemaligen „Gastarbeiter“ raus, die noch ohne Bildung nach Deutschland kamen, dann dreht sich nach Angaben des Zentrums für Türkeistudien das Bild: Bei den unter 30-jährigen Türkischstämmigen haben nur noch sechs Prozent keinen Schulabschluss, 17 Prozent haben Abitur. Und 60 Prozent der Jugendlichen geben an, dass sie mit ihren Eltern Deutsch und Türkisch sprechen. Zahlen, die eine gesamte Zuwanderergruppe unterschiedslos erfassen, können nach Ansicht von Professor Klaus Bade, Vorsitzender des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), deshalb keine sachdienliche Auskunft über den Integrationsprozess liefern. „Übersehen wird meist“ , so Bade, „dass man Integrationsfortschritte innerhalb von Zuwanderermilieus und nicht im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung messen muss.“ Vor allem aber müsse man intergenerativ forschen, da der Integrationsprozess in der Regel zwei bis drei Generationen dauert. Man muss sich also fragen, welche Distanz im beruflichen Aufstieg die zweite im Vergleich zur ersten Generation zurückgelegt hat.

Wie misst man die Integration?

Seit 2005 der Indikator „Migrationshintergrund“ in die Mikrozensus-Statistik aufgenommen wurde, lassen sich Integrationserfolge messen. Bis dahin war man auf Zahlen aus einzelnen Erhebungen und Studien angewiesen. Erste Stichproben auf Grundlage der neuen Zahlen zeigen, dass Eingebürgerte zum Teil sogar höhere Bildungserfolge erzielen als Deutsche ohne Migrationshintergrund.

Was haben die Integrationsgipfel

seit 2006 gebracht?

Deutschland hat sich selbst einen nationalen Integrationsplan verordnet und einen ersten Fortschrittsbericht Integration vorgelegt. Selbst Teilnehmer des Integrationsgipfels geben zu, dass der Name des Plans etwas hoch gegriffen war. „Der nationale Integrationsplan hat bei Weitem zu viel versprochen. Schon der Name suggeriert konkrete Ziele, die der Plan aber nur in wenigen einzelnen Fällen aufstellt. Er ist mehr eine Sammlung von guten Vorsätzen“, konstatiert Harald Löhlein, Integrationsexperte beim Paritätischen Gesamtverband. Allerdings blieb nicht alles folgenlos. Zu allererst haben die Integrationsgipfel viele Verbände, Vereine, Institutionen und Unternehmen zum Nachdenken angeregt – und daraus sind viele Maßnahmen entstanden. Die Integrationskurse, in denen Teilnehmer sowohl die deutsche Sprache als auch Kenntnisse über Deutschland und das politische System erwerben können, wurden ausgebaut. Verpflichtend sind sie zwar nicht für alle. Allerdings können Behörden Migranten auffordern, diese Kurse zu besuchen. Dabei wird der Bezug von Sozialleistungen an die Teilnahme geknüpft. Die beschäftigungsorientierten Sprachförderkurse starten allmählich. Diese beinhalten auch Praktika in Betrieben. Für die frühkindliche Sprachförderung wurde eine Struktur geschaffen. Aber eines fehlt: konkrete Zielvorgaben und Zeithorizonte.

Was muss jetzt geschehen?

Das, was der deutsche Plan nicht leisten konnte, müssten jetzt die Länder, Städte und Kommunen erarbeiten: konkrete, messbare Vorgaben für Integrationsmaßnahmen. Darüber hinaus stehen einige Vorschläge im Raum, anhand derer Integration als nationalstaatliche Aufgabe gestärkt würde. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, fordert etwa ein Bundesministerium für Zuwanderung und Integration. Sarrazins Äußerungen seien ein „Weckruf“, dass man eine verfehlte Zuwanderungs- und Integrationspolitik betrieben habe. Allerdings ist es nahezu ausgeschlossen, dass sich FDP und Union in ihren Koalitionsverhandlungen auf ein solches Ministerium einigen werden. Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich vielmehr dafür aus, die Zuständigkeit für Integrationspolitik dem Bundesjustizministerium zuzuschlagen.

Behindert der starke Sozialstaat

in Deutschland die Integration?

Der Gedanke ist so plausibel wie schwer umsetzbar. Eine allgemeine Reduzierung sozialer Leistungen würde integrierte wie integrationsunwillige treffen und auch deutschstämmige Transferbezieher. Allerdings sieht auch das derzeitige System Sanktionsmöglichkeiten vor: Wenn jemand seiner Verpflichtung zum Integrationskurs nicht nachkommt, wenn jemand einer Qualifizierungsaufforderung etwa in einem Bewerbungsseminar nicht nachkommt und wenn jemand sich weigert, Bewerbungen zu schreiben, können die Leistungen gekürzt werden. Auch im Aufenthaltsrecht gibt es Sanktionsmöglichkeiten.

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