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Politik: Satt sind nur die Schulkinder - Im Norden Kenias und Ugandas sterben Menschen nach einer Dürre an Hunger

Der Bürgermeister weiß, wo ein Mensch verhungert. Mit knappen Anweisungen leitet Joseph Nabenye den Fahrer des Jeeps über die staubige Einöde in der Nähe von Lorengelup, 30 Kilometer von der Provinzhauptstadt Lodwar entfernt.

Der Bürgermeister weiß, wo ein Mensch verhungert. Mit knappen Anweisungen leitet Joseph Nabenye den Fahrer des Jeeps über die staubige Einöde in der Nähe von Lorengelup, 30 Kilometer von der Provinzhauptstadt Lodwar entfernt. Bis zum Horizont erstreckt sich ein Teppich von grau-verdorrten Grasbüscheln, man sieht vertrocknete Bäume, Sand, Felsen, nur die Dornenbüsche sind zartgrün, aber sie sind ungenießbar für das Vieh. Seit drei Jahren ist in der Turkana, Kenias nördlichstem Distrikt, kein Regen gefallen. "El Niño war ein Segen, damals", sagen die Leute, jetzt herrscht die schlimmste Dürre seit acht Jahren.

Das Dorf, das nur aus drei Schilfhütten besteht, sieht verlassen aus. Eine Dornenhecke umhegt die Hütten, der Bürgermeister und das Team vom kenianischen Privatsender KBC fackeln nicht lange, sie öffnen das Gatter und treten ein in die Hütte von Munyes Lourien. Die alte Frau liegt reglos am Boden auf einem Ziegenleder, sie ist nur noch Haut und Knochen, Fliegen umschwirren sie, es stinkt. Der Kameramann richtet das Objektiv auf sie, das Interview beginnt, langsam richtet Munyes Lourien sich auf, ihre Brüste sind dünne Hautfalten. Seit drei Wochen habe sie nichts gegessen, sagt sie, die Maisration reiche nicht aus. In dem Dorf leben noch ihr Sohn, ihre Schwiegertochter und ein Enkel, sie alle sind auf der Suche nach Wildfrüchten. Das Vieh sei gestorben, sagt die Frau. In ihrer Unterlippe steckt ein kleiner Holzpflock, eine bei den Turkana übliche Vorkehrung für Kranke. Wenn bei Wundstarrkrampf der Mund nicht geöffnet werden kann, wird dem Kranken durch die Öffnung Essen eingeflößt - aber hier gibt es nichts zum Einflößen. Ein Reporter spendet Bananen und Wasser, was er so im Rucksack findet, der Bürgermeister füttert Munyes Lourien.

Nach Angaben des Distriktverwaltung gibt es nur "vereinzelte Fälle" von Hungertod in der Turkana. Wenn jemand verhungere, dann sei er auch krank gewesen, sagt Distrikt-Kommissar Peter Mooke. Doch Bürgermeister Nabenjo, verantwortlich für Lorengelup mit 3800 Einwohnern, widerspricht. Er kenne allein sechs Fälle von Hungertod in wenigen Wochen. In erster Linie seien es Alte und Kinder, sagt er. "Sie werden immer dünner. Dann legen sich hin und stehen nicht mehr auf", sagt Nabenjo. "Es ist kein schneller Tod, es geht ganz langsam." Neulich sei Ekalale verhungert, ein Mann, 20 bis 30 Jahre alt, der kein Vieh und keine Güter hatte. Er hat sich nur von der Duom-Palmfrucht ernährt, die bitter ist und steinhart und die die Turkana in Notzeiten zu gelbem Mehl zerschlagen. Bei vielen erzeugt die Duom-Frucht Durchfall. Ekalale hatte sich zum Sterben hingelegt, nach einer Woche war er tot.

Am besten geht es noch den Schulkindern von Lorengelup, für sie gibt es die Schulspeisung. Aus kleinen Plastikeimern löffeln sie in Wasser gekochten gelben Mais, die kenianische Regierung lässt über die amerikanische Hilfsorganisation Worldvision im Monat 10 000 Säcke in der Turkana verteilen. Doch die Rationen reichen nicht aus. Nach Angaben von Worldvision leidet zweite der 440 000 Turkana-Bewohner an Unterernährung. Monatelang hatte die kenianische Regierung darauf beharrt, den Hunger aus eigener Kraft zu bekämpfen, erst vor kurzem hat sie die das Welternährungsprogramm (WFP) um Hilfe gebeten. In den nächsten Wochen sollen über Mombasa 75 000 Tonnen Nahrung für Kenia geliefert werden.

In der Karamoja, einer Nachbarregion zur Turkana im Nordosten Ugandas, hat die Dürre laut Zeitungsberichten 140 Hungertote gefordert, 400 000 Menschen leiden unter der Nahrungsmittelknappheit, sagen ugandische Behörden. Auch hier will das WFP Mais verteilen. Wegen des Bürgerkrieges herrscht auch in Teilen des Südsudan Hunger, doch weil die Rebellenorganisation SPLA den internationalen Hilfsorganisationen die Auflage machen wollte, sich ihren Zielen unterzuordnen, ist die Verteilung Anfang März in eine Krise geraten: Zwölf Verbände, darunter die Deutsche Welthungerhilfe, haben sich unter Protest zurückgezogen.

Die Verteilung von überwiegend amerikanischem Mais durch das Welternährungsprogramm wird seit Jahren kritisiert. In der Karamoja und der Turkana ändere sich sowieso nichts, sagen altgediente Entwicklungsexperten in Nairobi hinter vorgehaltener Hand, Dürre und Hunger habe es dort immer gegeben. Und für die US-Farmer sei das Ganze ein gutes Geschäft. In der Turkana aber warten die Menschen auf Essbares, und sie glauben an eine Perspektive für ihr Land. Hätte man Kapital, könnte man den fischreichen Turkana-See besser nutzen, sagt Peter Emuria, ein geborener Turkana, der in Lodwar als Staatsbeamter arbeitet. Kehrten wieder normale Regenzeiten ein, sei auch der Viehverkauf eine gute Erwerbsquelle. Lokale Journalisten schwärmen davon, dass die Gegend um den Turkanasee einmal das "Las Vegas" Kenias werden könnte, das liege ja auch in der Wüste.

Aber die Dürre stoppt jede Entwicklung, die Menschen denken nur ans Überleben. Missmutig sitzt die elfjährige Asuron Ekai im Schatten eines Busches und klopft die Wildfrucht Dolmu auf einem Stein zu Pulver. "Das ist nur, um den Magen zu füllen", sagt das Kind. Sie müsse daheim bleiben, sagt sie, ihre vier Brüder dürften zur Schule gehen und bekämen dort zu essen. Ihre Mutter sitzt in der Hütte und flicht Bastkörbe für den Touristenmarkt von Lodwar.

Der 30-jährige David Emuria, ein hochgewachsener Turkana im roten Gewand, hat sich eine illegale Einahmequelle verschafft. Er schlägt Bäume, macht aus dem Holz Kohle und verkauft sie am Straßenrand, den Sack für 50 Kenianische Schillinge, umgerechnet 1,35 Mark. Manchmal komme tagelang kein Auto, sagt Emuria. Im 600 Kilometer entfernten Nairobi wird der Sack Kohle für den achtfachen Preis verkauft, doch für Emuria ist das eine unerreichbare Welt. Schon bei der Dürre 1995 waren ihm die fünf Ziegen und der eine Esel verhungert. Emuria hat zwei Frauen und vier Kinder. Sein Dreijähriges ist krank, die Diarrhöe hat es abmagern lassen, Fliegen sitzen auf den Augen. Wenn der Regen kommt, will Emuria zum See gehen und Arbeit suchen. Wenn es nicht regnet, sieht er keine Perspektive für sich. "Ich habe keinen Besitz, keinen Job, keine Tiere", sagt Emuria, "vielleicht werde ich sterben."

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