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Politik: Schatten der Taliban

In Afghanistan wurden Teile des Verfassungsentwurfs bekannt – die Juristinnen fühlen sich an alte Zeiten erinnert

Von Claudia von Salzen

und Elke Windisch

Eine neue Verfassung soll aus Afghanistan nach jahrzehntelangem Krieg wieder einen Rechtsstaat machen – das war zumindest die Absicht der Petersberger Konferenz. Anfang November vereidigte Ex-König Sahir Schah einen Verfassungsausschuss, dessen neun Mitglieder von Interimspräsident Hamid Karsai ernannt worden waren. Der wiederum nominierte eine Kommission, die derzeit die Einzelheiten der neuen Verfasssung erarbeitet. Was davon bisher durchsickerte, deutet auf eine Niederlage der Demokraten und Gemäßigten hin, die sich bereits auf der Petersberger Nachfolgekonferenz im letzten Dezember abgezeichnet hatte. Der Entwurf, so die Vorsitzende des Bundes der afghanischen Richterinnen, Soraya Paikan, unterscheide sich über weite Strecken nur in Nuancen von der rigiden „islamischen“ Gesetzgebung der Taliban.

Eine Trennung von Staat und Religion, so Kommissionschef Musa Marufi, stehe überhaupt nicht zur Diskussion. Genau das aber stand in der Verfassung von 1964, mit der Afghanistan sich zur konstitutionellen Monarchie erklärt hatte. Sie garantierte bürgerliche Grundrechte und -freiheiten. Bei der Petersberger Konferenz wurde daher beschlossen, dass sie auch die Basis für das Grundgesetz der Post-Taliban-Ära werden sollte. In den bisher bekannten Teilen des Entwurfs fehlen aber Paragrafen zu Presse- und Meinungsfreiheit und zu politischen Parteien ebenso wie ein Artikel, der Frauen gleiche Rechte einräumt. Darauf hatten aber vor allem die Vereinten Nationen und die westlichen Geberländer gedrängt.

Nach Ansicht von Almut Wieland-Karimi, Afghanistanexpertin der Friedrich-EbertStiftung, gibt es derzeit einen Richtungsstreit zwischen konservativen und progressiven Kräften – auch innerhalb der Verfassungskommission. „Der Islam wird wahrscheinlich Staatsreligion werden.“ Unklar sei aber, wie stark in der Verfassung die zivilrechtlichen Aspekte verankert würden.

Der Verfassungsentwurf soll im März vorgestellt, dann in den 32 Provinzen diskutiert und im Oktober von der Ratsversammlung, der Loya Dschirga, bestätigt werden.

In weiten Regionen des Landes arbeiten unterdessen Warlords an der Restaurierung autonomer Teilreiche – an die auf dem Petersberg ausgehandelten Vereinbarungen fühlen sie sich offenbar nicht gebunden. Im westafghanischen Herat, wo der Kriegsherr Ismail Khan herrscht, dürfen Mädchen nur noch dann eine Schule besuchen, wenn dort nicht gleichzeitig Jungen unterrichtet werden. Dass es hier um mehr als die Entscheidung eines Provinzfürsten geht, zeigt die Äußerung des Obersten Gerichts Afghanistans: Der gemeinsame Unterricht für Jungen und Mädchen sei „unislamisch“, sagte der Vorsitzende Richter Fasal Haid Schinwari. In Herat dürfen Mädchen auch nicht mehr von Männern unterrichtet werden. Weil es momentan nicht genügend Lehrerinnen gibt, können viele Mädchen daher ihr Recht auf Bildung nicht wahrnehmen. Das betrifft vor allem den Fremdsprachen- und Computerunterricht. Im vergangenen Jahr gab es zudem mehrfach Angriffe auf Mädchenschulen. Darin sehen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bereits eine generelle Tendenz. Südlich von Kabul, im Gebiet der Paschtunen, wurden mehrere Schulen niedergebrannt.

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