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Politik: Schily trotzt dem Protest

Der Bundesinnenminister weist den Appell von 100 Abgeordneten zurück und spricht sich gegen ein Bleiberecht für Angehörige von traumatisierten Vertriebenen ausClaudia Lepping Das Bundesinnenministerium übt sich in Beschwichtigung. Der Appell und die Kritik von mehr als 100 Parlamentariern an der Abschiebung von 50 000 "Härtefällen" unter den Balkan-Flüchtlingen sei nicht gerechtfertigt, sagt ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel: Sowohl die Innenminister der Länder als auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hätten bislang bei der Rückführung individuelle Schicksale und Probleme der Vertriebenen berücksichtigt.

Der Bundesinnenminister weist den Appell von 100 Abgeordneten zurück und spricht sich gegen ein Bleiberecht für Angehörige von traumatisierten Vertriebenen ausClaudia Lepping

Das Bundesinnenministerium übt sich in Beschwichtigung. Der Appell und die Kritik von mehr als 100 Parlamentariern an der Abschiebung von 50 000 "Härtefällen" unter den Balkan-Flüchtlingen sei nicht gerechtfertigt, sagt ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel: Sowohl die Innenminister der Länder als auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hätten bislang bei der Rückführung individuelle Schicksale und Probleme der Vertriebenen berücksichtigt. So würden sie beispielsweise nicht in Abrede stellen, dass traumatisierte Menschen, die in Folter- und Vergewaltigungslagern gelitten hätten, in Deutschland bleiben und ihre medizinische Behandlung beenden können. Vielmehr müsse geklärt werden, ob automatisch immer auch die Familien dieser Opfer ein Bleiberecht erhalten, so der Sprecher. Oft würde der Familienbegriff so weit gefasst, dass ganze Großfamilien bleiben wollten, weil ein Angehöriger traumatisiert sei. Deshalb müsse ein Kompromiss zwischen der generellen Notwendigkeit der Flüchtlingsrückkehr und dem Verbleib einzelner Familienmitglieder gefunden werden.

Wie der Tagesspiegel berichtete, hatten mehr als 100 Politiker, darunter Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen mit Ausnahme der PDS, von den Ministerpräsidenten der Länder ein Bleiberecht für jene 50 000 Balkan-Flüchtlinge gefordert, die alt und alleinstehend, nach schwerer Folter traumatisiert sind oder auf ihre Zeugenaussage vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag warten. Die humanitären Grundsätze seien nicht gewahrt, solange "die überwiegende Mehrheit der geduldeten Flüchtlinge unterschiedslos aufgefordert werden, Deutschland zu verlassen". Die Bundesländer sind zuständig für die freiwillige Rückführung und für die zwangsweise Abschiebung von Flüchtlingen, die sie während der Balkankriege seit 1992 nach einem "Länder-Schlüssel" aufgenommen haben. Von vormals 350 000 Vertriebenen sind mehr als 300 000 wieder heimgekehrt.

Federführende Unterzeichner des Appells sind die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Claudia Roth (Grüne), ihr Stellvertreter Christian Schwarz-Schilling (CDU), der sich als internationaler Streitschlichter in Bosnien um Flüchtlinge kümmert, und Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Unterzeichnet haben unter anderem die CDU-Politiker Rita Süssmuth, Norbert Blüm und Heiner Geißler, die ehemaligen FDP-Minister Klaus Kinkel, Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher sowie Grünen-Vorstandssprecherin Antje Radcke. Auch der SPD-Politiker Freimut Duve unterstützt die Initiative.

Schwarz-Schilling sagt dem Tagesspiegel: "Fachärztliche Gutachten werden in einigen Bundesländern durch behördliche Gutachten ersetzt. Aber es ist verhängnisvoll, wenn traumatisierte Menschen auf diesem Weg wieder dorthin zurückgeschickt werden, wo sie in Konzentrationslagern gefoltert worden sind." Die Ausländerbehörden seien oftmals nicht ausreichend über die Lage auf dem Balkan informiert. Stattdessen erhielten sie den Auftrag zur kollektiven Rückführung. "Unter den Flüchtlingen sind Jugendliche, die ihre Kindheit in Deutschland verbracht haben, sie sind voll integrations- und arbeitsfähig. Es wäre mit Blick auf die Renten- und Steuerpolitik in unserem Interesse, wenn sie bei uns blieben."

Claudia Lepping

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