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Politik: Schluss mit lustig

Der von der Bundesregierung angekündigte Einspruch gegen das Straßburger Bodenreform-Urteil verbittert die Erben – in den neuen Ländern gibt es Streit

Von Matthias Schlegel

Werner Döring aus Aschersleben hat mit seinem „Verein gegen die Abwicklung der Bodenreform“ in Sachsen-Anhalt am 22. Januar 2004 gejubelt – als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die entschädigungslose Enteignung von rund 70 000 Bodenreform-Erben durch die Bundesregierung 1992 als menschenrechtswidrig bezeichnete. Seit dem 26. Februar ist Döring wieder verbittert: An jenem Tag hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) mitgeteilt, dass die Bundesregierung die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofs zur endgültigen Klärung der Rechtsfragen anrufen werde.

Bei all dem geht es bislang vor allem ums Geld. Für die seit 1992 von den neuen Ländern in Besitz genommenen und inzwischen verkauften Flächen müssten Entschädigungen gezahlt werden. Zwar sind die meisten Immobilien noch nicht veräußert und könnten an die Erben zurückgegeben werden. Doch auch dieser Boden bringt eine Menge Gewinn: Allein das Land Brandenburg nimmt jährlich 600 Millionen Euro Pacht aus diesen Flächen ein. In der Leipziger Innenstadt gehört gar eine rund 2000 Quadratmeter große Fläche zu dem umstrittenen Bodenreformland – sie ist 300 000 Euro wert.

Im Hintergrund lauert noch ein anderes Problem: Vielen Besitzern von Bodenreformland oder deren Erben waren schon zu DDR- Zeiten ihre Parzellen wieder weggenommen worden, weil sie nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wurden. Sollte das Straßburger Urteil rechtskräftig werden, würden nur die davon profitieren, bei denen die DDR- Machthaber den Entzug des Bodens versäumt hatten – eine Ungleichbehandlung mit unabsehbaren juristischen Konsequenzen.

Rechtsanwältin Beate Grün, die Bodenreform-Erben in Straßburg vertritt, kritisiert die Landesregierungen. Diese seien durch Artikel 44 des Einigungsvertrages verpflichtet, den Fortbestand der Eigentumsordnung aus DDR-Zeiten zu garantieren. Die Bodenreform- Erben seien durch das Modrow-Gesetz von 1990 auf Drängen der Regierung Kohl vollwertige Eigentümer geworden. Aus Eigeninteresse verstießen die Länder nun gegen ihre Rechtswahrungspflicht.

In Mecklenburg-Vorpommern hat der Einspruch der Bundesregierung gegen das Straßburger Urteil denn auch einen handfesten Krach in der SPD/PDS-Koalition ausgelöst. In seltener Eintracht mit der PDS streitet dort auch die oppositionelle CDU für die Bodenreform-Erben. Und selbst innerhalb der Brandenburger SPD knirscht es: Obwohl Agrarminister Wolfgang Birthler in aller Öffentlichkeit einen Einspruch ablehnte, nickte Staatskanzleichef Rainer Speer das Ansinnen von Ministerin Zypries ab.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Hacker, verteidigt die Haltung der Bundesregierung. Im Sinne der Bodenreform seien jene, die ihr Land nicht agrarisch nutzten, keine Eigentümer mehr. Die Grünen-Landwirtschaftsexpertin Cornelia Behm fühlt sich dagegen in ihrem Rechtsempfinden verletzt. Zu einer Streitfrage in der rot-grünen Koalition will sie das allerdings nicht machen. Und so wird das Feld wohl wieder einmal der PDS überlassen bleiben. Am Donnerstag besprach sich Parteichef Lothar Bisky mit den Vereinen der betroffenen Erben.

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