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Schlussspurt im Wahlkampf: Allein, allein - Angela Merkel kämpft für sich

In der letzten Woche des Wahlkampfs ist ihr tatsächlich noch ein Trick eingefallen: Wer sie haben wolle, sagt Angela Merkel, der bekomme sie „nur mit der CDU“. Es ist wichtig geworden, das zu betonen. Die Kanzlerin kämpft um jede Stimme. Auch gegen die FDP. Weil sie sich Optionen offen halten will.

Von Robert Birnbaum

Sie hätten ja bestimmt einiges für möglich gehalten, die zwei älteren Ehepaare auf dem Alten Markt in Magdeburg, aber dass die Kanzlerin jetzt auch noch hellsehen kann? Angela Merkel hat einen letzten Sonnentag erwischt für ihren Auftritt in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts. Am Rande des abgezäunten Zuschauerbereichs für die geladenen Hundertprozentigen sind viele stehen geblieben, die einfach mal gucken wollen. Merkel hält ihre Rede, die den Eingezäunten wenig Anlass für Jubel bietet, dafür den Fernstehern aber auch wenig Anlass für Widerspruch. Das Übliche eben.

Doch am Schluss, als es ums Kreuzchenmachen am Sonntag geht, da kommt etwas Neues. „Ich weiß, dass es manche gibt, die sagen: Merkel vielleicht – aber CDU? Na ja!“ Die zwei älteren Ehefrauen nicken unwillkürlich. Stimmt, so ist das! „Aber Merkel“, fährt Merkel fort, „kriegen Sie nur mit der CDU.“

Wenn ein Wahlkampf in die letzten Tage geht, stellt sich bei den Kämpfern oft ein ganz sonderbares Gefühl ein. Eigentlich ist alles gelaufen: Die Duelle, die wichtigen Interviews, die Plakataktionen, die ganze Strategie der Schlacht hat sich entfaltet. Für große Korrekturen ist es zu spät. Nicht weit von Merkels Tribüne tröpfelt ein steter Zug von Menschen in ein Briefwahlbüro in der Hauptwache – die interessiert die Rednerin schon überhaupt nicht mehr.

Trotzdem zählen diese letzten Stunden mehr als viele andere davor. Die Zögernden, Zweifelnden, Unentschiedenen, die zaudern, wägen, warten bis zuletzt. Sie suchen nach guten Gründen für ihr eigenes Wählergewissen. Angela Merkel hilft ihnen dabei gern. Nur dass sie in diesen letzten Stunden einen neuen Gegner bekämpfen muss, das hätte sie sich vermutlich lieber erspart. Wer lässt sich schon gern dabei ertappen, wie er den Lebensabschnittsgefährten auf der Bank beiseiteschubst?

Auch bei der CDU beschäftigen sie sich schon mit der großen Koalition

„Wir wollen die christlich-liberale Koalition fortsetzen“, versichert die CDU-Chefin allenthalben, sogar wenn der Vorsprung nur ein, zwei Stimmen ausmache. Wahrscheinlich stimmt das. Aber es gibt eine zweite und eine dritte Wahrheit. Die zweite heißt: Schwarz-Gelb okay, aber nicht auf unsere Kosten. Die dritte: Nicht nur bei der SPD, auch bei der CDU beschäftigen sich ziemlich viele schon sehr konkret mit dem Gedanken an die große Koalition.

Amtlich ist das Thema in Merkels Partei ein noch größeres Tabu als bei den Sozialdemokraten. Schließlich ist Schwarz-Gelb die einzige offizielle Wunschkoalition, die eine Chance auf Verwirklichung hat. Keiner will hinterher schuld sein, wenn es nicht klappt. Außerdem mag niemand der SPD jene Zweifelnden zutreiben, die sozialdemokratischerseits ein Bündnis der zwei Volksparteien so übel gar nicht fänden. Soll Peer Steinbrück, findet einer aus der CDU- Strategietruppe, soll der Kanzlerkandidat also ruhig weiter für Rot-Grün werben, eine Kombination, für die eine Mehrheit inzwischen illusionär erscheint. Soll er weiter den tapferen Ritter geben, dem Respekt gebührt, weil er unverdrossen für ein Wunder kämpft. Derweil schlagen sich seine Sancho Pansas längst sachte seitwärts in die Büsche.

Seit kurzem treffen die dort im Gebüsch auf zwei ältere Herren. Die „Bild“-Zeitung druckte am Mittwoch ein Dreifach-Interview mit Steinbrück, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Der Uralt- und der Altkanzler sind darin nett zum Kandidaten, ausgenommen drei kurze Sätze. Steinbrück, lautet die Frage, habe es ja abgelehnt, als Vizekanzler in eine große Koalition zu gehen – ob der das dürfe? „Dürfen darf er das“, raunzte Schmidt. „Ob das klug ist, ist eine andere Frage.“ Schröder blieb da nur ein: „Ich kann dem nichts hinzufügen.“

Nein, klug ist es nicht. Unter Steinbrücks Fehlern war dieser freilich unvermeidlich. Als der Ex-Finanzminister vor Jahresfrist in die Kandidatur gestolpert wurde, schien Schwarz-Gelb erledigt und Rot-Grün denkbar. Außerdem hatte die SPD-Linke schon genug an einem zu schlucken, der sie früher schon mal als Heulsusen beschimpfte. Steinbrücks Absage, noch einmal unter Merkel als Minister zu dienen, war dieser Konstellation geschuldet – freilich auch dem prallen Selbstbewusstsein eines Mannes, der sich stark genug fühlte, die Beliebtheitskönigin zu entthronen.

Trittin ist Merkels bester Mann. Sie nennen ihn schon den "Professor aus Göttingen"

Dass er mit dieser Selbsteinschätzung vermutlich Merkels zweitbester Mann werden würde – hätte er es ahnen müssen? Die Wahl ist nicht entschieden, Überraschungen sind möglich, aber so viel wird man gegen Ende dieses Wahlkampfs wohl vorläufig bilanzieren können: Selten hat eine Opposition es der Amtsinhaberin so einfach gemacht. Merkel musste bloß den Fehlern der anderen zugucken und ansonsten nichts tun als das, was sie sowieso geplant hatte: ihren guten Ruf in sympathische Bilder umzusetzen. Ein wenig Privates, ein bisschen Staatenlenkerin, die Vier-Finger-Raute zum ironischen Bildzitat machen ...

Das Konzept ist einerseits logisch, andererseits riskant. In früheren Wahlkämpfen hat Merkel ihr Publikum oft überfordert mit dem Versuch, komplexe Pläne wie die Gesundheitsreform zu erklären. Diesmal ist der forderndste Teil ihrer Standardrede die Passage, in der sie vorrechnet, dass unter hundert Weltbürgern heute nur noch „etwas mehr als einer“ Deutscher sei, weshalb wir uns ganz besonders anstrengen müssten.

Merkel gewinnt Umfragen, nur bei Wahlen wird es knapp

Merkel bietet keine konkreten Versprechen, keine Vision, kein Projekt, kein Programm. Was sie anbietet, ist ein Regierungsstil. „Sie kennen mich“, ihr zentraler Satz aus dem Fernsehduell, fasst das Gesamtkonzept in drei Worte.

Die Gefahr dabei ist offenkundig. Sie war schon vor vier Jahren der Publikumsliebling. Genutzt hat es damals wenig. In der Partei ist die Erfahrung regelrecht zum Trauma geworden, dass die Merkel-CDU Umfragen mit Bravour gewinnt, aber Wahlen nur mit knapper Not. Alle misstrauen den 40-plus-x-Zahlen. Die meisten halten 38 Prozent für realistischer. Nicht wenige fürchten, dass Merkels Beruhigungsfeldzug versehentlich die eigenen Leute mit einschläfert.

Immerhin, auf dem Magdeburger Markt halten zwei Mädchen ein leuchtrotes Plakat mit der Aufschrift „Mutti“ hoch, mit einem Herzchen als I-Punkt. Weil die Girlies sehr jung sind und niemand von der „Partei“ des Berufssatirikers Martin Sonneborn zu sehen ist, meinen sie das möglicherweise ernst. Der Anti-Merkel-Protest übrigens beschränkt sich auf eine Handvoll junger Leute und einen sehr verwitterten, sehr bärtigen Paukenschläger, der früher gegen die Atomkraft gepaukt hat und jetzt dafür, dass man die Energiewende irgendwie „richtig machen“ müsse.

Das Häuflein ist insofern interessant, als es exemplarisch aufzeigt, wo eine clevere Opposition Merkels „Kanzlerin für Deutschland“-Solo vielleicht hätte aufbrechen können. Die CDU wusste, dass die Sache mit den Strompreisen für sie gefährlich ist. Kurz vor dem Wahlkampf hatten die Demoskopen von Infratest dem CDU-Präsidium dargelegt, wo die Leute ihre Partei für kompetent halten und wo nicht. Ein Ergebnis lautete, etwas verkürzt, dass man den Umweltminister Peter Altmaier am besten versteckt.

Bei den Grünen scheint der Befund nicht angekommen zu sein. Erst jetzt, nach dem Debakel in Bayern, beginnen sie sich ihrer alten Themen zu erinnern. Sie schimpfen inzwischen auch nicht mehr halböffentlich über Merkels „nordkoreanischen Personenkult“. Vielleicht haben sie gemerkt, dass dann auffällt, dass sie gerade selber keine Kultfigur von Joschka-Statur aufbieten können. Stattdessen haben sie Jürgen Trittin. Er ist Merkels bester Mann. Ganz böse Zungen in der CDU nennen ihn den „Professor aus Göttingen“, in Erinnerung an jenen Paul Kirchhof alias „Der Professor aus Heidelberg“, dessen überambitionierter Steuerplan die Oppositionsführerin Merkel 2005 fast den Sieg gekostet hätte.

Die Parallele bietet sich an. Und, klar, der Veggie-Day! Merkel nutzt die Vorlage zum einzigen Aufputscher in ihrer Rede: „Wenn Sie jemand brauchen, der Ihnen sagt, an welchem Tag Sie Fleisch essen sollen, dann sind Sie bei uns falsch.“ Die Anhängerschaft applaudiert höhnisch.

Für die ferner Stehenden schiebt Merkel nach, dass sie nichts gegen Vegetarier habe und daheim im Pfarrhaus am Freitag auch kein Fleisch gegessen habe, nur eben nicht nach Staatsvorschrift. Sie will nicht polarisieren, nicht mal in der Attacke. An der Seite von Unionshelden wie Edmund Stoiber oder Roland Koch hat sie beobachtet, wie sich die Marktplätze hinten zu leeren begannen, sobald die Unionsanhänger vorne selig johlten. Sie will aber auch die da hinten kriegen, Zögernde, Zweifelnde, Unentschiedene.

Brüderles Zweitstimmenkampagne ist raffiniert und zielt ins Herz der Christdemokraten

Doch seit letztem Sonntag reicht das nicht mehr. Seit die FDP in Bayern aus dem Landtag geflogen ist, muss Merkel um die eigenen Leute kämpfen, und das ausgerechnet gegen den Regierungspartner. Auch in der Magdeburger Fußgängerzone prangt auf allen FDP-Plakaten knallrot „Zweitstimme FDP“. Deren Spitzenmann Rainer Brüderle zieht durchs Land mit der trickreichen Botschaft, FDP-Stimme sei Merkel-Stimme, denn nur FDP-Stimme garantiere bürgerliche Regierung. Sonst drohe eine großkoalitionäre Kanzlerin von SPD-Chef Sigmar Gabriels Gnaden!

Brüderles Attacke ist raffiniert, weil sie ins Herz vieler Christdemokraten zielt. Auch deshalb finden am Donnerstag fünf Millionen Wähler einen Brief der Chefin höchstselbst im Briefkasten, in dem Merkel um beide Stimmen für die CDU bittet. Die fünf Millionen sind solche, von denen sie im Adenauer-Haus annehmen, dass sie zum Stammpublikum gehören. Die hängen an Schwarz-Gelb, trotz allem. Die könnten in Versuchung sein, Brüderles Flehen zu erhören.

Wobei, selbst in Merkels Umkreis fragen sich ja manche, ob eine Regierung mit den Sozialdemokraten eine gute Idee wäre. Es würde da viel rauer zugehen als beim letzten Mal. Franz Müntefering wollte nichts mehr werden nach dem Vizekanzler. Sigmar Gabriels Ehrgeiz reicht bekanntlich weiter. Und könnte er die CDU nicht ständig erpressen mit der Drohung, wenn sie nicht spure, dann werde man eben das Bündnis sprengen und mit rot-rot-grüner Mehrheit einen neuen Kanzler wählen? Merkel weg, Weg frei?

Bei genauerer Betrachtung verliert das Gruselszenario freilich an Schrecken. Auch eine Spielernatur wie Gabriel könnte einen Putsch nur wagen, wenn er einen sehr plausiblen Anlass fände. Das dürfte schwierig werden bei einer Kanzlerin, die für Kriege nicht mehr leicht zu haben ist und in der letzten schwarz-gelben Kabinettssitzung einen Mindestlohn für Steinmetze beschließen lässt – was man als schwarz-rotes Signal lesen kann, aber auch als Bosheit: Mindestlohn 8,50 Euro? Wir bieten den Steineklopfern 10,13 (Ost) und 11 Euro (West).

Nein, die Angst vorm roten Mann ist kein Ausschlussgrund für eine große Koalition. Zugleich gibt es Gründe dafür. Zum Beispiel einen Bundesrat, der auf absehbare Zeit rot-grün dominiert ist. Die nächste Regierung wird eine Art größtkoalitionäre Politik machen müssen. Und mit Blick auf die fernere Zukunft ist es womöglich auch nicht dumm, wenn die SPD unter den Mühen des Regierens stöhnt, statt in oppositioneller Dreitracht mit Grünen und Linken gemütlich die Machtübernahme 2017 vorzubereiten.

Jedenfalls haben Leute, die Merkel nicht fern stehen, schon vor Monaten ins Grundgesetz geguckt. Das Ergebnis war beruhigend. Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht und die SPD sich zieren sollte, gibt es Zeit und Instrumente, sie in den Regierungsbund zu drängeln.

Nur: Stark muss eine Kanzlerin dafür sein. Nicht dezimiert wie David McAllister in Niedersachsen, nicht unter allen Erwartungen ins Ziel gelaufen wie die Angela Merkel früherer Wahlen. Sie kämpft jetzt wirklich, und für sich allein. Am liebsten wäre ihr bloß, es merkt keiner. „Bei der zweiten Stimme, da steh’ ich zwar nicht auf Ihrem Zettel“, klärt Merkel ihr Magdeburger Publikum freundlich auf, „aber indirekt ist es doch die Stimme, die entscheidet, dass ich Ihre Kanzlerin bleiben kann.“ Oder eben, in der Kurzfassung: Merkel – nur mit CDU.

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