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Recep Tayyip Erdogan hat Strafanzeige gegen den Satiriker und ZDF-Moderator Jan Böhmermann gestellt.

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Update

Schmähgedicht von Jan Böhmermann: Erdogan stellt Strafantrag wegen Beleidigung

Die Bundesregierung will sich mehrere Tage Zeit nehmen, um den Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung von Jan Böhmermann zu prüfen. Nun hat Erdogan einen Strafantrag gestellt, wie die Staatsanwaltschaft in Mainz mitteilte.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat Strafantrag gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung gestellt. Ein entsprechendes Schreiben sei eingegangen, teilte die Staatsanwaltschaft Mainz am Montagabend mit. Gegenstand des durch eine Anwaltskanzlei gestellten Antrags sei das Schmähgedicht in der Sendung „ZDF Neo Royal“ vom 31. März. Der Strafantrag werde in dem bereits anhängigen Verfahren geprüft werden, hieß es weiter.

Verbale Unterstützung bekommt Böhmermann nicht nur von vielen Kommentatoren der großen deutschen Zeitungen, sondern auch von einem alten Bekannten: Als im März 2015 alle Welt über den Stinkefinger von Yanis Varoufakis diskutierte, sprang Jan Böhmermann ihm zur Seite - und tischte die Geschichte vom #Varoufake auf, dem Video, das angeblich von seiner Redaktion gefälscht worden sei. Die Verwirrung war komplett - und der damalige griechische Finanzminister nicht mehr allein in der Schusslinie.

Jetzt steht der Satiriker Böhmermann unter Druck. Und kann sich auf Yanis Varoufakis verlassen. "Hände weg von Jan Böhmermann!", twitterte der Polit-Rentner am Montag, nachdem dieser wegen seines Schmähgedichts auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Bedrängnis geraten war. "Europa hat zuerst seine Seele verloren", schrieb Varoufakis im Hinblick auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. "Jetzt verliert es seinen Humor."

Plötzlich Verbündete: Jan Böhmermann (links) und Yanis Varoufakis.
Plötzlich Verbündete: Jan Böhmermann (links) und Yanis Varoufakis.

© imago/dpa

ZDF-Intendant Bellut: „Ich stehe zu den Satire-Sendungen“

Aus Sicht des ZDF wird der Böhmermann-Vorfall keinen Einfluss auf die Satire-Programme des Senders haben. „Ich stehe natürlich zu den Satire-Sendungen, zu den Moderatoren und zu Herrn Böhmermann auch“, sagte ZDF-Intendant Thomas Bellut am Montag in Hannover. „Ich plädiere dafür, dass ein kleiner Teil dieser längeren Satire-Sendung nicht so hoch gehoben wird. Am Ende bleibt eine Sendung, über die man so oder so urteilen kann.“ Zur Löschung der Satire aus Sendung sowie Mediathek sagte Bellut: „Sie entsprach nicht den Vorstellungen, die wir vom Programm haben. Ich fand es einen Tick zu hart, einen Tick zu weit gegangen." Es habe keinen Druck von außen gegeben: „Das war reine Meinung des Programmdirektors, das war seine Auffassung, dass wir es aus der Mediathek genommen haben.“ Beim ZDF habe es nach der Sendung rund 2000 Mails oder Anrufe mit Beschwerden gegeben. „So bin ich auch erst auf die Sendung aufmerksam geworden. Und daraufhin haben wir reagiert.“ Zu den Ermittlungen der Justiz sagte Bellut: „Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dem nachzugehen. Ich habe volles Vertrauen in den Rechtsstaat.“

Erdogan-Sprecher: Gedicht habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun

Wie ernst die Sache für Böhmermann werden könnte, dürfte sich in dieser Woche zeigen. Die Bundesregierung will sich mehrere Tage Zeit nehmen, um eine mögliche Strafverfolgung Böhmermanns zu prüfen. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte am Montag in Berlin, dass von der türkischen Botschaft eine sogenannte Verbalnote eingegangen sei. Dabei gehe es um das förmliche Verlangen nach Strafverfolgung in Reaktion auf das Schmähgedicht, das in der ZDFneo-Sendung „Neo Magazin Royale“ ausgestrahlt wurde.

Seibert sagte, mit solch einer Frage sei die Bundesregierung in den vergangenen Jahren nicht befasst gewesen. Daher werde die Prüfung einige Tage dauern.

Seibert widersprach zudem dem seit dem Wochenende immer lauter gewordenen Vorwurf, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidige vor dem Hintergrund des EU-Türkei-Abkommens in der Flüchtlingspolitik die Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit nicht vehement genug vor der Türkei. Artikel fünf des Grundgesetzes, der die Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft umfasst, sei weder nach innen noch nach außen verhandelbar, sagte Seibert.

Am Montag bestätigte ein Erdogan-Sprecher einen Bericht des Tagesspiegels, demnach die Türkei verlange, Böhmermann strafrechtlich zu verfolgen. Das Gedicht richte sich sowohl gegen Erdogan, als auch gegen das türkische Volk. „Vulgäre Aussagen, die derartige Beleidigungen enthalten“, hätten nichts mit Meinungs- oder Pressefreiheit zu tun, sondern seien eine Straftat.

Türkei nennt Böhmermann-Gedicht „Verbrechen gegen Menschlichkeit“

Die türkische Regierung hat das Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann als inakzeptabel bezeichnet und dessen Bestrafung gefordert. Das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, sondern von allen 78 Millionen Türken, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus am Montag im südosttürkischen Sanliurfa. „Deshalb wollen wir als Republik Türkei natürlich, dass dieser unverschämte Mann im Rahmen der deutschen Gesetze sofort wegen Beleidigung eines Präsidenten bestraft wird.“ Kurtulmus betonte aber, die Türkei wolle „absolut keinen politischen Druck“ auf Deutschland ausüben. Er warf Böhmermann vor, mit dem Gedicht ein „schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen zu haben. Der Text habe „alle Grenzen der Schamlosigkeit übertroffen“. Die Regierung in Ankara könne das nicht akzeptieren.

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Journalistenverband rechnet nicht mit Prozess

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Frank Überall rechnet unterdessen nicht mit einem Prozess gegen Jan Böhmermann. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anklage erhoben wird. Und ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Böhmermann tatsächlich verurteilt wird“, sagte Überall am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Man müsse Böhmermann „zugute halten“, dass er mit seinem Gedicht eine Debatte darüber ausgelöst habe, was Satire darf. „In der Türkei dürften wir diese Diskussion mit Sicherheit nicht führen. Und ich bin glücklich in einem Land zu leben, in dem das möglich ist.“ Allerdings wäre ein Strafverfahren nicht grundsätzlich abzulehnen, sagte der DJV-Vorsitzende. „Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist dabei aber immer, Be- und Entlastendes zusammenzutragen.“ Böhmermann habe nach seiner „instinktlosen Provokation“ mit einer juristischen Prüfung rechnen müssen, sagte Überall.

EU schweigt zum Böhmermann-Fall

Die EU-Kommission will sich derweil nicht in den Böhmermann-Fall einmischen. Dieser betreffe strafrechtliche beziehungsweise Beleidigungs-Vorschriften in Deutschland und der Türkei. Dazu habe „die Europäische Kommission keinen Kommentar zu geben, weil sie eine Angelegenheit für die nationalen Behörden sind“, erklärte eine Kommissionssprecherin am Montag auf Anfrage.

Böhmermanns Fernsehshow „Neo Magazin Royale“ steht derweil nach ZDF-Angaben nicht zur Disposition. „Die Sendung wird wie bisher fortgeführt“, teilte der Sender am Montag auf Anfrage mit. Die Aufzeichnungen sollen wie gewohnt stattfinden, sagte ein ZDF-Sprecher. „Neo Magazin Royale“ werde am Donnerstagabend in der Mediathek und auf ZDFneo sowie am Freitag im ZDF zu sehen sein.

Grüne wollen "Majestätsbeleidigung" abschaffen

Die Grünen, den Paragrafen zur Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Ein Paragraf zur „Majestätsbeleidigung“ sei nicht mehr zeitgemäß, sagte Parteichefin Simone Peter am Montag in Berlin. Es könne nicht sein, „dass andere Länder darüber urteilen, wie wir Meinungs- und Pressefreiheit deuten.“

Vorsitzender der Türkischen Gemeinde kritisiert Böhmermann

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu: „Ich finde das nicht satirisch, sondern deplatziert und beleidigend“, erklärte Sofuoglu, der gleichzeitig Landesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg ist. Böhmermann und das ZDF sollten sich entschuldigen. Eine Anklage hält Sofuoglu aber nicht für notwendig. Er kenne Böhmermann eigentlich als guten Satiriker, diesmal sei er aber „unter die Gürtellinie“ gegangen, sagte Sofuoglu. „Wenn ein türkischer Kabarettist so etwas über Angela Merkel gesagt hätte, fände ich das auch nicht gut“, sagte Sofuoglu. Die Reaktionen in der türkischstämmigen Gemeinde seien gespalten und vor allem von der persönlichen Meinung zum türkischen Staatspräsidenten abhängig. (Tsp, dpa)

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