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Politik: Schmusen mit der Katze im Sack - Der Westen verhält sich dem russischen Interimspräsidenten gegenüber zu unkritisch (Kommentar)

Russlands Interimspräsident Wladimir Putin kann dem Westen wesentlich größeren Schaden zufügen als Österreichs Rechtsaußen Jörg Haider. Doch während Haider europaweite Ächtung erfährt, wird Putin von westlichen Politikern umworben.

Russlands Interimspräsident Wladimir Putin kann dem Westen wesentlich größeren Schaden zufügen als Österreichs Rechtsaußen Jörg Haider. Doch während Haider europaweite Ächtung erfährt, wird Putin von westlichen Politikern umworben. Außenminister Joschka Fischer, seine amerikanische Amtskollegin Madeleine Albright und Nato-Generalsekretär George Robertson - alle hatten es eilig mit ihren Erkundungsflügen zu Russlands neuem starken Mann, und alle sind wieder nett zu Moskau.

Fischer ließ in Moskau seinen leidlich harten Worten zum Thema Tschetschenien keine Taten folgen - und warnte ansonsten vor dem Versuch, Russland unter Druck zu setzen. Madeleine Albright zeigte sich angetan von Wladimir Putins "offener Art". Nato-Generalsekretär George Robertson äußerte gar ein teilweises "Verständnis" für das Vorgehen Russlands im Kaukasus. Jetzt will die Nato ein neues Kapitel in ihren Beziehungen zu Moskau aufschlagen.

Die versöhnlichen Töne in der westlichen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber der einstigen Supermacht Russland stützen Interims-Präsident Wladimir Putin. In vier Wochen wählen Russlands Bürger einen neuen Präsidenten. Die Besuche der westlichen Politiker im Vorfeld dieser Wahl sind in der diplomatischen Praxis unüblich - es wäre an Putin gewesen, Antrittsvisiten zu machen - nach der Wahl. Der Zeitpunkt dieser Reisen zeigt, dass der Westen den Sieg Putins schon für entschieden hält.

Damit wiederholt sich ein Schema, das schon nach dem ersten russischen Tschetschenienkrieg 1996 politische Praxis war: Trotz der Gräueltaten im Kaukasus leistete der Westen damals mit Staatsbesuchen einem kränkelnden Präsidenten Boris Jelzin aktive Wahlkampfhilfe. Auch diesmal klammert sich der Westen an denjenigen, der bereits die Macht im Kreml hat - Tschetschenien wird zu Nebensache. Doch eines unterscheidet die heutige Situation von der 1996: Während Boris Jelzin sich damals bereits über Jahre als weitgehend verlässlicher Partner profiliert hatte, weiß der Westen über Putin und seine außen- und sicherheitspolitischen Absichten fast gar nichts.

Hindernisse für die beschworene Wiederbelebung der bilateralen Beziehungen gibt es bereits heute viele. Die Abrüstung stockt, weil die Duma sich seit Jahren weigert, Start II zu ratifizieren. Die USA ihrerseits beharren auf einem Raketenabwehrschirm. Dafür floriert in Russland die moralische Aufrüstung: Die neue russische Militärdoktrin nennt den Westen wieder als potenziellen Gegner und senkt die Barriere für einen Einsatz von Nuklearwaffen deutlich.

Es wird schwierig sein, unter diesen Bedingungen zu einem konstruktiven Dialog zurückzufinden. Und dem ehemaligen KGB-Mann Wladimir Putin kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Und sein wahres Gesicht wird der gelernte Spion erst zeigen, nachdem ihn die Russen am 26. März zum Präsidenten gewählt haben. Hoffentlich wird sich der Westen dann nicht sehr wundern.

Doris Heimann

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