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Prinzipien auf Kosten der Geschmeidigkeit: Bundeskanzler Olaf Scholz gibt der Ukraine Hilfszusagen, deren Ende Kiew bestimmt.

© Tobias SCHWARZ/AFP

Regierungserklärung zur Ukraine: Scholz kann auch forsch

Der Kanzler legt immer konkreter und prinzipieller Kriegsziele fest. Das begrenzt seine Flexibilität, auf den Kriegsverlauf zu reagieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In Kriegen, Revolutionen und anderen Umbrüchen wird Politik zu einem hoch riskanten Geschäft. Der Ausgang ist ungewiss. Das verlangt den Handelnden Geschmeidigkeit ab.

Was heute richtig ist, kann morgen falsch sein – und umgekehrt. Wer sich früh auf konkrete Ziele und Bedingungen festlegt, riskiert Kopf und Kragen.

Der französische Diplomat Talleyrand hat das Bonmot hinterlassen, Hochverrat sei eine Frage des Datums. Ihm gelang es, immer noch rechtzeitig die Seite zu wechseln. Nach 1789 diente er der Revolution, dann Napoleon und nach dessen Sturz den zurückgekehrten Bourbonen als Außenminister.

Ist Kanzler Olaf Scholz aus dieser Perspektive klug beraten, in Interviews und Regierungserklärungen immer konkreter seine Ziele zu beschreiben, wie der Krieg in der Ukraine verlaufen und enden soll? „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen“, sagte er am Donnerstag im Bundestag.

Russscher Abzug als Vorbedingung für Verhandlungen

In einem Interview legte er fest: „Unser Ziel ist, dass der russische Invasionsversuch scheitert. Das ist der Maßstab für unser Handeln.“

Nach Telefonaten mit Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin definierte er gar als Bedingungen für eine diplomatische Verhandlungslösung ein „Ende der Kampfhandlungen seitens Russland und einen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine“.

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Das klingt ziemlich forsch, geradezu nicht Scholz-gemäß. Man sagt ihm doch nach, dass er vorsichtig kommuniziere und Festlegungen scheue, solange unklar sei, ob er sie einhalten kann. Auch daher rührt das öffentliche Bild, er sei ein Zauderer und Bremser.

Das, worauf der Kanzler die Bürger nun einstimmt, ist meilenweit von der Gefühlslage zu Kriegsbeginn entfernt. Offen schien damals nur, wie rasch die Ukraine kapitulieren werde und wie viel Gebiet sie um des Friedens willen abtreten müsse. Nicht aber, dass Putin die Bedingungen diktiere.

Kann Scholz garantieren, dass er seine Prinzipien durchsetzt?

Nach Völkerrecht und Moral ist nichts falsch an den Scholz-Prinzipien. Aber sollte es frei nach Talleyrand nicht besser „eine Frage des Datums“ sein, wann ein Kanzler sie ausspricht, um sich Flexibilität zu bewahren?

Kann Scholz heute garantieren, was er als Grundsätze ausgibt: kein russischer Diktatfrieden, keine Entscheidungen über die Ukraine hinweg?

Dass die Ukrainer das entscheidende Wort haben sollen, wie lange sie kämpfen und unter welchen Bedingungen sie verhandeln, klingt einerseits richtig. Es geht um ihr Land, sie riskieren ihre Leben.

Andererseits kann die Blankozusage, die Ukraine zu unterstützen, solange sie den Krieg zur Rückeroberung fortsetzen möchte, über kurz oder lang in ein Dilemma führen. Wie geschlossen bleibt die internationale Allianz, wenn Putin eine Waffenruhe anbietet, aber die ukrainische Armee die besetzten Gebiete nicht zurückerobert hat?

Abrücken von Macron, Annäherung an Biden

Nach der Scholz-Maxime – Rückzug der Russen aus der Ukraine als Vorbedingung einer Verhandlungslösung – müsste Deutschland dann Nein sagen, jedenfalls solange Selenskyj auf dem Prinzip beharrt.

Emmanuel Macron wirbt hingegen, man müsse Putin einen gesichtswahrenden Ausweg offen halten. Da ist der Kanzler ein wenig von Paris abgerückt und hat sich Joe Biden und Boris Johnson angenähert, die Selenskyj ebenfalls Kriegshilfe zugesagt haben, solange er sie haben will.

Doch: Wie würde die öffentliche Meinung in Deutschland reagieren, wenn Putin eine Waffenruhe anbietet, die Scholz’ Bedingungen nicht erfüllt? Erlaubt sie dem Kanzler, sich treu zu bleiben, oder wendet sie sich gegen ihn?

Ironie: Der Ruf des Bremsers kann Scholz mehr Freiheit schenken

Politik in ungewissen Zeiten schreibt ihre eigenen Pointen. Erstens könnte es sein, dass der Ruf des risikoscheuen Bremsers ihm dann die Freiheit gibt, die Ukraine zu unterstützen, bis sie ihre Gebiete unter Kontrolle hat.

Zweitens ist nüchtern festzuhalten: Deutschland wird nicht das entscheidende Wort haben. Wie lange und für welche Ziele die Ukraine kämpfen kann, hängt von denen ab, die die entscheidende Hilfe leisten, voran den USA. Was Scholz an Prinzipienfestigkeit gewinnt, hat er an Geschmeidigkeit verloren.

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