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Politik: Schüsse auf Angeklagten im Mordfall Politkowskaja

Tschetschene im Zentrum von Moskau angegriffen Neuer Prozess begann im Juli.

Moskau - Die Szene könnte aus einem nicht sehr gelungenen Gangsterfilm stammen: Zunächst passiert nicht viel, doch plötzlich werden Schüsse auf einen der Hauptverdächtigen abgefeuert, der Auskunft auf Hintermänner und Drahtzieher geben könnte. Es ist kein Film, sondern Realität. Und es geht um einen der spektakulärsten Mordfälle mit politischem Hintergrund in der jüngeren Geschichte Russlands, den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja.

Sie wurde im Oktober 2006 im Flur ihres Moskauer Wohnhauses erschossen. Die Journalistin hatte für die oppositionelle „Nowaja Gaseta“ gearbeitet und war wiederholt durch „unfreundliche“ Berichterstattung zum Krieg in Tschetschenien und durch kritische Distanz zu Kremlchef Wladimir Putin aufgefallen.

Bei russischen Geheimdiensten und im Umfeld von Ramsan Kadyrow, Tschetschenen-Präsident von Moskaus Gnaden, verorteten Regimekritiker im In- und Ausland denn auch die Auftraggeber. Putin konterte umgehend: Der Mord an der kritischen Journalistin habe Russland mehr geschadet als alles, was sie geschrieben habe. Der Fall werde schnell und lückenlos aufgeklärt. Es kam wieder einmal anders.

Zwar wurden die Tatverdächtigen schon 2007 und damit in rekordverdächtigem Tempo festgenommen, im November 2008 begann der Prozess vor dem Moskauer Militärgericht. Die Beweise überzeugten die Geschworenenjury allerdings nicht, sie plädierte auf Freispruch. Der Oberste Gerichtshof Russlands kassierte das Urteil im Juni 2009. Zwei Monat später begann die Untersuchungsbehörde bei der Generalstaatsanwaltschaft mit neuen Ermittlungen, im Mai 2011 wurde der mutmaßliche Todesschütze in Tschetschenien festgenommen: Rustam Machmudow. Der Prozess gegen ihn begann Ende Juli dieses Jahres, mitangeklagt sind die Hauptverdächtigen aus dem ersten Verfahren, die sich bei dem Mord um Logistik und Ausspähen des Opfers gekümmert haben sollen: ein ehemaliger Polizeioffizier, ein Onkel des mutmaßlichen Mörders und zwei seiner Brüder, Ibrahim und Dschebrail.

Auf Letzteren wurden Mittwochabend im Zentrum von Moskau Schüsse abgefeuert. An der Hüfte getroffen wurde er im Krankenhaus operiert. Die Kugel wurde bisher nicht gefunden. Ihr Kaliber könnte Aufschluss über das Tatwerkzeug geben und auch die Frage klären, ob es sich um eine Dienstwaffe handelt, wie sie Polizisten und Geheimdienstler tragen.

Der Anschlag könne mit dem Prozess in Zusammenhang stehen, sagte der Anwalt der Brüder Machmudow, Murat Mussajew, bei Radio Echo Moskwy. Die direkte Frage, ob mit den Schüssen eine der Schlüsselfiguren eingeschüchtert oder gar ausgeschaltet werden sollte, um belastende Aussagen zu verhindern und die Auftraggeber zu schützen, mochte der Anwalt nicht beantworten. Die Menschen, die die Journalistin verfolgt und getötet hätten, seien weiter auf freiem Fuß, ließ er sich dazu nur entlocken.

Alle Angeklagten beteuern auch im zweiten Prozess ihre Unschuld. Die Kinder von Politkowskaja dagegen gehen davon aus, dass die Angeklagten nicht alles sagen. was sie wissen. Die Hintermänner des Mordanschlags sind noch immer unbekannt. Elke Windisch

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