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© dpa

Schwarz-Gelb: Bemüht lautstarke Opposition

Die Opposition sieht Schwarz-Gelb nach 100 Tagen als gescheitert an. Richtig überraschend ist das nicht.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Frank-Walter Steinmeier sagt viele richtige Sätze und ein paar, zu denen so ein SPD-Fraktionschef nun mal verpflichtet ist nach 100 Tagen andersfarbiger Regierung. Aber ein Satz ist ganz besonders richtig: „Die Opposition muss sich schon bemühen, lautstark zu sagen: Dieses Gesetz muss vom Tisch!“ Er meint den Mehrwertsteuerrabatt für Hotels. Den finden nicht nur SPD, Linke und Grüne falsch, sondern neuerdings auch der FDP-Vize Andreas Pinkwart. Der Fall illustriert ein Generalproblem: Wie soll eine Opposition sich bemerkbar machen, wenn die Regierung sich allemal selbst der beste Kritiker ist?

Umso gelegener kommt der 100- Tage-Tag als traditioneller Anlass für das erste Zwischenzeugnis. Die Noten fallen schrecklich aus. „Mangelhaft“ vergibt Steinmeier, „Mangelhaft minus!“ Der Linkspartei erscheint selbst das zu gnädig: eine glatte Sechs für Schwarz- Gelb. „Mich hat in erster Linie überrascht, wie diese angebliche Liebesheirat sich sehr schnell zu einer Problemehe entwickelt hat“, sagt die designierte Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch. „Jedes vernünftige Ehepaar würde nach diesen 100 Tagen Flitterwochen direkt zum Scheidungsrichter gehen“, ergänzt Grünen-Chef Cem Özdemir. Die drei sagen das auf getrennten Pressekonferenzen. Aber in der grundsätzlichen Kritik passen die drei Oppositionsfraktionen nahtlos zueinander.

Diese Kritik fällt nicht schwer. „Fehlstart“, „Klientelpolitik“, „Chaos und Gezänk“ – wer wollte ernsthaft widersprechen? Selbst der Kanzleramtsminister oder die FDP-Fraktionschefin gestehen ja ein, dass die „Außendarstellung“ der Koalition verbesserungsbedürftig sei. Und die Kanzlerin verweist darauf, sie sei „mitten im Lauf“, die Regierungsarbeit über die gesamte Legislaturperiode nicht mit einem100-Meter-Sprint zu vergleichen, sondern eher mit einem Lauf über 8000 Meter. „Da laufen wir ganz gut und auf der Bahn“.

Darin allerdings, dass so offensichtlich der Haussegen schief hängt im Regierungslager, liegt zugleich das Problem der sozialdemokratischen, grünen, linken Widersacher. Ihrer Kritik fehlt ein bisschen das Überraschungsmoment und damit die schmerzhafte Schärfe.

Man kann das gut an Steinmeier beobachten. Der Ex-Kanzlerkandidat zählt sich sowieso nicht zu den Fundamentalisten: „Wir und insbesondere ich“, sagt er, strebten eine verantwortungsbewusste Opposition an, die sich nicht in Schadenfreude erschöpfe. Deshalb erneut in Sachen Afghanistan eine längere Kette von Wenn und Aber, die trotzdem erkennbar auf ein Ja der SPD zu einem neuen Bundeswehrmandat hinausläuft. Deshalb das Angebot, im Streit um die Organisation der Jobcenter eine Grundgesetzänderung mitzutragen.

Die Kritik an der Regierung im Detail fällt ein bisschen pflichtschuldig aus. Die schwarz-gelbe Koalition habe bisher ein Gesetz auf den Weg gebracht, das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, die große Koalition im gleichen Zeitraum 54 Gesetzesvorstöße – was beweise, dass die neuen Partner ohne Plan, Ziel und Kompass unterwegs seien. Auch dass nach der NRW-Wahl im Mai die Bürger mit Einschnitten rechnen müssten – „eine Täuschung des Wählers“ –, dass der FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler eine Kopfpauschale wolle – „ein wirklicher Sprengsatz“ –, das alles hat man schon mal gehört.

Einmal bekommt Steinmeiers Anklage Biss: Was habe die FDP erst Rot-Grün und dann die große Koalition gedrängt, die Regierung zu verkleinern, Ministerien, Staatssekretäre, ganze Abteilungen einzusparen! „Was haben sie uns gegeißelt!“ Aber kaum sind sie selber dran, die Liberalen, da gebe es in der Regierung „alles in allem 1000 mehr Beamte als zu Zeiten der großen Koalition“. So was sitzt besser als die großen Worte. Denn der Vorwurf, dass sie vor der Wahl anders geredet als sie nach der Wahl gehandelt haben, schlägt Guido Westerwelles FDP derzeit überall von enttäuschten Anhängern entgegen.

Aber tut nicht auch die Erinnerung an Franz Münteferings berühmtesten Satz weh, an das „Opposition ist Mist“? Steinmeier guckt etwas gequält. Er habe sich beim Wähler um einen anderen Job beworben. Andererseits: „Kaum jemals hat eine Regierung gezeigt, wie wichtig Opposition ist.“ Kaum je war eine Regierung aber auch so perfekt im Selbst-Opponieren. Auf sechs Seiten ziehen die Fraktionsspitzen von Union und FDP ihre eigene 100-Tage-Bilanz. Nur fehlt ein Punkt auf der detaillierten Liste: über den Hotelrabatt – kein einziges Wort.

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