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© dpa

Schwerstdrogenabhängige: Wird der Bundestag eine Heroin-Abgabe beschließen?

Der Bundestag entscheidet am Donnerstag, ob Schwerstdrogenabhängige Heroin künftig auf Rezept bekommen sollen. Wie wahrscheinlich ist es, dass dieses Vorhaben umgesetzt wird?

Im Bundestag scheint die berühmt-berüchtigte Fraktionsdisziplin zunehmend aus der Mode zu kommen. Nach Stammzelldebatte, Spätabtreibungsdisput und dem soeben wieder von der Tagesordnung gekippten Thema Patientenverfügung dürfen die Abgeordneten an diesem Donnerstag erneut frei abstimmen. Diesmal jedoch ist die Konstellation eine ganz besondere. Die SPD hat sich – unterstützt von Grünen, FDP und Linksfraktion – einen Antrag CDU-geführter Länder zu eigen gemacht. Und die Unionsfraktion versucht, das Ansinnen ihrer eigenen Parteifreunde zu verhindern.

Bei der namentlichen Abstimmung geht es darum, ob Schwerstdrogenabhängige künstliches Heroin, das sogenannte Diamorphin, künftig auf Rezept erhalten sollen. Die Union warnt davor, hat aber gegen die geballte und fraktionsübergreifende Formation der Befürworter kaum eine Chance. Es gebe den klaren Nachweis über die Wirksamkeit der Diamorphin-Behandlung, sagt SPD-Expertin Carola Reimann und verweist auf das Ergebnis eines seit 2002 laufenden Modellversuchs in sieben Großstädten. Die Behandlung sei für viele die letzte Chance, ins geregelte Leben zurückzufinden. Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nennt die Fortführung „menschlich geboten und gesellschaftspolitisch vernünftig“. Und der Leiter des bundesweiten Modellprojekts, Christian Haasen, betont, dass sich das Projekt langfristig auch für Krankenkassen und Kommunen bezahlt mache. Schließlich beseitige man durch kostenlose und saubere Heroinabgabe nicht nur die Beschaffungskriminalität, sondern spare sich auch hohe Kosten für die Behandlung von Junkie-Krankheiten wie Aids oder Hepatitis.

Die Kommunalpolitiker von Städten mit starker Heroinszene sehen diese Vorteile sehr wohl – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. So steht etwa die CDU- Politikerin Petra Roth als Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main an der Spitze der Befürworter. Die Krankenkassen dagegen, die das künstliche Heroin bezahlen müssten, wehren sich. Die Vorteile gegenüber dem deutlich billigeren Ersatzstoff Methadon seien „nicht sehr ausgeprägt“, heißt es beim GKV-Spitzenverband. Es gebe Sicherheitsprobleme und „erhebliche Bedenken“, was die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die Routineversorgung betrifft. Die Heroinabgabe auf Rezept berge „das Risiko, dass es auf Dauer zu einer Abgabe des Suchtstoffes kommt und das Ziel der Abstinenz aus den Augen verloren wird“. Außerdem lasse sie sich kaum auf eine kleine Gruppe Schwerstabhängiger beschränken – was gesundheitspolitisch, medizinisch und auch finanziell „nicht vertretbar“ sei.

Die Unionsfraktion argumentiert ähnlich. Auch wenn die Drogenbeauftragte der Regierung, Sabine Bätzing (SPD), beteuert, dass die angestrebte Änderung des Betäubungsmittelgesetzes „kein Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik“ sei und man harte Drogen keineswegs verharmlosen wolle – die Konservativen sehen in dem Vorhaben genau diesen Dammbruch und greifen in der ideologisch gefärbten Debatte auch gern mal zu Parolen wie dem „Staat als Dealer“ oder dem „Kick auf Krankenschein“. Dabei haben die Initiatoren klargestellt: Zum Zuge kommen sollen nur Schwerstabhängige, die älter als 23 Jahre sind, seit mindestens fünf Jahren abhängig sind und bereits eine erfolglose Methadon-Therapie hinter sich haben. Zudem soll die Diamorphin-Abgabe nur unter Beobachtung und in anerkannten Einrichtungen erfolgen.

Die Schätzungen der Antragsteller reichen von 1500 bis 3000 Patienten bei Kosten von etwa 14 000 Euro pro Patient und Jahr. Die Unionsfraktion dagegen geht, unter Berufung auf Krankenkassen- und Ärztewarnungen, von einer Fallzahl von bis zu 80 000 der 140 000 Heroinabhängigen aus. Außerdem lasse der Modellversuch bislang noch viele Fragen offen, sagt CDU-Experte Jens Spahn. So sei nicht geklärt, welche Rolle zusätzlich eingenommene Drogen spielten und ob die Diamorphin-Gabe die Betroffenen tatsächlich von ihrer Sucht abbringe. Außerdem habe sich gezeigt, dass die verstärkte psychosoziale Betreuung auch bei der Methadon-Behandlung hohe Erfolge bringe. Wenn man dies in der Regelversorgung berücksichtige, könne man sich womöglich die hochproblematische Ausgabe von Heroin auf Beitragszahlerkosten sparen.

Um das alles zu klären, müsse man den Modellversuch verlängern, fordert Spahn. Der Paritätische Gesamtverband, eine Vereinigung freier gemeinnütziger Kranken- und Pflegeanstalten, bezeichnete das am Mittwoch als „Hinhaltetaktik und hinausgeworfenes Geld“. Man dürfe „ideologische Streitigkeiten nicht auf Kosten Schwerstkranker austragen“.

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