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Politik: Selbst die Mittelschicht denkt rechts

Russland hat weltweit die meisten Neonazis. Auch das Gros der Bürgerlichen ist extremistisch

Ausgerechnet in Russland, das im Kampf gegen den Faschismus die meisten Opfer brachte, tummeln sich weltweit die meisten Neonazis. Experten gehen von mindestens 50000 aus. Tendenz: stark steigend. Allein im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der Skinheads um rund 50 Prozent. Sogar Putin schämte sich dafür öffentlich bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.

Nachdem Menschenrechtler bereits seit langem warnen, legte jetzt auch das staatsnahe Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung die Ergebnisse alarmierender Umfragen vor: Demzufolge nehmen 43 Prozent der Bevölkerung auf nationalistischen Positionen ein, 16 Prozent vertreten sogar radikalnationalistische Ansichten. Während noch 1998 knapp 30 Prozent die Losung „Russland den Russen“ bejahten, sind es jetzt schon mehr als 40 Prozent. Das Moskauer „Büro für Menschenrechte“, das in der vergangenen Woche seinen Jahresbericht zu Ausländerfeindlichkeit, ethnischer Diskriminierung und Antisemitismus vorstellte, kam bei einschlägigen Umfragen sogar auf bis zu 60 Prozent. Obwohl die Verfassung Völker- und Rassenhass verbietet, dürfen gleich mehrere radikalnationale Parteien weit gehend ungehindert für ihre Ziele trommeln, sagte der Autor des Berichts, Semjon Tscharnyj, beim russischen Dienst von Radio Liberty. Darunter auch die 2003 verbotene „Russische Nationale Einheit“. Sie und andere extremnationalistische Bewegungen bekämen häufig sogar Unterstützung von Parteien, die in der Duma vertreten sind: von den Liberalen, aber auch von der KP und vor allem durch das linksnationale Bündnis Rodina (Heimat). Bei allen dreien, sagte Tscharnyj, würden Skinheads als Boten, Bodyguards und sogar als Referenten von Abgeordneten auf der Gehaltsliste stehen.

Polizei und Geheindienste würden das Phänomen ignorieren oder verdrängen, erklärte Tscharnyj. Auch, weil die Beweisführung ohne spezielle Vorkenntnisse extrem schwierig sei. Die Gerichte hätten daher mehrere Klagen bereits abgewiesen. Zudem würden die Rechtsschutzorgane häufig mit extrem nationalistischen Positionen sympathisieren, sagte der Menschenrechtler.

Besonders beunruhigt die Experten, dass bei der im Entstehen begriffenen Mittelklasse – im Westen tragende Säule der Demokratie – extremnationalistisches Gedankengut offenbar auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Mehr als 50 Prozent der Befragten, die sich dem Mittelstand zurechnen, forderten neben Maßnahmen zur Festigung der Souveränität Russlands auch einen ethnisch homogenen Nationalstaat. Nicht nur Bürger der Ex-Sowjetrepubliken, auch Angehörige der nichtrussischen Völker – 20 Prozent der Gesamtbevölkerung – werden als akute Bedrohung wahrgenommen. Allen voran die Kaukasier: neben Muslimen wie Tschetschenen und Aserbaidschaner sogar die christlichen Armenier. Fast ebenso unbeliebt sind Juden, Roma und Sinti.

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