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Auf dem Weg nach Westen. Ein Junge hat sich in eine Decke gehüllt, um sich vor dem Nieselregen zu schützen. Mit seiner Familie läuft er in Richtung serbische Grenze.

© AFP

Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland: Serbien ist der Musterschüler auf dem Balkan

Auf der Balkanroute müssen Flüchtlinge viel erleiden. Serbien hingegen will ein guter Gastgeber sein - und profitiert von den Migranten. Ein Besuch in Sid an der Grenze zu Kroatien.

Abu Bakr hat es sich auf dem alten braunen Metallbett bequem gemacht. So bequem wie möglich, denn vor ihm auf der grauen Armeedecke sitzt seine Frau, in seinem Rücken schläft seine jüngste Tochter. Sie ist gerade erst vier Monate alt. Vor dem Mann in schwarzer Jogginghose und himmelblauem Pullover liegen geöffnete Sardinen- und Thunfischdosen, Wasserflaschen und Brot. Die zwölfjährige Tochter Kale hat die Lebensmittel eben in einer Plastiktüte von einer Helferin des Roten Kreuzes ausgehändigt bekommen.

Feste Unterkünfte für Familien

"Wo sind wir?", fragt Abu Bakr in kaum verständlichem Englisch und zeigt zur Verdeutlichung immer wieder auf den Boden. "Ukraine?" Doch er ist nicht in der Ukraine, sondern in Serbien. In einem ehemaligen Kinderkrankenhaus in Sid nahe der Grenze zu Kroatien. Die serbischen Behörden haben das Gebäude als Flüchtlingsunterkunft hergerichtet.

Um die 80 Personen können hier unterkommen, Familien in kleineren Zimmern mit Betten und Glasfenstern zum Flur, allein reisende Männer auf Pritschen in der Halle. Die sanitären Einrichtungen sind dürftig, dafür gibt es ein medizinisches Betreuungsteam, Spielzeug für die Kinder und draußen sogar einen Spielplatz.

Doch viele der Pritschen und Betten sind leer, denn die meisten Flüchtlinge wollen möglichst schnell weiter. Man weiß schließlich nie, ob Kroatien, Ungarn oder Slowenien wieder einmal die Grenzen schließen. Viele haben auch Angst, in Unterkünften festgehalten zu werden.

Abu Bakr aus Syrien rastet mit seiner Familie in Serbien. Auch eine Frau aus dem Irak (Hintergrund) hat es bis hierher geschafft. Sie kenterte mit einem Flüchtlingsboot in der Ägäis.

© Ulrike Scheffer

Die meisten Staaten auf der Balkanroute transportieren Flüchtlinge inzwischen mit Bussen oder Zügen von Grenze zu Grenze. Lange Fußmärsche wie noch im Sommer, als Bilder von völlig erschöpften Frauen und Kindern um die Welt gingen, gehören der Vergangenheit an. Doch auch jetzt gibt es immer wieder dramatische Situationen, wenn Grenzen vorübergehend geschlossen werden oder die Registrierung und der Weitertransport zu langsam vorangehen. So wie in Slowenien, wo am Mittwoch Zelte in einem Lager brannten, das vermutlich unzufriedene Flüchtlinge gelegt hatten.

Traumatische Überfahrt

Für die Familie von Abu Bakr ist bisher alles gut gegangen. Die Frau, mit der sie sich das Zimmer teilt, hatte weniger Glück. Sie stammt aus dem Irak und ist ganz offensichtlich schwer traumatisiert. Wild gestikulierend deutet sie an, wie das Boot, mit dem sie über die Ägäis nach Griechenland übersetzen wollte, kenterte.

Den Kindern in der Flüchtlingsunterkunft sind die Strapazen der Flucht auf den ersten Blick nicht anzusehen.

© Ulrike Scheffer

Abu Bakr und seine Frau lachen ein wenig verkrampft über die Frau mit den zerzausten Haaren, Tochter Kale schaut verlegen zur Seite. Eine ihrer Schwestern sitzt abwesend auf einem der Betten und putzt mit einem Taschentuch sorgfältig ihre bunten Gummistiefel. Alles andere scheint sie auszublenden.

Die meisten Flüchtlinge in Sid sind mit festen Schuhen, Wollpullovern und Winterjacken ausgestattet. Und obwohl sie eine lange Reise hinter sich haben, wirken vor allem die Familien relativ ausgeruht. Die Kinder lachen und toben ausgelassen in den Gängen oder auf dem kleinen Spielplatz vor dem Haus. "Familien reisen anders. Sie nehmen sich mehr Zeit und schlafen nicht im Freien", sagt Ivan Miskovic von der serbischen Flüchtlingsbehörde.

Parks als Flüchtlingslager

In der Grünanlage neben dem Belgrader Busbahnhof sieht man dagegen fast ausschließlich junge Männer auf den Parkbänken hocken. Die Kapuzen ihrer Jacken tief ins Gesicht gezogen warten sie frühmorgens darauf, dass der Container mit der Aufschrift "Red Cross" öffnet und Helfer Decken und Tee verteilen. Im Sommer campierten bis zu 1000 Flüchtlinge in den Parks der serbischen Hauptstadt, jetzt, wo nachts die Temperaturen nur knapp über null Grad liegen, sind es sehr viel kleinere Gruppen. Die Behörden lassen sie gewähren. "Wenige Kilometer außerhalb der Stadt gibt es eine Flüchtlingsunterkunft, aber die Menschen wollen nicht dorthin. Das akzeptieren wir", sagt der Mann von der Behörde.

Werben um Anerkennung

Auch Serbiens Premier Aleksandar Vucic zeigt sich gastfreundlich. "Wir hatten in den 1990er Jahren mehr als eine Million Flüchtlinge im Land, deshalb haben die Serben Mitgefühl für die Menschen", erklärt er. Vucic hat der EU sogar angeboten, einen sogenannten Hot Spot in seinem Land einzurichten, in dem Flüchtlinge registriert werden könnten, um sie anschließend auf einzelne EU-Staaten zu verteilen. Eigentlich müsste das Griechenland erledigen. Er verliert auch kein böses Wort über die deutsche Bundeskanzlerin, die mit ihrer Aufnahmeentscheidung viele Syrer, Iraker oder Afghanen möglicherweise überhaupt erst ermutigt hat, sich auf den Weg zu machen. "Sagen Sie uns, was Sie wollen, Serbien ist Ihr Partner und wird liefern", sagt er stattdessen.

Eine Aufladestation für Smartphones.

© Ulrike Scheffer

Vucic hofft, Deutschland und die EU durch seine Flüchtlingspolitik gnädig zu stimmen. Sein Land wartet seit eineinhalb Jahren auf den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU, doch der Streit um das Kosovo, das sich 2008 mit Unterstützung der meisten EU-Staaten von Serbien unabhängig machte, wirft den Prozess immer wieder zurück.

In der Flüchtlingskrise will sich die Regierung in Belgrad ganz offensichtlich als Musterschüler präsentieren. "Serbien macht einen guten Job", lobt ein hochrangiger EU-Beamter in Belgrad. Einen Bonus für die Beitrittsgespräche hat das Land bisher dennoch nicht bekommen. Immerhin fließen aber kurzfristig zehn Millionen Euro aus Brüssel nach Belgrad, damit das Land zum Winter hin weitere Flüchtlingsunterkünfte herrichten kann.

Busunternehmen kassieren ab

Die serbische Bevölkerung scheint die Krise überwiegend gelassen hinzunehmen. Es gebe "ein paar dumme Faschisten", die die Menschen aufwiegeln wollten, sagt Vucic. "Aber das lassen wir nicht zu." Was er nicht sagt: Nicht wenige Serben verdienen an den Flüchtlingen. Denn anders als andere Länder auf der Balkanroute überlässt Serbien den Transport von Flüchtlingen kommerziellen Busunternehmen.

Statt der üblichen zehn Euro Fahrtgeld kassierten die von Flüchtlingen bis zu 40 Euro pro Person. Auch Hotels und die Belgrader Gastronomie profitieren. Denn in der serbischen Hauptstadt warten viele Flüchtlinge auf Angehörige, oder sie machen hier Halt, um sich mit Geld zu versorgen, das sie sich über Western Union transferieren lassen. Das gilt vor allem für Syrer, die oft relativ wohlhabend sind.

Menal Zilam mit ihren Kindern. In einer Woche haben sie es von Syrien bis nach Serbien geschafft.

© Ulrike Scheffer

Doch es geht auch anders. "Wir haben seit einer Woche nicht in einem Bett geschlafen", sagt Menal Zilam, eine junge Mutter aus Syrien, die gerade in der Unterkunft in Sid angenommen ist. Gemeinsam mit ihren drei kleinen Kindern, ihrem Mann und weiteren Verwandten hat es die junge Frau, die über ihrem Kopftuch eine gestrickte Schirmmütze trägt, in nur sieben Tagen von Latakia bis hierher geschafft.

14 Personen umfasst die Gruppe insgesamt. Menal spricht als Einzige recht gut Englisch. Sie sagt, sie habe in Syrien Elektrotechnik studiert, ihr Mann als Lkw-Fahrer gearbeitet. In einem kleinen Boot seien sie nach Griechenland gekommen, wo sie dann sieben Stunden hätten laufen müssen. "Danach sind wir fast nur noch Bus gefahren. Geschlafen haben wir unterwegs." 22.000 Dollar hätten sie für die Reise bezahlt. Pro Person. Andere Familien nennen ähnliche Summen als Gesamtpreis. Die Wahrheit ist schwer zu ermitteln. Informationen über die Schleuser gibt ohnehin niemand preis. Menal sagt nur, man habe ihnen gesagt, nach drei Stunden könnten sie mit einem Bus direkt an die kroatische Grenze fahren. Hinter dem Schlagbaum warte ein neuer Bus.

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