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Serbien und die EU: Kunstgriff für Belgrad

Die EU will die Reformkräfte in Serbien unterstützen – und macht dafür Zugeständnisse im Fall Mladic.

Berlin - Der Einsatz hat sich gelohnt. Serbische Diplomaten, Politiker und sogar Journalisten waren in den vergangenen Wochen in Europa unterwegs, um das scheinbar Unmögliche doch noch Wirklichkeit werden zu lassen: Die Europäische Union dazu zu bewegen, noch vor der Parlamentswahl in Belgrad ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit dem Land zu unterzeichnen. „Europa muss sich jetzt entscheiden, auf welcher Seite es steht“, sagte etwa Außenminister Vuk Jeremic vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Berlin. Am Dienstag haben sie sich entschieden – und unterschrieben.

Die Demokratische Partei (DS) von Jeremic, Präsident Boris Tadic und des ermordeten Premiers Zoran Djindjic hat die vorgezogene Wahl am 11. Mai zu einem Referendum über das Verhältnis Serbiens zu Europa erklärt. Verzweifelt werben die proeuropäischen Kräfte seither um Unterstützung aus Brüssel, denn ihre Chancen, auch künftig in Belgrad mitzuregieren, stehen alles andere als gut: Ihr bisheriger Koalitionspartner, Premier Vojislav Kostunica, hat sich mit seiner Demokratischen Partei Serbiens (DSS) auf die Seite der Radikalen geschlagen – aus Protest gegen die von den meisten EU-Staaten akzeptierte Unabhängigkeitserklärung des Kosovo.

Die Furcht vor einem politischen Rückschlag in Serbien hat die EU nun zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlasst. Nach turbulenten Verhandlungen in der Nacht erklärten sich die Außenminister am Dienstagvormittag bereit, noch am selben Tag das Abkommen mit Serbien zu unterzeichnen. Damit ergreift die EU klar Partei im serbischen Wahlkampf.

Ihr serbischer Amtskollege Jeremic hatte in Luxemburg noch in der Nacht letzte Überzeugungsarbeit geleistet. Aber auch Deutschland und andere größere EU-Mitglieder setzten sich für ein klares Signal zugunsten der Reformer in Belgrad ein. Die Gegner, die Niederlande und Belgien, argumentierten dagegen bis zum Schluss, Serbien müsse zunächst die formalen Bedingungen für das Abkommen erfüllen und seine Kooperationsbereitschaft mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag unter Beweis stellen. Konkret: Sie verlangten die Auslieferung des früheren serbischen Generals Ratko Mladic, der sich in Serbien versteckt halten soll. Mladics Truppen ermordeten 1995 mehr als 7000 Muslime in der bosnischen Enklave Srebrenica. Das Massaker geschah unter den Augen niederländischer UN-Soldaten, was die Niederlande in eine politische Krise stürzte und die kompromisslose Haltung des Landes gegenüber Serbien erklärt.

Um das Abkommen doch noch möglich zu machen, vereinbarten die Europäer einen Kunstgriff. Abweichend vom üblichen Prozedere tritt es nicht direkt nach der Unterzeichnung in Kraft, sondern erst nach der Auslieferung Mladics. Außenminister Jeremic war dennoch mehr als zufrieden und sprach von einem „historischen Tag für Serbien und die EU“. Sein Land sei jetzt unumkehrbar auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft, sagte er und setzte seinen Präsidenten in Marsch. Tadic hatte in Belgrad ungeduldig auf eine positive Nachricht aus Luxemburg gewartet. Als sie endlich kam, bestieg er sofort ein Flugzeug, um bei der Unterzeichnung dabei sein zu können.

Die Europäer erwarten indes, dass die Serben nach der Wahl ihre Hausaufgaben machen und Mladic endlich ausliefern. Bisher hieß es in Belgrad stets, die Regierung wisse nicht, wo sich der Gesuchte aufhalte. Hinter vorgehaltener Hand ließen Politiker aus dem demokratischen Lager in letzter Zeit aber immer wieder durchblicken, sie würden den Kriegsverbrecher lieber heute als morgen nach Den Haag überstellen, doch stünde dieser unter dem Schutz einflussreicher Kräfte aus Armee, Polizei und Geheimdienst. Nur wenn es den Reformkräften gelänge, ihren Einfluss auszuweiten, könnte eine Festnahme durchgesetzt werden. Mit anderen Worten: Erst müssen die Reformer die Wahl gewinnen, dann kommt Mladic. Und für einen Sieg, so glauben sie, benötigen sie Schützenhilfe aus Brüssel. „Wenn die Radikalen die Wahl gewinnen, können Sie Mladic vergessen“, brachte es einer von ihnen kürzlich in Berlin auf den Punkt. Dieser Argumentation haben sich nun offensichtlich auch Belgien und die Niederlande angeschlossen.

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