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Politik: Seriös – mit Absicht

UNION UND REFORMEN

Von Robert Birnbaum

Großer Auftritt diese Woche: die Opposition! Man muss die Termine nur kurz Revue passieren lassen. Die HerzogKommission der CDU legt Vorschläge zur Zukunft des Sozialstaats vor. Roland Koch enthüllt zusammen mit dem SPD-Kollegen Peer Steinbrück ein Konzept zum Subventionsabbau. Die große Steuerreform, deren Blaupause bei Unionsvize Friedrich Merz in der Schublade liegt, ist in Umrissen erkennbar. Mit einer Rede zur deutschen Einheit will die CDU-Chefin Angela Merkel zu alledem den geistigen Überbau liefern. Der Eindruck soll entstehen: Wenn man die Union nur ließe, wie sie wollte, man müsste sich um Deutschlands Zukunft nicht mehr sorgen.

Bloß – ist das so?

Man kann sich dem Versuch einer Antwort auf zwei Ebenen nähern. Die eine ist die Sachebene, also: Ist das, was da von Unionsseite kommt, seriös und tauglich, dem kranken Mann an Rhein und Elbe aufzuhelfen? Das Ergebnis einer notwendigerweise etwas groben Betrachtung fällt zwiespältig aus. Seriös im Sinne von „der ernsthaften Erwägung wert“ ist ganz gewiss, was in Herzogs Bericht steht. Ordnungspolitisch bei allen Fragezeichen in Details halbwegs sauber aufgebaut entlang der Linie: Gegen Lebensrisiken, die bisher der Staat aus dem Vollen abgesichert hat, wird künftig der Bürger stärker selbst Vorsorge treffen müssen. Richtig ist auch Merz’ Ansatz, das Steuersystem von seinen oft sinnwidrig gewordenen Steuerungsfunktionen zu lösen und stärker auf die Rolle der Geldquelle für den Staat zu beschränken.

Aber: Beides sind Zukunftsentwürfe längerer Reichweite, die obendrein an etlichen Punkten offen lassen, wer das denn wie bezahlen soll. Selbst das viel konkretere Projekt Koch/Steinbrück – in seinem Rasenmäher-Ansatz polit-psychologisch derart vernünftig, dass man sich fragt, warum darauf vorher keiner gekommen ist – wirkt erst auf mittlere Frist. In eigentümlichem Kontrast dazu steht das, was die Union zu den ganz aktuellen Fragen zu sagen hat. Steuerreform vorziehen oder nicht? Antwort: Abwarten, und zwar aus durchsichtigen taktischen Gründen. Gesundheitsreform? Antwort: Eine krumme, unter Mühen geborene Kompromisslösung für den Übergang. Im Bundesrat liegen diskutable Vorschläge von Unionsländern etwa zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe oder zur Hilfe für die Not leidenden Gemeinden. Ein Gesamtkonzept für einen deutschen Weg aus der Krise mag das alles nicht einmal die Union selbst nennen.

Das führt direkt zur zweiten Ebene, auf der unsere Ausgangsfrage beantwortet werden muss: Wäre diese Union denn überhaupt imstande, hehre Grundsätze in praktische Politik umzusetzen? Das wahre Problem der Bundesregierung liegt ja auch nicht (mehr) in einem grundfalschen Kurs. Neben oft grotesken taktischen und handwerklichen Fehlern leidet Rot-Grün vor allem daran, dass die eigenen Leute den neuen Weg nur sehr mühsam mitgehen.

Ist das bei CDU und CSU so ganz anders? Sechs Sozialdemokraten haben im Bundestag gegen den Gesundheitskompromiss gestimmt – aber auch drei Unionsabgeordnete, zwei weitere haben sich enthalten, andere waren gar nicht erst da. Im Arbeitnehmerflügel der Union stößt der Grund-Kurs des Herzog- Berichts auf Widerspruch. Die CSU geht sachte auf Distanz. Kurz: In der Union gibt es die gleichen Sollbruchstellen zwischen „Reformern“ und „Bewahrern“ wie in der Regierungskoalition; es fällt nur nicht so auf. Übrigens ist diese Parallelität kein Wunder. Es sind die Bruchstellen in der verunsicherten Gesellschaft selbst, die sich in beiden Volksparteien spiegeln. Beide verkleistern sie auf ihre Weise: die Regierung mit Gewalt, die Opposition durch Indifferenz.

Wenn zu alledem der nur allzu gut begründete Verdacht kommt, dass sich hinter manchen Argumenten etwa gegen die rot-grüne Steuerreform eine subtile Blockadetaktik verbirgt, wird das Gesamturteil noch zwiespältiger. Sagen wir es so: Vieles von dem, was die Opposition dieser Tage vorschlägt und vorlegt, ist für sich genommen seriös. Nur darf man nicht alles zum Nennwert ernst nehmen. Es sind keine Regierungsprogramme, die da geschrieben werden. Es sind eher Programme zu dem Zweck, an die Regierung zu kommen.

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