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Der Besuch von Angela Merkel bei Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag wurde intensiv verfolgt.

© REUTERS

Merkel und Erdogan: "Lehrstunde" für die Kanzlerin

Für die regierungstreuen Medien in der Türkei steht fest: Erdogan hat Merkel bei ihrem Besuch in Ankara in die Schranken verwiesen.

Nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ankara tut die türkische Regierung ihr Bestes, um die Visite für den Wahlkampf auszuschlachten. Regierungsnahe Zeitungen berichteten am Freitag in großer Aufmachung, Staatschef Recep Tayyip Erdogan habe die Kanzlerin wegen des Begriffs vom „islamistischen Terrorismus“ in die Schranken gewiesen. Merkels Treffen mit Oppositionspolitikern am Donnerstagabend in der deutschen Botschaft in Ankara führte der Kanzlerin die schwierige Lage der Regierungsgegner konkret vor Augen – einer der vorgesehenen Gesprächspartner konnte wegen seiner Verhaftung nicht kommen.

Eine „Provokation“ habe sich Merkel mit der Wendung vom „islamistischen Terrorismus“ geleistet, kommentierte die Erdogan-treue Zeitung „Star“. Glücklicherweise habe sich Erdogan diesen Begriff verbeten. Als Muslim könne er diesen Begriff nicht akzeptieren, hatte der Präsident vor laufenden Kameras in seiner Pressekonferenz mit Merkel gesagt. Erdogan habe Merkel ganz schön ins Schwitzen gebracht, freute sich die islamistische Zeitung „Yeni Akit“. Von einer „Lehrstunde“ für die Kanzlerin war im Blatt „Aksam“ die Rede.

Zwei Monate vor dem Referendum über die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei wirbt Erdogan vor allem um die Stimmen rechtskonservativer Türken. Selbstbewusstsein gegenüber dem oft als arrogant kritisierten Westen ist da ein gutes Mittel. Da selbst interne Umfragen der Erdogan-Partei AKP laut Medienberichten derzeit keine Mehrheit für die Präsidialrepublik sehen, dürfte sich Erdogan in den kommenden Wochen mehr denn je in die Pose des Verteidigers von Islam und Nation werfen. Die rasch aufeinanderfolgenden Besuche von Merkel und der britischen Premierministerin Theresa May zeigten, dass der Westen die Regionalmacht Türkei ernst nehmen müsse, kommentierte die regierungstreue Zeitung „Yeni Safak“.

An der Lage der Opposition ändert die Visite nichts

Für die säkularistische und kurdische Opposition bedeutet diese Linie, dass sie vom Erdogan-Lager wegen ihres Neins zum Präsidialsystem als Vaterlandsverräter hingestellt werden. Das erklärt den Unmut von Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, der vor dem Merkel-Besuch von einer Wahlhilfe der Kanzlerin für Erdogan gesprochen hatte. Bei einem Gespräch mit Kilicdaroglu in der deutschen Botschaft sprach Angela Merkel laut Medienberichten diesen Vorwurf an und betonte, sie wolle auch mit Erdogan-Gegnern sprechen.

Die Abordnung der legalen Kurdenpartei HDP, die von Angela Merkel ebenfalls zu einem Gespräch eingeladen worden war, zeigte sich beeindruckt vom Interesse der deutschen Seite. Die Kanzlerin sei sehr gut informiert gewesen, sagte der HDP-Außenpolitiker Hisyar Özsoy dem Nachrichtenportal T24.

Özsoy berichtete im Gespräch mit Merkel, eigentlich habe auch HDP-Parteisprecher Ayhan Bilgen mit zu dem Treffen in der Botschaft kommen wollen. Doch daraus sei nichts geworden, weil Bilgen zwei Tage vor dem Besuch der Kanzlerin in Untersuchungshaft genommen worden sei. Für Bilgen sprang der Abgeordnete Idris Baluken ein, der nur wenige Tage vor Merkels Ankunft aus der Haft entlassen worden war. Dies zeige, in welcher Lage sich das Land befinde.

Merkels Besuch hat an dieser Lage wenig geändert. Am Tag nach der Abreise der Bundeskanzlerin wurde bekannt, dass Oppositionschef Kilicdaroglu wegen einer Stellungnahme zum Putschversuch Mitte vergangenen Jahres nun eine Vorladung der Staatsanwaltschaft erhalten hat.

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