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Politik: Sie schwingen sich auf

Von Alfons Frese

Wer hat gewonnen? IG Metall oder Gesamtmetall, die Gewerkschaft oder der Arbeitgeberverband? Die Frage ist naheliegend und wird doch der Tragweite des Abschlusses von Sindelfingen nicht gerecht. Denn es gibt viele Sieger am Ende dieser Tarifrunde: die Konjunktur und die Unternehmen, das deutsche Tarifsystem und die Beschäftigten.

Der Konjunktur tut diese Einigung gut. Weil es keine Streiks mehr gibt, die die Firmen beim Abarbeiten der vollen Auftragsbücher hindern. Aber vor allem, weil die Kaufkraft der 3,4 Millionen Metallarbeiter steigt. Bei 4,1 Prozent höheren Einkommen und einer erwarteten Inflationsrate von 1,8 Prozent in diesem Jahr bleibt ordentlich was hängen. Die Binnennachfrage bekommt einen Schub und kann den – bisher noch – starken Export flankieren und damit auch längerfristig das Wachstum stabilisieren.

Für die Firmen ist der Abschluss teuer – und trotzdem in Ordnung. Die Arbeitgeber selbst bewerten die Geschäfte in ihrer Branche als unerwartet gut. Weil das so ist, können die Beschäftigten einen anständigen Schluck aus der Lohnpulle nehmen. Das ist nur fair und trägt bei zu engagierten Belegschaften, die in den aufziehenden Zeiten des Facharbeitermangels dringend gebraucht werden. Die Beschäftigten bekommen dauerhaft deutlich mehr Geld – und müssen dieses Niveau in den nächsten Jahren aber auch durch flexiblen Arbeitseinsatz, hohe Produktivität und ständige Bereitschaft zur Weiterbildung absichern.

Schließlich hat sich das deutsche Tarifsystem bewährt. In den vergangenen Jahren gab es nicht viel zu verteilen. Im Gegenteil, Arbeitnehmer und Gewerkschaften kamen kaum aus der Defensive heraus. Länger arbeiten für weniger Geld war fast schon die Regel geworden. Mit Flexibilität und differenzierten Abschlüssen stellten sich die Tarifpartner auf die schwierige Konjunktur und die uneinheitliche Ertragslage in den Firmen ein. Das ist nun Vergangenheit. In diesem Jahr gibt es Geld für alle, weil der Aufschwung breit angelegt ist und fast alle profitieren. Jenen Firmen, die jetzt im Aufschwung noch rote Zahlen schreiben, ist im Übrigen auch durch Lohnbescheidenheit nicht zu helfen.

Alles in allem wird der Standort Deutschland wieder attraktiver für Arbeitnehmer – sofern sie eine ordentliche Ausbildung haben. Vor allem die Facharbeiter in den exportorientierten Industrien Metall und Chemie profitieren von der Globalisierung, dem Weltmarkterfolg ihrer Unternehmen. In anderen, auf den deutschen Markt beschränkten Branchen ist der Aufschwung noch nicht so durchschlagskräftig, als dass die Arbeitnehmer etwas davon hätten. Vielmehr vergrößert sich die Spaltung der Arbeitnehmerschaft. Der Industriefacharbeiter kommt auf ein beachtliches Gehalt, weil er von starken Gewerkschaften vertreten wird. Im Dienstleistungsbereich dagegen gibt es häufig so gut wie keine Gewerkschafts- und damit Tarifbindung; die Einkommen sinken deshalb immer häufiger auf ein schäbiges Niveau. Über kurz oder lang wird die Union deshalb ihren Widerstand gegen einen gesetzlichen Mindestlohn aufgeben müssen. Viele Millionen Menschen in prekärer Beschäftigung hält die Gesellschaft nicht aus.

Diese Gesellschaft wird mehr Geld ausgeben müssen für die Bereiche, die in keiner Sonntagsrede fehlen: Bildung, Gesundheit, Pflege. Denn Erzieher und Lehrer, Altenpfleger und Krankenschwestern werden nicht annähernd so bezahlt wie ein Werkzeugmacher im Maschinenbau oder ein Monteur in einer Autofabrik. Hier gibt es reichlich Nachholbedarf. Die Finanzminister von Bund und Ländern, die sich derzeit über die hohen Steuereinnahmen freuen, die der Aufschwung mit sich bringt, sollten in die nahe Zukunft schauen. Anfang 2008 gibt es die nächste große Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Dann sind unter anderem die oben genannten Beschäftigtengruppen dran. Und die werden sich, nachdem sie viel magerere Jahre hinter sich haben als die Metaller, an deren Sindelfinger Abschluss vom 4. Mai 2007 orientieren. Zu Recht.

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