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Politik: Sie werkeln um ihr Leben

Von Malte Lehming

Der Rumpf des Raumschiffes ist beschädigt. Keiner weiß, was beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre geschieht. Eine Notoperation wird eingeleitet. Sie sitzen im All und werkeln um ihr Leben. Wie lassen sich die störenden Teile entfernen: abreißen? Abschneiden? Die Reparatur sei einmalig in der Geschichte der Raumfahrt, heißt es. Dann die Erlösung: Das Manöver funktioniert. Die Astronauten atmen auf. Stolz löst Angst ab. In wenigen Tagen könnte die Discovery zurückkehren. Falls alles gut geht, feiern sie in Amerika ein Fest. Weltweit war um die Besatzung des Spaceshuttles gebangt worden. Ihre Rettung würde empfunden wie ein Triumph des Menschen über die Brutalität des Schicksals. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Neue Helden hat das Land.

Wer ins All fliegt, riskiert sein Leben. Die Raumfahrt bleibt ein Himmelfahrtskommando. Daran hat sich nichts geändert. Erst vor zweieinhalb Jahren verglühte die Columbia. Das Unglück rückte erneut ins Bewusstsein, wie groß das Wagnis solcher Missionen ist. Und nun die Probleme der Discovery. Parallelen drängen sich auf. Auch deshalb fiebert das Publikum mit – weil wir die Gefährdung der Astronauten förmlich spüren.

Außerdem verkörpern sie unsere Mythen und Träume. Der Mensch verlässt die Erde, betritt den Mond, sichtet noch fernere Planeten, entkommt der irdischen Apokalypse. David Bowie singt von „Major Tom“, und in Deutschland heißt der wohlige Refrain: „Völlig losgelöst von der Erde, fliegt das Raumschiff, völlig schwerelos.“ Als 1986, nur 73 Sekunden nach ihrem Start, die Challenger explodierte, trat Präsident Ronald Reagan vor eine aufgewühlte Nation. Er würdigte die sieben getöteten Astronauten, die „die harten Fesseln der Erde abgestreift“ hatten, „um das Gesicht Gottes zu berühren“. In diesen Worten bündelte sich, pathetisch überhöht, ein Grundgefühl, das viele Menschen packt.

Ach, wie groß dünkten wir uns einst! Wir dachten: Die Erde befindet sich im Mittelpunkt des Kosmos, bewohnt von uns Menschen, die ein Abbild Gottes und Herr ihrer selbst sind. Doch dann tauchten Kopernikus, Darwin, Freud und Nietzsche mit ihren Einsichten auf. Übrig blieb ein gekränktes Wesen, unwichtig und fremdbestimmt. Mittels der Atombombe kann es die eigene Gattung auslöschen, mit Hilfe der Gentechnik sich klonen und reproduzieren.

Woraus schöpft dieses Wesen noch Würde? Aus seinen Taten, lautete die Antwort. Wir können nach den Sternen greifen! Neil Armstrong, der erste Mann auf dem Mond, wird an diesem Freitag 75 Jahre alt. Sein „Riesenschritt für die Menschheit“ veränderte die Weltpolitik. Psychologisch leiteten die US-Erfolge auf dem Gebiet der Weltraumfahrt die Wende im Kalten Krieg ein. Wer fremde Planeten betritt, muss jedem irdischen Gegner überlegen sein.

Auch das gilt bis heute. In den USA sind mit den kosmischen Ambitionen daher Prestige, Ruhm und Ehre verbunden. George W. Bush hat sogar angekündigt, Menschen auf den Mars schicken zu wollen. Das sei nutzlos, gefährlich und teuer, sagen Kritiker. Doch kein Effizienzkalkül kann diesen Ehrgeiz dämpfen. Das Budget der Weltraumbehörde Nasa wird nicht allein von Kosten-Nutzen-Rechnungen bestimmt. Und selbst Katastrophen spornen die Ingenieure an.

Andere Missionen als die der Discovery mögen scheitern, das Shuttle-Programm ausgesetzt werden: Der Faszination indes, die vom Kosmos ausgeht, widersteht dauerhaft keine amerikanische Regierung. Das ist ungefähr ebenso irrational, wie es die Natur des Menschen ist. Müßig, sich darüber aufzuregen. Pioniergeist, Abenteuerlust und Visionen kommen als Movens hinzu. Das Luft- und Raumfahrtmuseum in Washington ist eines der beliebtesten im Land.

Noch düst die Discovery im All herum, völlig losgelöst von der Erde, völlig schwerelos. Major Tom und „Ground Control“ sind entspannt. Die Bastler haben den Rumpf des Raumschiffes erfolgreich repariert. Jetzt darf wieder gehofft werden. Bis zur Landung zittern wir trotzdem. Wir können nicht anders.

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