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Politik: Sie wissen, was sie nicht wollen

Die Jugend begehrt gegen die Führer des Landes auf – doch noch fehlt ihnen ein politischer Kopf

WOHIN STEUERT IRAN?

Zwar sind die regime-kritischen Proteste in Iran nach siebentägiger Dauer inzwischen wieder abgeflaut. Das heißt aber nicht, dass der Wunsch nach Reformen für zahlreiche Iraner damit vom Tisch ist. Am Dienstag war unklar, ob sich die iranischen Regime-Kritiker auf Dauer mit den Zugeständnissen der Teheraner Führung abfinden würden. So ging die Polizei am Dienstag gegen Mitglieder der radikal-islamischen Schlägertruppe Ansar Hisbollah vor, die von den Demonstranten heftig kritisiert worden war. Bei den landesweiten Demonstrationen gegen die iranische Führung wurden in der Nacht zum Dienstag zehn Sicherheitskräfte verletzt und mehr als 100 Menschen festgenommen.

Anführer des iranischen Protests gegen die Geistlichen und konservativen islamischen Kräfte sind die Studenten der Teheraner Universitäten, die zunächst gegen Privatisierungspläne für die staatlichen Lehranstalten protestiert hatten. Doch spontan hatten sich die Proteste zu politischen Kundgebungen ausgeweitet. Die Studenten bekommen anders als noch 1999 Unterstützung von der Bevölkerung.

Die Slogans der ersten Protest-Nächte hatte sich gegen den obersten Religionsführer Chamenei gerichtet, dessen Abtreten die jungen Leute forderten: „Tod dem Diktator“ und „Chamenei, verlass den Thron“, skandierten sie. Doch auch der Rücktritt des von Reformkräften unterstützten Präsidenten Mohammed Chatami wurde gefordert. So scheinen die Demonstrationen einem allgemeinen Gefühl der Frustration über ausbleibende politische und soziale Fortschritte zu entspringen. „Die Leute wissen genau, was sie nicht wollen, aber sie wissen nicht, was sie wollen“, zitiert die „New York Times“ einen Studenten. Außer einigen Studentenführern haben sich denn auch bisher keine politischen Führungsfiguren hervorgetan, welche die Bewegung steuern könnten. Eine Gruppe von 248 Intellektuellen ist den Demonstranten am Sonntag mit einer Erklärung zu Hilfe gekommen, in der die Herrschaft der Geistlichen scharf kritisiert wird. „Einzelnen eine Position absoluter und göttlicher Macht zukommen zu lassen, ist eine Ketzerei gegen Gott und ein klarer Verstoß gegen die menschliche Würde“, heißt es da. Die Menschen hätten das Recht, ihre Politiker zu überwachen, zu beraten, zu kritisieren – und notfalls auch abzusetzen, wenn sie unzufrieden mit ihnen seien. Unterzeichnet haben Reformer, Journalisten, Intellektuelle und Kleriker. Darunter ist der Universitätsprofessor Haschem Aghajari, der im vergangenen Jahr wegen „Blasphemie“ zum Tode verurteilt wurde. Das Verfahren wird als Reaktion auf die Studentenproteste derzeit wieder aufgerollt.

Auch Anhänger des führenden Oppositionellen unter den Klerikern, Ajatollah Hossein Ali Montaseri, dessen zehnjähriger Hausarrest kürzlich aufgehoben wurde, sind unter den Unterzeichnern. Mitglieder der verbotenen Freiheitspartei finden sich ebenso auf der Unterschriftenliste. Ihr Führer ist Ibrahim Jazdi, dem vielleicht noch am ehesten eine führende Rolle zuwachsen könnte. Der über 70-jährige Yazdi hat 1979 die Islamische Revolution unterstützt und saß in dem Flugzeug, das Ajatollah Chomeini aus dem Pariser Exil nach Teheran zurückbrachte. Später war er kurzzeitig Außenminister unter dem damaligen Führer der Freiheitspartei, Basargan. Später trennte sich die Freiheitspartei von Chomeini und wurde verboten. Obwohl Mitglieder der liberalen Partei in Haft sitzen, empfängt Jazdi Journalisten. „Ich bin seit 55 Jahren ein Kämpfer und noch immer nicht müde“, sagte er vor wenigen Wochen in einem Gespräch in Teheran.

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