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Politik: Sieg für Brüssel und die Frauen

Die türkische Regierung zieht den Plan zur Bestrafung von Ehebrechern zurück – auch auf Druck der EU

„Hände weg – unsere Körper gehören uns“ – mit diesem Schlachtruf zogen am Dienstag mehrere hundert Frauen vor dem Parlamentsgebäude in der türkischen Hauptstadt Ankara auf. Sie protestierten gegen das Vorhaben der gemäßigt-islamischen Regierungspartei AKP, Ehebruch zu einem Straftatbestand zu erklären. Noch bevor die Parlamentssitzung, bei der im Rahmen einer Strafrechtsreform auch über den Ehebruch gesprochen werden sollte, überhaupt begonnen hatte, konnten die Frauengruppen schon den Sieg feiern: Unter dem Druck der EU verzichtete die AKP auf ihr Vorhaben. Eine peinliche, wenn auch seit Tagen absehbare Niederlage für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der es deshalb vorgezogen hatte, am Tag der Parlamentsdebatte ins ferne Tadschikistan zu reisen.

Seit Wochen hatten Erdogan und andere führende Regierungspolitiker die türkische und internationale Öffentlichkeit davon überzeugen wollen, dass die vorgesehenen zweijährigen Haftstrafen für überführte Ehebrecher dem Schutz der Familie und besonders der Frau dienen. Aber weder in der Türkei noch bei der EU in Brüssel konnte die türkische Regierung mit dieser Argumentation landen. Zu durchsichtig war das Bemühen Erdogans, die eigenen religiös-konservativen Anhänger zu erfreuen.

Jetzt will Erdogans Partei das Thema Ehebruch zivilrechtlich behandeln; gedacht wird unter anderem an Entschädigungszahlungen eines Partners, wenn wegen seines Seitensprungs eine Ehe zerbricht. Die Vorstellung, dass der Staat einen Bürger wegen ehelicher Untreue ins Gefängnis steckt, ist aber vom Tisch: Die AKP und die Oppositionspartei CHP verständigten sich am Dienstag darauf, alle Gesetze der Strafrechtsreform gemeinsam einzubringen und auf Alleingänge zu verzichten – da die CHP gegen die Bestrafung des Ehebruchs ist, bedeutete dies das Aus der Regierungsinitiative. Mit dieser Kehrtwende hofft die AKP, Krach mit Brüssel und schlechte Zensuren bei dem anstehenden EU-Fortschrittsbericht zu vermeiden. Dieser Bericht der EU-Kommission wird eine Art Vorentscheidung über den Beginn von Beitrittsgesprächen zwischen der EU und Ankara sein.

Das neue türkische Strafrecht sieht unter anderem mehr Meinungsfreiheit vor und enthält auch Verbesserungen für Frauen, so die erstmals mögliche Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe. Das alte Strafrecht hatte die Türkei 1926 vom faschistischen Italien übernommen. Bisher sei es bei den Gesetzen darum gegangen, den Staat vor dem Bürger zu schützen, sagte der Jurist Adem Sözüer, der als Berater des Rechtsausschusses im Parlament maßgeblich an der Reform beteiligt war. Das neue Strafgesetzbuch stelle dagegen die Rechte des Bürgers in den Mittelpunkt.

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