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Politik: Sieger ohne Partner

In Serbien gewinnen die Nationalisten. Doch keine der zerstrittenen anderen Parteien will mit ihnen regieren

Wird es schlimm oder ganz schlimm? Diese bange Frage stellten sich die pro-westlich und reformorientierten Menschen, die am Sonntagabend auf die Resultate der serbischen Parlamentswahlen warteten. Am frühen Montagmorgen waren sich die meisten von ihnen einig: Es ist schlimm, aber nicht ganz schlimm. Mittlerweile war klar, dass die ultra-nationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) von Vojislav Seselj nicht in der Lage sein würde, eine Regierung zu bilden – obwohl sie mit fast 28 Prozent der Wählerstimmen die stärkste Fraktion im Parlament sein wird. Zusammen mit den Sozialisten von Ex-Staatschef Slobodan Milosevic werden die Radikalen 103 Sitze der 250 Parlamentssitze besetzen. Doch das reicht nicht zum Regieren. Der amtierende Chef der SRS, Tomislav Nikolic, hat der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) zwar eine Koalition angeboten – doch die hat abgelehnt. Seselj und Milosevic stehen beide vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Alle Parteien des „Demokratischen Blocks“ mit ihren 147 Sitzen haben eine Koalition mit den Milosevic-Anhängern ausgeschlossen.

Der Demokratische Block allerdings ist seit Jahren zersplittert, es herrscht ein kleinlicher, oft polemischer Streit. Am ausgeprägtesten waren die Animositäten zwischen dem ermordeten Parteiführer der Demokraten (DS) und Ministerpräsidenten Zoran Djindjic und dem Führer der DSS sowie ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica. Die Unfähigkeit der beiden, sich auf einen minimalen Konsens zu einigen, führte dazu, dass die nach dem Oktober 2000 schnell angepackten Reformen von Staat und Wirtschaft bald stockten.

Korruption, Kriminalität und die nie enden wollende gegenseitige Schuldzuweisung haben bei den Wählern einen politischen Zynismus entstehen lassen, der viele offenbar für die Radikalen stimmen ließ. Sie haben sich als Milieupartei mit ihren Ressentiments gegen die Großstadteliten fest in der Alltagswelt der ländlichen und vorstädtischen Unterschicht verankert. Wahlanalytiker erklären den Erfolg der SRS mit dem „sozialen Notstand“. Große Teile der Bevölkerung seien verarmt. Die populistischen Parolen der SRS nach dem Motto „Löhne rauf – Preise runter!“ seien auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Reformökonomen von G17 plus, die sich um die gleiche Wählerschicht wie die DS bemüht, versuchte vergeblich mit den hinlänglich bekannten Korruptionsvorwürfen Punkte zu sammeln. Erfolgreicher war DS-Spitzenkandidat Boris Tadic. Er gab schwere Fehler der Ex-Regierung zu und versprach Abhilfe durch personelle Säuberung.

Zwischen den Parteien, die für eine Regierungsbeteiligung in Frage kommen, klaffen in den entscheidenden Fragen der Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik tiefe Gräben. Dies betrifft die Zukunft der unter UN-Verwaltung stehenden serbischen Provinz Kosovo und des von der EU unterstützten Staatenbundes mit Montenegro ebenso wie die Auslieferung gesuchter Kriegsverbrecher an das UN-Tribunal oder die Beschleunigung der Wirtschaftsreformen. Die DSS muss sich als stärkste demokratische Partei nach Koalitionspartnern umsehen, denn sie ist nicht stark genug, um eine Regierung allein zu stellen. So muss der sichtlich enttäuschte Kostunica nun doch mit den Erbfeinden der DS verhandeln, die er noch im Wahlkampf als nicht akzeptabel bezeichnet hatte. Soll die DS in eine große demokratische Koalition eingebunden werden? Oder soll sie eine Minderheitsregierung tolerieren? Dass sich so eine stabile Regierung bilden lässt, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Nicht auszuschließen ist, dass der serbische Wahlmarathon bald in die nächste Runde geht.

Andreas Ernst[Belgrad]

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