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SPD-Chef Sigmar Gabriel warnt die Regierung in Athen davor, das Blatt im Schuldenpoker zu überreizen.

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Update

Griechenland: Sigmar Gabriel: Wir lassen uns nicht erpressen

Noch immer gibt es keine Einigung im griechischen Schuldendrama, und der Ton verschärft sich weiter. SPD-Chef Gabriel warnt die Regierung in Athen davor, zu hoch zu pokern.

Seit über vier Monaten verhandelt die Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras mit den internationalen Geldgebern, um die Pleite seines Landes zu verhindern. Jetzt gehen die Verhandlungen in die Schlussrunde. Wenn die in gut zwei Wochen drohende Zahlungsunfähigkeit verhindert werden soll, dann muss möglichst rasch eine Lösung gefunden werden.

Was tut sich bei den Verhandlungen?

Über das gesamte Wochenende suchten die Geldgeber und Vertreter der griechischen Regierung in Brüssel nach einem Kompromiss im Schuldenstreit. An den Verhandlungen beteiligten sich ein Vertreter von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Athener Staatsminister Nikos Pappas, der engste Mitarbeiter des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras. Auch Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die wie die EU-Kommission zu den Gläubiger-Institutionen gehören, waren am Wochenende in Brüssel wieder dabei. Am vergangenen Donnerstag hatten die IWF-Vertreter aus Frust über die schleppenden Gespräche ihre Koffer gepackt und waren vorübergehend aus Brüssel abgereist.
In der Sache kamen die Gespräche am Wochenende nur stückweise voran. Offenbar gibt es eine Annäherung bei den Haushaltszielen, die Griechenland demnächst erreichen soll. Die Geldgeber hatten zuletzt gefordert, dass Tsipras’ Links-Rechts-Regierung in diesem Jahr einen Primärüberschuss von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen soll. Beim Primärüberschuss werden die Zins- und Tilgungszahlungen, die Griechenland an die Gläubiger leisten muss, herausgerechnet.
Während sich Tsipras’ Unterhändler beim Primärüberschuss offenbar den Forderungen der Gläubiger weit gehend beugen, blieben zwei andere Verhandlungsblöcke am Wochenende zunächst weiter umstritten: die Reform der Mehrwertsteuer und die von den Geldgebern geforderten Rentenkürzungen. Die Zeitung „Kathimerini“ berichtete unter Berufung auf Athener Regierungskreise, dass sich die griechischen Unterhändler in der belgischen Hauptstadt auf einen Deal einlassen könnten, dem zufolge höhere Renten und Beamtengehälter gekürzt werden.
Komplett über Kreuz liegen beide Seiten aber bei der von Tsipras geforderten Umstrukturierung der Schulden. Während der Chef des Linksbündnisses Syriza zu Beginn des Monats in einem 47-seitigen Verhandlungspapier wegen der günstigeren Zinskonditionen eine Übertragung der griechischen Schulden von der EZB auf den Euro-Rettungsschirm ESM forderte, wollen die Geldgeber nichts davon wissen. Insgesamt hält die EZB griechische Staatsanleihen mit einem Volumen von 27 Milliarden Euro. Realistischer als diese Umschuldungs-Variante gilt eine andere Option, die Athen in den kommenden Wochen bei der Bedienung der internationalen Verbindlichkeiten aus der Klemme helfen könnte: Athen könnte für den Schuldendienst auf die Summe von 10,9 Milliarden Euro zurückgreifen, die eigentlich für die Rekapitalisierung der Banken in Hellas gedacht sind.

Unterdessen sagte ein Insider am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters, es gebe Gespräche über Schuldenerleichterungen. Dies müsse nicht unbedingt einen neuen Schuldenschnitt bedeuten, der für Bundeskanzlerin
Angela Merkel wohl inakzeptabel wäre. Den Griechen dürfte es nach Aussagen eines Insiders schon helfen, wenn die Zahlungen gestreckt würden.

Was passiert, wenn es keine Verhandlungslösung gibt?

Eine Einigung zwischen Athen und den Gläubiger-Institutionen müsste eigentlich in diesen Tagen stehen, damit sie noch rechtzeitig von den Euro-Finanzministern unter die Lupe genommen werden kann. Der Berliner Ressortchef Wolfgang Schäuble und seine Kollegen tagen am kommenden Donnerstag in Luxemburg und könnten zu diesem Zeitpunkt einen Deal absegnen. Gelingt das nicht, wären die Fristen für anschließende Abstimmungen in den Parlamenten in Athen, Berlin und anderswo in der Euro-Zone kaum zu halten. Am 30. Juni muss Griechenland 1,6 Milliarden an den IWF zurückzahlen. Aber ohne die Hilfe der Gläubiger ist dieser Betrag vermutlich nicht zu stemmen. Athen kann im Fall einer Einigung die letzte Tranche aus dem laufenden Hilfsprogramm in Höhe von 7,2 Milliarden Euro erwarten. Käme es bei einem Scheitern der Gespräche am Ende des Monats zu einem Zahlungsausfall gegenüber dem IWF, dann dürfte dies die Pleite des Landes einläuten. Griechenland würde einerseits mit sofortiger Wirkung die rund 3,5 Milliarden Euro verlieren, die der IWF bis zum kommenden Jahr noch an Griechenland zu vergeben hat. Bis zum Herbst 2016 würde der Währungsfonds darüber hinaus jegliche Hilfe für Hellas einstellen. Gleichzeitig könnte auch der europäische Rettungsschirm EFSF eine sofortige Rückzahlung der Finanzhilfen in Höhe von 130 Milliarden Euro verlangen. Allerdings wäre kaum zu erwarten, das Athen dazu in der Lage wäre. Deutschland und den anderen öffentlichen Gläubigern drohen also im Fall einer griechischen Pleite hohe Verluste. Deutschland bürgt bei den Griechenland-Hilfen insgesamt für rund 50 Milliarden Euro. Allerdings warnte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Regierung in Athen davor, darauf zu spekulieren, dass die Gläubiger aus Angst vor der Pleite jeden erdenklichen Preis bei den Verhandlungen zahlen würden. In der griechischen Regierung säßen Leute, „die glauben, dass die Angst vor einem Ausscheiden Griechenlands so groß ist, dass wir alles mitmachen", sagte Gabriel am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". "Das wird nicht passieren, wir lassen uns nicht erpressen“, sagte der Vizekanzler weiter.

Droht also nach dem 30. Juni also möglicherweise der „Grexit“?

Diese Option ist denkbar, wobei man wohl eher von einem unkontrollierten „Graccident“ sprechen sollte als von einem politisch gewollten „Grexit“. Der „Grexit“ bedeutet den regulären Austritt des Landes aus der Euro-Zone, welcher vertraglich geregelt werden müsste. Da aber eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung weiter in der Euro-Zone bleiben will und die Regierung in Athen kaum einem Austritt zustimmen dürfte, wird Hellas wohl in jedem Fall Mitglied der Gemeinschaftswährung bleiben. Deshalb wäre es bei einem Scheitern der Verhandlungen eher wahrscheinlich, dass Griechenland im Euro bleibt, aber dennoch eine Parallelwährung einführen muss. Der Grund: Im Fall der Pleite würde Griechenland mit dem Rettungsschirm EFSF und dem Washingtoner Währungsfonds seine wichtigsten Geldgeber verlieren. Der griechische Staat könnte Beamten, Rentner und Lieferanten nicht mehr in Euro bezahlen und müsste nach Alternativen suchen. Als Möglichkeit gelten Schuldscheine, so genannte IOUs – benannt nach dem englischen „I owe you“ („ich schulde dir“). Solche Schuldscheine hätten aber einen geringeren Wert als der Euro. Die Einführung einer Parallelwährung hätte zur Folge, dass sich viele Griechen wichtige Importprodukte wie Medikamente nicht mehr leisten könnten.

Was macht Merkel am Ende?

Trotz aller Beteuerungen in Berlin, denen zufolge zunächst die Gläubiger-Institutionen – also IWF, EZB und EU-Kommissionen – einem Deal zustimmen müssen, laufen doch die meisten Fäden im Schuldendrama im Kanzleramt zusammen. Dies wurde zuletzt am 1. Juni deutlich, als Kanzlerin Merkel in der Berliner Regierungszentrale in Gegenwart des EZB-Präsidenten Mario Draghi und der IWF-Chefin Christine Lagarde den Versuch unternahm, eine gemeinsame Linie unter den Gläubigern festzuzurren. Aus der Sicht Merkels wird es in den kommenden Tagen darauf ankommen, dass die Geldgeber und Tsipras einen Kompromiss erzielen, der die Pleite Griechenlands bis auf Weiteres verhindert. Klar ist schon jetzt, dass im Fall einer Einigung sowohl Tsipras als auch Merkel einen Preis bezahlen müssen. Worin dieser Preis für die Geldgeber besteht, ist möglicherweise schon am kommenden Donnerstag bekannt, wenn die Kanzlerin eine Regierungserklärung vor dem Bundestag abgeben will.

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