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Neues Auftreten in der Öffentlichkeit. Polizisten mit Maschinengewehren werden aufgrund der Terroranschläge von Paris am Dienstag rund um das Fußball-Länderspiel in Hannover zum Straßenbild gehören.

© dpa

Nach dem Terror in Paris: So reagieren die deutschen Sicherheitsbehörden

Nach den Anschlägen von Paris rüsten in Deutschland Polizei und Nachrichtendienste gegen die Terrorgefahr auf. Das Fußball-Länderspiel am Dienstag ist nur eine von vielen Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden.

Von Frank Jansen

Das Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die der Niederlande wird eine der größten Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden seit Langem. In Hannover dürfte an diesem Dienstag Polizei und Nachrichtendiensten so bewusst sein wie nie zuvor, dass Fußballstadien für die islamistische Terrorszene bei der Auswahl „weicher Ziele“ ganz oben stehen. Zumal wie am Freitag in Paris sich auch jetzt hochrangige Politiker, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, gemeinsam mit weiteren zehntausenden Zuschauern das Spiel anschauen werden. Die Polizei will mit einem Großaufgebot jedem Risiko vorbeugen. Die Terrorgefahr ist jedoch gerade in Niedersachsen ein großes Thema.

Im Februar sagte die Polizei in Braunschweig den traditionellen Karnevalsumzug „Schoduvel“ ab, nachdem ein V-Mann des Verfassungsschutzes vor einem Anschlag gewarnt hatte. Die Information war vage, aber der Spitzel galt als zuverlässiger Kenner der eng verbundenen Salafistenszenen in Braunschweig und Wolfsburg. Vor allem das Milieu der militanten Frommen in Wolfsburg fällt schon länger auf, die Zahl der nach Syrien gereisten Salafisten ist mit 22 enorm hoch. Niedersachsens Verfassungsschutz zählt sogar mit Blick auf das Umfeld bis zu 40 Personen „mit dschihadistischen Bezügen im Zusammenhang mit dem Kampfgeschehen in Syrien“.

Zu den größten Sorgen zählt das rasante Wachstum der einheimischen Salafistenszene

Das Länderspiel vier Tage nach den Anschlägen in Paris ist allerdings nur eine von vielen Herausforderungen für die deutschen Sicherheitsbehörden. Zu den größten Sorgen zählt das rasante Wachstum der einheimischen Salafistenszene. „Das geht in Richtung 8000 Mitglieder“, sagt ein hochrangiger Experte. 2011 waren es noch halb so viele. Auch wenn nicht alle Salafisten als gewaltorientiert gelten, sind doch die aus Deutschland ausgereisten Terrorverdächtigen nahezu ausnahmslos der Szene zuzuordnen. Mehr als 700 Salafisten haben sich inzwischen in die Kriegsregion Syrien-Irak begeben, um die 200 sind zurückgekehrt. Etwa 70 haben nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes an Kämpfen teilgenommen und gelten nun als besonders gefährlich. Die Zahl aller islamistischen „Gefährder“, das sind im Polizeideutsch potenziell militante Personen, beziffert das Bundeskriminalamt inzwischen auf mehr als 400. Auch das ist ein beachtlicher Anstieg.

Die Salafistenszene versucht zudem, vom Zustrom muslimischer Flüchtlinge zu profitieren. Mehr als 100 Anläufe zur Agitation bei Unterkünften von Asylbewerbern haben die Sicherheitsbehörden bereits registriert. In Nordrhein-Westfalen waren sogar Salafisten aus England zur Hetze angereist. Die weitverbreitete Furcht, mit den Flüchtlingen kämen auch Terroristen in die Republik, hat sich aber bislang nicht bestätigt. Polizei und Verfassungsschutz sind ungefähr 100 Hinweisen nachgegangen, die meisten kamen von Asylbewerbern. Viele Fälle waren harmlos. „Da hat jemand radikal schwadroniert oder es wurden schlechte Scherze gemacht“, heißt es in Sicherheitskreisen.

Festgenommen wurde jetzt im sauerländischen Arnsberg ein Asylbewerber aus Algerien, der vergangene Woche von einer Bombe in Paris gesprochen und Angst und Schrecken angekündigt haben soll. Es sei unklar, ob der Mann ein Spinner ist oder Kontakt zu den Attentätern hatte, sagte ein Sicherheitsexperte.

Bund und Länder rüsten die Sicherheitsbehörden massiv auf, um die Bedrohung eindämmen zu können. Reagiert wird zudem auf den Zustrom von Flüchtlingen. Die Planungen begannen nach den Anschlägen vom Januar in Paris und wurden im Sommer ausgeweitet. Ein Ergebnis: Die Bundespolizei erhält von 2016 bis 2018 insgesamt 3568 neue Stellen. 250 Beamte werden, wohl noch dieses Jahr, eine neue, speziell ausgerüstete Anti-Terror-Einheit bilden. Sie soll als Ergänzung zur GSG 9 in der Lage sein, schwer bewaffnete Terroristen aufzuhalten und flüchtende Kämpfer zu verfolgen. Die Spezialeinheit wird laut Bundesinnenministerium mit je 50 Beamten den fünf deutschlandweit stationierten „Beweis- und Festnahmehundertschaften“ der Bundespolizei zugeordnet.

Für das Bundeskriminalamt sei eine Aufstockung um 297 Stellen vorgesehen. 200 Beamte sollen sich mit islamistischem Terror befassen, 97 werden als „Daktyloskopen“ für die Überprüfung von Flüchtlingen eingesetzt, unter anderem anhand von Fingerabdrücken.

Zu personellen Veränderungen bei den Nachrichtendiensten sagt die Regierung nichts. Zu erfahren ist jedoch, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz 470 neue Stellen zugesagt sind, davon 200 für die Beobachtung der islamistischen Terrorszene und der Salafisten generell. Verstärkt wird auch der Blick auf das rechtsextreme Spektrum, dessen Gewalttätigkeit zugenommen hat. Der Bundesnachrichtendienst soll laut einem Bericht der „Bild“-Zeitung 225 neue Stellen bekommen. 125 „Agenten“ würden für „Terrorismusaufklärung“ eingestellt.

Ob das alles reicht, um die Bundesrepublik stärker gegen die Angriffe militanter Islamisten und Rassisten zu wappnen, bleibt offen. Andererseits hat das Land bislang nur einen vollendeten islamistischen Anschlag erlebt. Im März 2011 erschoss der Kosovare Arid Uka am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten. Bei mehreren Anschlagsversuchen waren die Behörden fit genug, sie zu vereiteln. In einigen Fällen war es einfach nur Glück.

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