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Politik: „So viel Desinformation habe ich noch nie erlebt“

Rita Süssmuth versteht das Verhalten ihrer Partei im Zuwanderungsstreit nicht. Sie sieht die meisten Forderungen der Union erfüllt

Otto Schily gab sich zunächst zuversichtlich: Beim Thema Zuwanderung sei eine Einigung mit der Union möglich. „Ich sehe überhaupt nicht, wo die großen Unterschiede sein sollen“, sagte der Bundesinnenminister am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion der Evangelischen Akademie in Berlin. Doch kurz darauf demonstrierten Schily und der CDU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel, wie groß bei diesem Thema die Unterschiede nach wie vor sein können. Von Einigkeit war plötzlich keine Rede mehr, der Ton wurde schärfer.

Schily warf dem Mitglied des Innenausschusses vor, sich mehr mit Vorurteilen über das Zuwanderungsgesetz als dessen Inhalt zu beschäftigen. Schließlich lasen sich beide gegenseitig Passagen aus dem am Mittwoch vom Kabinett erneut eingebrachten Entwurf vor, um ihre Positionen zu untermauern. Kernpunkt des Streits war der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Grindel warf der Regierung vor, nicht den nationalen, sondern den regionalen Arbeitsmarkt als Kriterium für Zuwanderung heranzuziehen. Schily wies dies zurück und betonte, inländische Bewerber auf einen Arbeitsplatz hätten auch nach dem neuen Gesetz Vorrang.

Rita Süssmuth, CDU-Politikerin und frühere Vorsitzende der Zuwanderungskommission, verfolgte diese Debatte mit Kopfschütteln – und nahm dann die eigene Partei ins Gebet: „Ich habe es noch nicht erlebt, dass wir bei einem Gesetz so viel Desinformation ins Land getragen haben wie bei diesem.“ Dadurch würde die Bevölkerung nur verunsichert. „Wir müssen Schluss machen mit den bisher geführten Diskussionen“, forderte Süssmuth. Den Streit um das Nachzugsalter von Kindern nannte sie „unwürdig“. Auch die mangelnde Integration mancher Ausländer wollte Süssmuth als Argument gegen das Zuwanderungsgesetz nicht gelten lassen. „Wie lange haben wir sie denn in die Koranschulen geschickt, damit wir das Problem loswerden?“ Dabei verwies sie auch auf die Versäumnisse der Kohl-Regierung: Erst nachdem die CDU/CSU abgelöst worden sei, habe sie Papiere zur Integration erarbeitet. Mit dem Zuwanderungsgesetz seien zwar noch nicht alle Ziele erreicht, aber es gehe in die richtige Richtung. Zudem seien viele Vorschläge der Union umgesetzt worden. Daher verstehe sie die Blockade nicht.

Der Chef des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Albert Schmid, warnte davor, dass ein Scheitern des Gesetzes erhebliche Versäumnisse bei der Integration nach sich ziehen würde: „Das würde uns vom Ausland negativ abheben.“ Zur Diskussion um eine Begrenzung der Zuwanderung sagte er, Deutschland sei längst nicht mehr Hauptzielland in Europa. Gemessen an der Bevölkerung steht Deutschland sogar nur an elfter Stelle. Ausländische Fachkräfte könnte es demnach in andere Länder ziehen: In Tschechien wird bereits über ein Auswahlverfahren zur Einwanderung Hochqualifizierter diskutiert.

Die FDP ist unterdessen mit ihrer Einladung zu Vermittlungsgesprächen über das Zuwanderungsgesetz bei der Union auf Ablehnung gestoßen. „Ich weiß nicht nicht, welchen Sinn ein solcher runder Tisch machen soll“, sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach der „Thüringer Allgemeinen“, Rot-Grün wolle das vom Bundesverfassungsgericht aus formalen Gründen vorläufig gestoppte Gesetz offensichtlich unverändert durchsetzen.

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