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Für Niedrigverdiener soll etwas getan werden: Das ist politisch konsensfähig.

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Mehr aufs Konto – und für den Staat: So wollen Forscher das Bürgergeld reformieren

Forscher haben im Auftrag des Arbeitsministeriums viele Modelle für eine Bürgergeld-Reform durchgerechnet – und machen einen konkreten Vorschlag.

Mehr Anreize zur Arbeit, mehr Geld auf dem Konto für Bürgerinnen und Bürger, und gleichzeitig ein Plus für die Staatskasse: Das wäre möglich. Das ist zumindest das Ergebnis eines Gutachtens von Wirtschaftswissenschaftlern im Auftrag des Arbeitsministeriums.

Das Problem: Wenn derzeit Menschen mit niedrigen Gehältern zum Beispiel von Teilzeit auf Vollzeit wechseln, kommt oft fast oder gar kein zusätzliches Geld aufs Konto. Denn Sozialleistungen wie Bürgergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld werden abgeschmolzen, und zwar schlecht zwischen den verschiedenen Sicherungssystemen abgestimmt.

Die Fachleute des ifo Instituts sowie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung haben 19 Modelle berechnet, um herauszufinden, wie sich die sogenannte Transferentzugsrate im Bürgergeld am besten reformieren ließe. Die Idee: Aufstocker dürften vom selbst verdienten Gehalt zusätzlich zum Bürgergeld mehr als bisher behalten.

Das schlagen die Forscherinnen und Forscher vor

Der von den Autorinnen und Autoren favorisierte Vorschlag sieht vor, dass bis zu einem Einkommen von 2000 Euro eine Transferentzugsrate von 70 Prozent gilt. Bisher gelten im Bereich zwischen 1000 und 2000 Euro Raten von 80 bis 100 Prozent. Oberhalb von 2000 Euro, so der Vorschlag, sollte eine Rate von 65 Prozent gelten.

Die Fachleute erwarten, dass dadurch der Anreiz zu arbeiten so stark steigen würde, dass der Staat unterm Strich sogar ein Plus machen würde. Politisch heikel ist allerdings, dass sich dies in der Modellierung nur für Alleinerziehende sowie für Alleinstehende ohne Kinder zeigt. Bei Paaren mit drei und mehr Kindern ergäbe sich eine „begrenzte“ Belastung der öffentlichen Kassen, aber immerhin noch eine Steigerung der Erwerbstätigkeit.

Paare mit ein oder zwei Kindern würden in der Modellierung jedoch etwas weniger arbeiten als derzeit, bei kinderlosen Paaren wäre der Rückgang sogar noch deutlicher. Angesichts des allgemeinen Arbeitskräftemangels wäre dies ein politisch höchst unerwünschter Effekt. Die Experten empfehlen daher, diese Haushaltstypen von den vorgeschlagenen Verbesserungen schlicht und einfach auszunehmen – eine Idee, die eher wirtschaftstheoretischer Logik folgt, als dass dafür ohne Weiteres eine politische Mehrheit zu organisieren wäre. Die Reform ließe sich dann aber finanzieren und für den Staat bliebe ein Plus von 1,1 Milliarden Euro pro Jahr.

Um zumindest für Familien zu Verbesserungen zu kommen, machen die Ökonomen einen ergänzenden Vorschlag. Sie plädieren dafür, bei der Anrechnung des Elterneinkommens in der geplanten Kindergrundsicherung großzügiger zu sein, als bisher vorgesehen. Das hätte auch im Vergleich zur Änderung beim Bürgergeld den Vorteil, die Erwerbstätigkeit bei allen Haushalten mit Kindern (weiter) zu erhöhen. In der Kombination bliebe dann noch eine Entlastung der öffentlichen Kassen um 500 Millionen Euro übrig.

Doch das ist bei weitem nicht die einzige Möglichkeit: Die verschiedenen Varianten werden im Gutachten ausgiebig erörtert. Es gibt sehr viele Stellschrauben, an denen die Politik auf unterschiedliche Art drehen könnte.

Arbeitsminister Hubertus Heil

© Imago/dts Nachrichtenagentur

Die Forscherinnen und Forscher erwähnen in ihrem Bericht, dass sie gemäß Auftrag eine durchaus relevante Frage gar nicht untersuchen durften: ob eine Zusammenlegung von Bürgergeld und Wohngeld sinnvoll wäre. Ein Verschmelzen böte die Gelegenheit, die vielen ungewollten Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die sich ergeben, weil die Hilfssysteme unterschiedlichen Logiken und Regeln folgen.

Das wäre eine deutlich größere Reform und auch deshalb kompliziert, weil das Bürgergeld in die Zuständigkeit des Arbeitsministeriums fällt, das Wohngeld hingegen in die Zuständigkeit des Bauministeriums. Die Chancen, das System für die Bürgerinnen und Bürger zu vereinfachen, wären aber entsprechend größer.

Im Forschungsbericht wird auch der Status quo der sozialen Sicherungssysteme bewertet, und zwar mit unerfreulichem Ergebnis. Von „hoher Komplexität und geringer Transparenz“ ist die Rede. Die Regeln seien so komplex, dass „kaum ein Haushalt in der Lage sein dürfte, (...) auszurechnen, wie sich zusätzliches Erwerbseinkommen exakt auf die Transferansprüche und damit auch auf das verfügbare Einkommen auswirken würde“.

Festgehalten wird außerdem: „Wer arbeitet, hat zwar stets mehr als bei Nichterwerbstätigkeit, vom Bruttoeinkommen kommt aber ein großer Teil nicht im verfügbaren Einkommen an.“ Dies ist ein politisch hochumstrittener Punkt. Zum Beispiel Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verweist immer wieder darauf, dass mehr hat, wer arbeitet. Das ist auch richtig. Der Bericht zeigt aber die Schwachstelle des Systems: Wer schon arbeitet, aber eher wenig verdient, für den lohnt es sich oft nicht oder kaum, mehr Geld selbst zu verdienen, statt Sozialleistungen zu beziehen.

Genau da setzt der Reformvorschlag an. Die Koalition diskutiert ohnehin ein mögliches Bürgergeld-Ergänzungsgesetz, um einige Feinheiten der großen Reform von 2022 nachzujustieren. Es könnte die Gelegenheit sein, die Vorschläge aufzunehmen und mehr Anreize zum Arbeiten zu schaffen.

Noch aber ist unklar, ob überhaupt irgendetwas davon in die Tat umgesetzt wird. Die Ergebnisse des Forschungsauftrags würden derzeit ausgewertet und beraten, heißt es aus dem Arbeitsministerium. Konkrete Vorschläge zur Umsetzung gebe es noch nicht.

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