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Politik: „Solche Gesetze sind eine Dummheit“ Der FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt über

das Handwerk der Koalition, Köhler – und den Sudan

AUSBILDUNG

Wolfgang Gerhardt wurde am 31. Dezember 1943 im hessischen Ulrichstein-Helpershain geboren. Sein Studium der Germanistik, Politologie und Erziehungswissenschaften schloss er 1970 mit der Promotion ab.

IM LAND

In Hessen stieg er in den achtziger Jahren und in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zum Landesvorsitzenden und Fraktionschef der Liberalen auf.

IM BUND

Während seiner Studienzeit hatte sich Gerhardt der FDP angeschlossen. In der heute von Guido Westerwelle geführten Partei war er von 1995 bis 2001 Bundesvorsitzender.

Die große Koalition hat sich neuerdings angewöhnt, den Bundespräsidenten zu kritisieren. Handelt Horst Köhler richtig?

Ja, ich glaube, dass er richtig handelt. Es ist seine Aufgabe und seine ureigene Kompetenz, die Gesetze, die das Parlament verabschiedet, auf Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Die vollzieht sich ja nun nicht so, dass da morgens ein böser Bundespräsident säße, der nur darüber nachdächte, wie er der Regierung etwas ans Zeug flicken kann. Es scheint vielmehr so, dass er mindestens so gute Berater und Juristen hat wie die Verfassungsressorts der Regierung. Deshalb entscheidet er wohlüberlegt, bevor er eine Gesetz unterschreibt.

Im konkreten Fall des Verbraucherinformationsschutzgesetzes argumentiert die Koalition, man könne zumindest geteilter Meinung sein, ob sie recht hat oder Köhler. Ist auch in einem solchen Fall der Präsident der letzte Entscheider?

Am Ende entscheidet immer ein Bundesverfassungsgericht. Aber wenn man geteilter Auffassung über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ist, dann hätte man auf Seiten der Koalitionsmehrheit und ihrer Regierung vorher besser nachdenken sollen. Man kann nicht ein Gesetzeswerk abliefern und dem Bundespräsidenten auf den Schreibtisch legen, bei dem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestehen. Wenn man im Zweifel ist, sollte man so etwas unterlassen.

Und wenn man gar nicht zweifelt, sondern glaubt, recht zu haben?

Wenn man nach umfassender Prüfung guten Glaubens ist, alles richtig gemacht zu haben, kann man ein Gesetz verabschieden. Aber die Wahrheit ist, dass bei den ganzen Gesetzgebungswerken, um die es hier geht, vorher erkennbar war, dass sie Problembereiche berühren. Das war beim Luftsicherheitsgesetz so, das war beim NPD-Verbot vorher klar erkennbar – ich behaupte sogar, die damalige Regierung hat das auch gesehen, es aber trotzdem mal versucht. So kann man Politik nicht gestalten. Das ist ein Stilbruch.

Ich bezeichne es als Dummheit. Es ist eine ausgemachte politische Dummheit, in dem Wissen, dass ein Gesetz in Zweifel steht, es trotzdem immer wieder zu versuchen. Das kommt mir vor, wie wenn kleine Kinder immer wieder versuchen, ihre Grenzen zu überschreiten. Das ist legitim bei Heranwachsenden. Aber es gibt dann auch immer Eltern, die Grenzen aufzeigen müssen.

Die angemessene Verhaltensweise der Koalition wäre also, vor Papa Köhler zu treten und geneigten Hauptes zu sagen: Danke, wir haben verstanden?

An sich müsste die Koalition selbst erkennen, dass diese Art der Gesetzgebung, dieses Holterdipolter so nicht gehen kann. Zumal mindestens der eine Koalitionspartner, der die Kanzlerin stellt, ja die gleiche Kritik am Verfahren der rot-grünen Regierung immer geübt hat.

Selbstkritik ist eine gute Sache, nicht nur für die Regierung. Dieser Tage kommen die letzten deutschen Soldaten aus dem Kongo zurück. Die FDP hat den Einsatz abgelehnt. Würden Sie, im Lichte der Erfahrungen, diese Entscheidung heute noch einmal genauso treffen?

Erstens freue ich mich, dass die Soldaten unversehrt zurückkommen. Wir haben ja keinerlei Interesse daran, dass eine solche Mission scheitert. Wenn die Entscheidung gefallen ist, stehen wir, egal wie wir selbst abgestimmt haben, hinter unseren Soldaten. Diese Solidarität ist eine Art nationales Interesse. Die Entsendung selbst, auch wenn sie jetzt Gott sei Dank gut ausgegangen ist, war aber nicht in ein durchschlagendes politisches Konzept eingebettet. Der Einsatz war nicht Ergebnis kluger Überlegung, sondern die Kanzlerin ist in einem Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten, drastisch gesagt, über den Tisch gezogen worden.

Das ist vielleicht unschön, aber war deshalb das Engagement in der Sache falsch?

Wenn Mandate vorbereitet werden mit Klugheit, mit einem politischen Ziel, mit klarer Begründung, dann würden wir zustimmen. Wir hätten auch einem solchen Mandat wie im Kongo durchaus zugestimmt, wenn die Verläufe andere gewesen und die Zielrichtung deutlicher gemacht worden wäre. Wir sind ja keine Partei, die glaubt, sich aus allen Problemen der Welt heraushalten zu können. Aber so wie sich das damals darstellte, haben wir richtig entschieden.

Nur wegen des Verfahrens – oder auch wegen der konkreten Ausgestaltung?

Ich bin lange mit mir zu Rate gegangen, ob ich zustimme oder ablehne. Aber ich verlange ein Minimum an politischer Klarheit und Perspektive. Nur auf Bitten eines Partners einzuspringen – das war mir ein zu dünnes Eis.

Der zweite Zweifelsfall dieser Art war der Einsatz im Libanon. Erweist sich aber nicht auch der als richtig?

Es gab einen guten Grund zu sagen: Wir wollen die deutsche Marine entsenden, um einen Waffenstillstand abzusichern und einen Millimeter an Stabilisierung zu ermöglichen. Das ist ein schwerwiegendes Argument. Aber es trägt natürlich nur, wenn nach der Beruhigung der Situation die gleiche Bereitschaft besteht, zu einer politischen Lösung zu kommen. Die fehlt bis heute.

Aber die Bundesregierung ist doch durchaus aktiv, zuletzt mit der Reise des Außenministers Steinmeier nach Syrien.

Ich habe diese Reise für richtig gehalten. Aber sie wird ja in der Region eher kritisiert. Die israelische Politik empfiehlt uns, mit wem wir nicht sprechen sollten. Die amerikanische Politik ist in den letzten Jahren praktisch ausgeschieden aus dem Friedensprozess.

Sollen wir uns raushalten?

Nein. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU muss ganz im Gegenteil ein neuer Impuls für eine Lösung im Nahen Osten entstehen. Immer an der Seite der USA natürlich. Aber wir dürfen etwas drängender werden. Dann würde sich ein solcher Einsatz eher rechtfertigen. Ich hätte keine Bedenken und habe das in meiner Fraktion auch so gesagt, dass wir uns stärker mit Soldaten beteiligen. Aber eben nur, wenn eine politische Lösung stärker in den Vordergrund träte.

Man kann ja beim Blick auf diesen Konflikt – Afghanistan ist ein weiteres Beispiel – zu dem Schluss kommen, dass der alte außenpolitische Gänsemarsch mit Amerika vorneweg und Europa hintendran nicht mehr funktioniert.

Die US-Außenpolitik hat spätestens im Irak ein Übergewicht ins Militärische bekommen. Für Deutschland, für die Europäische Union gilt, dass wir das alte Gleichgewicht von Stärke einerseits und der Fähigkeit, miteinander zu reden, andererseits wieder finden müssen. Aus Afghanistan kann sich niemand zurückziehen. Aber beim Aufbau von Infrastruktur und Polizei muss viel mehr geschehen. Die Menschen haben nicht das Gefühl, dass sich für sie etwas tut. Die Opiumproduktion erklimmt neue Rekorde, ohne dass wir etwas unternehmen, um den Mohnbauern Alternativen zu bieten. Das Wiedererstarken der Taliban hat ja nichts mit der Fähigkeit zu tun, sich Waffen zu beschaffen, sondern damit, dass die Menschen nur Soldaten sehen und keine neue Perspektive für ihr Leben.

Das erkennt die Bundesregierung genauso, und die konkreten Einsätze der Bundeswehr gelten ja auch als vorbildlich. Aber trauen Sie sich zu den Bürgern hierzulande zu sagen, dass wir erheblich mehr Steuergelder als bisher an den Hindukusch pumpen sollten?

Wir werden unser eigenes Sicherheitsbedürfnis hier nur zufriedenstellen können, wenn wir den Menschen dort eine Lebensperspektive geben.

Das ist eine sehr abstrakte Überlegung. Viele Menschen sagen aber: Wir können nicht die ganze Welt retten, und was geht uns eine Bergwüste in Mittelasien an?

Ich mache mir da keine Illusionen. Aber wer Verantwortung hat, muss auch an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Dann muss man die Courage haben, Führung zu zeigen. Es ist eher die Regel in einer Demokratie, dass die Politik in schwierigen Fragen nicht von vornherein die Mehrheit der Menschen hinter sich hat. Aber dann muss sie versuchen, sie zu überzeugen. Die Menschen haben, glaube ich, einen Anspruch darauf, dass ihre Regierung sich klar und präzise und einfach ausdrückt. Genau das passiert nicht.

Wenn wir Nahost, Afghanistan als Beispiele nehmen – kann man denn da überhaupt anders vorgehen, als zu sagen: Es brennt, wir fahren also mit der Feuerwehr los und gucken danach weiter?

Die große Koalition schickt Soldaten mehrheitlich mit der Begründung in den Einsatz, wir müssten bündnisfähig bleiben und gemeinsam mit den anderen handeln. Eine wirklich überzeugende strategische Begründung fehlt. Und die Regierung beantwortet auch nicht mehr die Frage nach dem politischen Ziel des Mandates. Das Ziel im Libanon kann doch nicht sein, dass die Marine an der Küste auf- und abfährt. Das Ziel muss sein, den Grundkonflikt anzugehen und zwischen Palästinensern und Israelis zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu kommen.

Sie haben vorhin Führung angemahnt. Dabei fällt mir ein, dass aus der FDP-Führung, als es darum ging, das Nein zu Kongo und Libanon zu begründen, eher etwas platte Argumente kamen: Man könne nicht mit ein paar Mann den ganzen Kongo befrieden, oder der ganze Zank um die Details der Sechs-Meilen-Zone vor der Küste des Libanon – trägt so etwas nicht auch zur Verwirrung des Publikums bei?

Es hat bei uns Stimmen gegeben, die die Technik des Mandats nicht für klar genug gehalten haben. Aber das sind sekundäre Fragen. Der Kern ist, ob mit dem Einsatz etwas bewirkt werden kann, das über den unmittelbaren Waffenstillstand hinausreicht. Das sehe ich leider bis heute nicht.

Sie – nicht als FDP, sondern als Wolfgang Gerhardt – setzen sich für ein weiteres Militärengagement ein, bei dem nun wieder andere sagen, es sei zur Ziellosigkeit verdammt: im Sudan, in Darfur.

Die Völkergemeinschaft setzt dort weiter auf eine Lösung, die ich für nicht durchschlagkräftig halte. Die Afrikanische Union hat nicht die Kraft, die Menschen in Darfur vor der Vernichtung zu bewahren.

Aber was geht uns der Sudan an?

Im internationalen Völkerrecht ist die humanitäre Intervention unumgänglich, wenn eine Regierung ihre Bevölkerung erkennbar nicht schützen will. Sonst können wir die Werte nicht verteidigen, die wir in der UN-Charta niedergelegt und unterschrieben haben. Und abgesehen davon: Menschen vor der Vernichtung zu bewahren, scheint mir alternativlos.

Würden wir, Deutschland, Europa, uns da aber nicht schlicht überheben?

Die Frage kann sich gar nicht stellen. Die Alternative heißt nämlich, tatenlos zuzusehen, wie Menschen umgebracht werden. Wir überheben uns nicht, sagt die Regierung, im Kongo, vor dem Libanon, in Afghanistan, auf dem Balkan. Aber beim Sudan ist plötzlich die Rede davon, dass wir uns überheben. Dann müssen wir eben Prioritäten setzen. Und meine allererste Priorität ist, dass wir eingreifen, wenn Menschen in ihrer reinen Existenz bedroht sind. Da kann es überhaupt kein Zögern geben.

Wir haben mit dem Präsidenten angefangen, hören wir mit ihm auf. Die FDP hat Horst Köhler mitgewählt. Im Jahr der Bundestagswahl 2009 wird sich die Frage wieder stellen, die ja auch immer koalitionspolitischen Sprengstoff enthält. Können Sie sich vorstellen, dass die FDP Horst Köhler wieder wählt?

Dazu äußere ich mich nicht. Der Herr Bundespräsident müsste sich ja auch zunächst einmal selbst entscheiden, wie er seine Zukunft sieht.

Aber ein eigener FDP-Kandidat …

Ich bin, wie ja wohl auch die Mehrheit der Bevölkerung, mit Horst Köhlers Amtsführung sehr zufrieden.

Das Gespräch führte Robert Birnbaum. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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