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Eine ukrainische Flagge weht auf einem zerstörten Gebäude in Donezk.

© IMAGO/ZUMA Wire

Übergangslösung für die Ukraine?: Ein Nato-Beitritt rückt wieder in die Ferne

Kiew hat die Mitgliedschaft beantragt, die es aber auf dem Gipfel von Vilnius kaum geben dürfte. Alternativ sind Sicherheitsgarantien für eine Übergangsphase im Gespräch – nach Kriegsende.

Wenn George W. Bush vor 15 Jahren seinen Willen bekommen hätte, wäre die Frage längst entschieden. Der US-Präsident setzte sich beim Nato-Gipfel 2008 vehement für zwei neue Verbündete ein, seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice soll sogar geweint haben, als es keinen Konsens dazu gab.

„Insbesondere Angela Merkel hat dafür gesorgt, dass die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens nur ein Zukunftsversprechen ohne festen Termin wurde“, wie sich ihr damaliger außenpolitischer Berater Christoph Heusgen erinnert.

In Kiew trug dieser Einsatz Merkels zum wenig positiven Bild der deutschen Russland-Politik bei, das sich erst mit der deutlichen Zunahme der Waffenlieferungen in den vergangenen Monaten langsam zu verändern begonnen hat. Dass Berlin damals im Sinne des russischen Präsidenten Nein zum ukrainischen Beitritt sagte, verteidigt Heusgen weiterhin.

„Dieses Zugeständnis an Wladimir Putin halte ich auch in der Rückschau für richtig – erstens war die Ukraine noch nicht so weit, und zweitens bestand noch die Hoffnung, Russland in eine europäische Sicherheitsarchitektur einbinden zu können.“

Deutsche Patriot-Systeme schützen den Flughafen von Vilnius vor dem Nato-Gipfel in Litauen.

© Reuters/Janis Laizans

Beim Nato-Gipfel in Vilnius am Dienstag und Mittwoch haben die Staats- und Regierungschefs der 31 Mitgliedstaaten nach fast 17 Monaten russischer Angriffe auf die Ukraine nun die Frage zu beantworten, ob das grundsätzliche Beitrittsversprechen jetzt konkreter gefasst werden soll. Und wenn ja, wie?

Ohne Sicherheit kein Frieden

Klar ist dabei allen Akteuren, dass Kiew langfristiger internationaler Schutzgarantien bedarf. Ohne sie wäre die Ukraine selbst nach einem Waffenstillstand oder Friedensvertrag nicht sicher, solange die Russische Föderation ihre aggressiv-imperialistische Politik nicht aufgibt. Sicherheit in der Zukunft ist für Präsident Wolodymyr Selenskyj somit in gewisser Weise die Voraussetzung dafür, sich überhaupt auf Gespräche einlassen zu können.

Anfängliche Überlegungen, auf das Nato-Zukunftsversprechen zu verzichten und für den Frieden einen neutralen Status zu akzeptieren, sind längst vom Tisch. Im Herbst hat Selenskyj die beschleunigte Aufnahme in das Bündnis beantragt.

Das scheint unrealistisch, solange der Krieg noch tobt. Schließlich hat sich die Nato 1995 selbst zur Auflage gemacht, dass ein Land mit einem ungelösten Grenzkonflikt wie beispielsweise Zypern nicht Mitglied werden kann – weil die Allianz damit zur Kriegspartei werden könnte.

Erst kürzlich betonte Nato-Generalsekretär in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass es in Vilnius nur um die Frage gehen wird, „ob man nach Ende des Krieges einen sehr schnellen Nato-Beitritt der Ukraine befürwortet oder nicht“.

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Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedstaaten treffen sich am Dienstag und Mittwoch in Liatuens Hauptstadt Vilnius zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen.

Klartext zur Frage einer sofortigen Aufnahme der Ukraine hat am Freitag US-Präsident Joe Biden beim Sender CNN gesprochen: „Ich glaube nicht, dass sie für die Mitgliedschaft in der Nato bereit ist.“ Er erinnerte daran, dass bei einem Angriff wegen der Beistandspflicht aus Artikel 5 jeder Zentimeter des Territoriums verteidigt werden müsse und die ganze Allianz sich dann im Krieg befände.

Längst wird ein Beitritt von freien Teilen der Ukraine diskutiert

Gerade Balten und Polen haben immer wieder auf einen schnellen Beitritt gedrungen. Das Gipfelgastgeberland Litauen hat diese Botschaft sogar alles andere als dezent auf dem Gebäude anbringen lassen, wo der Gipfel stattfindet. In riesigen Letter prangen dort nur zwei Worte : „Ukraine“ und „Nato“.

Auch die Sicherheits-Expertinnen Margarete Klein und Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik haben mit folgendem Argument kürzlich Überlegungen für eine Mitgliedschaft vor Kriegsende skizziert: „Wenn die Nato den Beitritt von Territorialkonflikten abhängig macht, könnte sie Russland ermutigen, den Konflikt mit der Ukraine gezielt am Kochen zu halten.“

Sie halten es daher als ersten Schritt für „vorstellbar, dass die freien Gebiete der Nato beitreten“. Voraussetzung wäre demnach, dass die Ukraine Militäroperationen verpflichtend mit der Allianz abspricht und Artikel 5 andernfalls nicht greift.

So weit will auch Michael Roth nicht gehen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag kann sich aber zumindest für die Zeit nach dem Krieg eine Teilaufnahme der Ukraine vorstellen: „Die Idee bezieht sich auf den theoretischen Fall, dass nach einer Friedenslösung ein ,Frozen conflict’ ungelöst bleibt“, schrieb er diese Woche auf Twitter: „Hier könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die Ukraine beitritt, sich daraus aber keine Nato-Beistandsverpflichtungen für von Russland besetzte Gebiete ergeben.“

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In diese Richtung denkt auch der frühere Merkel-Berater Heusgen, der nun der Münchner Sicherheitskonferenz vorsteht und die Bedenken von einst für überholt hält. „Heute ist die Lage völlig anders, Putin hat die Rücksichtnahme des Westens ausgenutzt“, sagte er dem Tagesspiegel: „Deshalb kann es jetzt nur eine Konsequenz geben: Die Ukraine muss nach Ende des Krieges in die Nato aufgenommen werden – der Gipfel von Vilnius sollte dafür die Grundlage schaffen.“

Skepsis in Washington und Berlin

Die ukrainische Hoffnung jedoch, dass dort eine Einladung ausgesprochen oder ein sogenannter Membership Action Plan mit einem Fahrplan zum Beitritt in Auftrag gegeben werden könnte, der Kiew 2008 verweigert worden war, ist in den vergangenen Wochen immer mehr geschwunden.

Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj im Februar in Kiew an der Gedenkmauer für die gefallenen Verteidiger der Ukraine.

© Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa

Auch diesbezüglich dringt aus dem Weißen Haus in Washington, aber auch aus dem Bundeskanzleramt in Berlin große Skepsis. So besteht bei Biden wie bei Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Sorge, dass im weiteren Kriegsverlauf der Druck immer weiter steigen könnte, eine Terminzusage von Vilnius für die Zeit nach dem Krieg doch vorzuziehen.

Biden und Scholz sehen darin weiter ein zu großes Eskalationspotenzial zwischen der Nato und Russland. Sicherheitsgarantien für die Zeit nach Kriegsende sollen eher bilateral oder in einer „Koalition der Willigen“ und nicht im Bündnis ausgehandelt werden.

Am Sonntag wurden weitere Interviewaussagen Bidens bekannt, wonach die USA für die Ukraine eine Art Schutzmacht sein könnten, wie sie es für Israel bereits sind. Diese Übergangsphase würde jedoch erst nach Kriegsende beginnen - wann es danach zum Beitritt kommen könnte, ließ Biden bewusst offen.

Scholz und er wollen es vorerst bei der sehr viel engeren Kooperation zwischen Nato und Ukraine unterhalb der Beitrittsschwelle belassen, die in Vilnius auf den Weg gebracht werden soll. Am Mittwoch soll dort erstmals ein Nato-Ukraine-Rat tagen, der mit allerlei Arbeitsgruppen und Untergruppen die Zusammenarbeit auf den verschiedensten Feldern intensiviert. Laut Stoltenberg wird zudem ein „Mehrjahrespaket“ für die politische und militärische Unterstützung beschlossen.

Ob es Kiew und seinen osteuropäischen Verbündeten in puncto Beitritt tatsächlich genügen wird, lediglich das Versprechen von Bukarest erneuert zu bekommen, dass die Ukraine irgendwann einmal Mitglied der Nato wird, ist die offene Frage des Gipfels. Weitergehende Formulierungen zu finden, die das ukrainische Ziel näher, aber nicht zu nah rücken zu lassen, wird die schwierige Aufgabe der Berater von Biden, Scholz & Co. in Vilnius sein.

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