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Politik: Sollen jetzt die Steuerzahler statt der Unternehmen zahlen?

Zum Auftakt der neuen Verhandlungsrunde über die Entschädigung früherer NS-Zwangsarbeiter hat der Beauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff, Forderungen der Opferanwälte als "wenig förderlich" kritisiert. Wenn Anwälte mit Summen von 180 Milliarden Mark hantierten, sei das "völlig unseriös", sagte Lambsdorff im Westdeutschen Rundfunk.

Zum Auftakt der neuen Verhandlungsrunde über die Entschädigung früherer NS-Zwangsarbeiter hat der Beauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff, Forderungen der Opferanwälte als "wenig förderlich" kritisiert. Wenn Anwälte mit Summen von 180 Milliarden Mark hantierten, sei das "völlig unseriös", sagte Lambsdorff im Westdeutschen Rundfunk. Das schade alles nur einem vernünftigen schnellen Ergebnis.

Der Opferanwalt Michael Witti warf der Wirtschaft vor, sie sei nur "mit enormem Druck" zum Einlenken zu bewegen. "Nur die Gefahr, dass es sehr viel teurer werden kann, kann dazu führen, dass die Industrie mehr bezahlt", sagte er im Berliner InfoRadio. Die Entschädigungsverhandlungen waren am Dienstag in Bonn wieder aufgenommen worden.

Als "Skandal" wertete Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Haltung der deutschen Wirtschaft in der Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern. Thierse, der sich gegenwärtig zu einem Besuch in Israel aufhält, bezeichnete es als "engherzig und borniert", wenn die Unternehmen mit einem großzügigen Herangehen in dieser Frage zögerten. Ihn ärgere besonders, dass die ursprüngliche Idee umgekehrt werde. Jetzt solle der Staat, "also die Steuerzahler" zahlen und nicht die Unternehmen, "die Menschen wie Sklaven behandelt haben".

Der SPD-Politiker versprach bei einer Begegnung mit israelischen Parlamentariern, an der Spitze sein israelischer Amtskollege Abraham Burg, die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien würden alles tun, damit bis Ende des Jahres eine Lösung erzielt worden sei.

Bei der neuen Verhandlungsrunde zeichneten sich in der Kernfrage der Höhe der Entschädigungen allerdings noch keine greifbaren Annäherungen ab. Die deutsche Wirtschaft wies die Mahnungen Lambsdorffs, ihr bisheriges Angebot zu erhöhen, als nicht machbar zurück. Die Bundesregierung sei bereit, auf ihre feste Zusage von zwei Milliarden Mark noch eine Milliarde draufzulegen, bestätigte Lambsdorff. Nun sei es an der Wirtschaft, einen ähnlichen Schritt zu tun, um eine Verständigung zu erreichen, forderte er.

Auch der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel forderte eine Entschädigungssumme von mindestens zehn Milliarden Mark. Das sei die "untere Grenze einer Leistung, die diesen Menschen nach über 50 Jahren ein Stück Genugtuung widerfahren läßt", sagte Vogel im Hessischen Rundfunk. Der Unternehmenshistoriker Manfred Pohl forderte im ZDF, das "Feilschen um Geld" müsse bald aufhören. Ansonsten könne in Deutschland langfristig ein neuer Antisemitismus entstehen, warnte Pohl. Er kritisierte zudem, die deutschen Unternehmen zeigten untereinander "überhaupt keine Solidarität". Alle Firmen, die in der Kriegszeit tätig gewesen seien, hätten Zwangsarbeiter beschäftigt, aber es stünden "gerade die am Pranger", die offen darüber redeten.

Die Wirtschaft will bislang höchstens vier Milliarden Mark aufbringen, sieht sich aber außer Stande, diesen Beitrag ebenfalls noch zu erhöhen. Selbst die zugesagte Summe von vier Milliarden zu erreichen, sei schon sehr schwierig, sagte der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski. Bisher stünden selbst davon nur zwei Milliarden Mark fest, erläuterte er im NDR. Die Möglichkeiten, das Angebot noch weiter zu erhöhen, seien derzeit nicht gegeben, weil so wenige Firmen dabei seien.

Bislang haben sich der Initiative erst 17 Großunternehmen fest angeschlossen. Weitere 34 Firmen wollen sich beteiligen. Dies seien zu wenige, meinen Gibowski und auch Lambsdorff. Für die Wirtschaft sei das "Geldsammeln" daher schwierig, betonte Lambsdorff. Aber man dürfe auch nicht aus dem Auge verlieren, dass die öffentliche Hand einen erheblichen Teil mittrage, da die Beiträge steuerlich absetzbar seien.

Die von Lambsdorff kritisierte Entschädigungssumme von 180,5 Milliarden Mark basiert auf einem Gutachten der Bremer "Stiftung der Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts", das die Wissenschaftler am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von Witti und seinem US-Kollegen Edward Fagan vorgelegt hatten. Witti hatte eingeräumt, diese Summe sei "nicht bezahlbar".

krö

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