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Was drinnen diskutiert wird, ist zunächst vertraulich. Aber manches dringt mit Absicht nach draußen.

© Michael Kappeler, dpa

Sondierungsgespräche: Wer die Bremser in den Jamaika-Gesprächen sind

Verhandlungen brauchen Fachleute und Brückenbauer, aber auch Buhmänner. Wer ist wer bei den Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen?

Von Robert Birnbaum

Wolfgang Kubicki sitzt vor seinem Weißweinglas und murmelt bissig einen Kommentar in den Raum. „Ich kenn’ meinen alten Freund Habeck nicht wieder!“, soll der FDP-Vize gestöhnt haben.

Die Szene spielt letzte Woche in der Parlamentarischen Gesellschaft. Kubicki und sein Weißwein sind eine wiederkehrende Kombination, wenn Jamaika-Unterhändler dieser Tage hinter vorgehaltener Hand Geschichten aus dem Innenleben der Sondierungsrunden erzählen. Manche dieser Szenen sind lustig oder kurios. Und manche finden ihren Weg mit Absicht nach draußen. Dass selbst der freidemokratische Jamaika-Pionier Kubicki enttäuscht sei über den Grünen Robert Habeck, mit dem er das ungewöhnliche Regierungsbündnis in Schleswig-Holstein erfolgreich verhandelt hat, passt manchem prima ins Konzept. Wenn schwierige Gespräche stocken, sucht jeder flugs die Schuld beim Anderen. Da bietet sich ein Habeck gerade gut als Buhmann an.

Kulturelle Hürden

Die Geschäftsgrundlage einer Koalition auszuhandeln, ist eine komplizierte Sache. Das wäre schon so, wenn die Aufgabe nur darin bestünde, einander widersprechende Parteiprogramme und lautstarke Wahlversprechen irgendwie in Einklang zu bringen. Aber wer vier Jahre lang miteinander regieren will, muss vor allem auch kulturelle Hürden überwinden. CDU, CSU, FDP und Grüne leben im Wortsinn in verschiedenen Welten. Jede Partei ist eine Filterblase mit eigenen Begriffen, Sichtweisen und Prioritäten. Da bleiben Missverständnisse und Misstöne nicht aus – echte, aber auch inszenierte.

Wie weit dabei Wahrnehmungen auseinander klaffen können, zeigt der Misserfolg der schwarz-grünen Sondierungen 2013. Bis heute erzählen die Schwarzen, einzig und allein Jürgen Trittin habe den Anlauf scheitern lassen, was der Linksgrüne energisch bestreitet. Als Trittin jetzt erneut in der Verhandlungskommission der Grünen auftauchte, gaben manche in CDU und CSU gleich wieder Buhmann-Alarm.

Aber der 63-jährige Ex-Minister macht keinerlei Anstalten, die ihm zugedachte Rolle zu übernehmen. Selbst Unionsleute können nur berichten, dass er am Rande des Verhandlungstischs sitzt, dort meist schweigt und als Experte für Finanzpolitik

so kompetent wie zügig eine Einigung mit aushandelte: „Nach 45 Minuten war das Papier fertig.“

Unbelehrbare und Scharfmacher

Den Buhleute-Status kriegen andere zugeteilt: die Grünen Habeck und Claudia Roth, die Christsozialen Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer – und gern auch mal die ganze FDP. Wem auffällt, dass in dieser Liste keine CDU-Politiker auftauchen: stimmt. Das Schwarze-Peter-Spiel betreiben am Eifrigsten die drei kleinen Parteien. Angela Merkel fällt die Gesprächsleitung zu, was manchmal auch heißt: die Moderation. Mit der Moderation im ursprünglichen Sinne – der Mäßigung – haben’s andere ja auch nicht so.

Seit dem Eklat über die Flüchtlingspolitik vom Donnerstag vergangener Woche, der zur Auszeit und zur ersten Chefverhandler-Runde führte, gilt in der CSU die Grüne Claudia Roth als Musterfall der Unbelehrbaren und bei den Grünen der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als Scharfmacher. Ob Roths Vortrag zur Grundposition der Grünen wirklich so uneinsichtig war, dass Dobrindt ihr anschließend vorwarf, die Flüchtlingskrise 2015/16 und die Folgen im Wahlergebnis zu ignorieren, darüber gehen die Darstellungen auseinander. Andere im Raum, die inhaltlich der CSU-Position durchaus nahe stehen, fanden ihn einfach typisch Roth, also mit reichlich kochendem Herzblut.

Lieblingsfeinde

Bei den Grünen haben manche sogar den Verdacht, dass Dobrindt den Eklat so oder so ausgelöst hätte. Während der CSU-Chef Horst Seehofer in den Runden als der staatsmännische Silberrücken auftrete, der die anderen schon mal mit einem deftigen „Herrgottsakr!“ ermahnt, vom Fachdetail endlich zur Suche nach Gemeinsamkeiten zu kommen, gebe sein früherer Generalsekretär den Anheizer.

Tatsächlich haben sich aber alle beim Thema Migration so verhakt, dass es gar nicht mehr in großer Runde aufgerufen wird. An diesem Freitag müssen erneut die Verhandlungsführer ran, für Montag ist gleich die Fortsetzung geplant.

In der Zwischenzeit entwickeln sich eben Habeck und der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zu neuen Lieblingsfeinden. Am Mittwoch blockierte der grüne schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister Habeck als Verhandlungsführer für die Landwirtschaft ein gemeinsames Papier. Das trug ihm den bösen Zuruf Scheuers ein, er habe schon vorige Woche das Klima-Papier gestoppt, jetzt solle er sich gefälligst anstrengen. Am Donnerstag kam das Papier zustande – was zum nächsten Schlagabtausch führte. Habeck kritisierte, die Union habe für die formulierten Ziele bisher keinen konkreten Weg gezeigt, Scheuer kofferte zurück, der Grüne sei in einer anderen Veranstaltung gewesen: „Das ist echt schizophren!“

Lindners rege Öffentlichkeitsarbeit

Der Christsoziale will das übrigens nicht überbewertet wissen: „Natürlich streitet man auch mal und haut sich auch mal paar Sprüche um die Ohren.“ Aber im Vergleich zu früheren Sondierungen finden auch erfahrene Unterhändler das Maß der öffentlichen Hahnenkämpfe extrem. Immer wieder werden in den internen Runden Interviews anklagend hervorgezogen, in denen schon wieder jemand irgendetwas als unverhandelbar bezeichnet oder einen der Partner in spe als komplett uneinsichtig abgekanzelt hat.

Am Donnerstag ist Christian Lindner der nächste Auslöser. Über die rege Öffentlichkeitsarbeit des FDP-Chefs ziehen Grüne, aber auch CDU-Leute ohnehin die Augenbrauen hoch. Dass Lindner quasi täglich irgendwo ein Interview mit Werbesprüchen für die FDP und mit Schulnoten für die anderen gebe, sei „ungewöhnlich“, sagt ein führender Christdemokrat. Als er sich nun im Flüchtlingsstreit via „Bild“-Zeitung auf die Seite der Union schlägt und die Grünen-Forderung nach Familiennachzug ein „Konjunkturprogramm für die AfD“ nennt, giftet Grünen-Parteichefin Simone Peter via Twitter zurück: „Fürs Zurückledern“ sei das einfach zu flach.

Merkel zeigt Nerven

Woraufhin Kubicki zum Rundumschlag ausholt. Die Grünen teilten wie wild aus, aber seien beleidigt, wenn man ihre Positionen „sachlich“ in Frage stellten – und die CDU tue so, als sei es eine Gnade, dass die FDP mit am Tisch sitze. „In diesem Klima kann nichts gedeihen“, schimpft der Liberale.

Da hat er recht. Aber an dieser Klimakatastrophe beteiligt sich eben auch seine Seite. Selbst die Kanzlerin hat da schon Nerven gezeigt. In der ersten Sondierungsrunde hatte sich Kubicki über ein unfreundliches Interview Habecks beklagt. Merkel ermahnte ihn gleich: „Herr Kubicki, der Wahlkampf ist vorbei“, zitieren sie Teilnehmer. „Und ich bin übrigens auch keine männermordende Machtmaschine!“ Das meinte ein unfreundliches Interview Lindners. Wer Merkels Spruch überliefert hat? Na, die Farbe des Parteibuchs ist nicht schwer zu erraten.

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