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Politik: Sonia Gandhi siegt – und verzichtet

Indien bekommt keine Ministerpräsidentin aus Italien. Nationalisten drohten, ihre Regierung zu sabotieren

Tausende Mitglieder der Kongresspartei demonstrierten am Dienstag vor Sonia Gandhis Residenz in Delhi. Mit Bildern der Parteipräsidentin und ihres ermordeten Mannes forderten sie vergeblich, die Frau des früheren Premiers möge den Posten der Regierungschefin wie geplant übernehmen. Manche drohten sogar mit Selbstmord. Doch indische Medien zitierten bereits am Vormittag Mitglieder der Kongresspartei, die Überraschungssiegerin der Parlamentswahl habe sich gegen das Amt entschieden. Gandhi selbst verkündete am Abend vor laut protestierenden Abgeordneten ihrer Partei: „Ich muss das Amt demütig ablehnen.“

Gandhi hat handfeste Gründe für diesen Rückzug. Seit sie am Sonntag offiziell von der Kongresspartei, deren Bündnispartnern und mehreren Linksparteien als Premier vorgeschlagen wurde, brach eine nationalistische Kampagne unerwarteten Ausmaßes los. Führende Mitglieder der hindunationalistischen BJP des bisherigen Premiers Atal Behari Vajpayee starteten eine nationale Protestbewegung, um Gandhi wegen ihrer italienischen Herkunft zu diskreditieren. Die BJPFraktion drohte, Gandhis Amtseinführung fernzubleiben, zwei Parlamentarier kündigten an, ihr Mandat niederzulegen. Im Wahlkampf hatten die Kinder Gandhis sie noch massiv unterstützt, der 33-jährige Rahul zieht selbst ins indische Parlament ein. Doch wegen der immer schärfer werdenden Debatte sollen nun Sohn und Tochter ihre Mutter aus Angst um ihre Sicherheit gebeten haben, sie möge auf das Amt zu verzichten.

Gandhis Überlegungen reichten möglicherweise weiter. Zwar zeigt das Wahlergebnis, dass eine Mehrheit der Inder keine Probleme mit Sonia Gandhis Herkunft hat. 320 der 545 Abgeordneten hätten ihre Kandidatur unterstützt. Doch ihre Regierungspolitik wäre vermutlich von einem fremdenfeindlichen Dauerfeuer der Opposition begleitet worden, vermutet der Indienexperte der Stiftung für Wissenschaft und Politik, Christian Wagner. In den vergangenen Tagen zeigte sich bereits, dass die BJP eine Fortsetzung der Liberalisierungspolitik als Ausverkauf indischer Werte durch eine Ausländerin diskreditieren würde.

In Bezug auf die Außenpolitik wäre Gandhis Verhandlungsspielraum vermutlich noch kleiner gewesen. So geht es im Kaschmirkonflikt mit Pakistan unter anderem darum, welche Zugeständnisse Delhi dem Nachbarstaat in dem seit Jahrzehnten andauernden Konflikt macht – beispielsweise die Anerkennung der derzeitigen Waffenstillstandslinie als endgültige Grenze. Ein solcher Schritt wäre unter einem Premier der Hindunationalisten denkbar, für Sonia Gandhi jedoch unmöglich gewesen, sagt Wagner.

Der Entschluss ist Sonia Gandhi dennoch schwer gefallen. Offenbar unter Tränen bat sie die Abgeordneten, ihre „Entscheidung zu akzeptieren und anzuerkennen, dass ich diese nicht revidieren werde“. Wer an ihrer Stelle nun Premierminister werden soll, sagte sie nicht. Als aussichtsreichste Kandidaten werden allerdings der 71-jährige Manmohan Singh und sein 64-jähriger Parteikollege Pranab Mukerjee gehandelt.

Die ausgewiesenen Ökonomen hatten beide bereits den Posten des Finanzministers inne. Singh, dem indische Kommentatoren die besseren Chancen einräumen, leitete in diesem Amt Anfang der 90er Jahre zudem den indischen Reformprozess ein. Er ließ damals die Rupie abwerten, strich Subventionen und begann mit der Privatisierung von Staatsbetrieben. Vor allem aber baute er Hemmnisse für private Investoren ab. All das kam einer Revolution gleich, legte aber den Grundstein für Indiens enormes Wirtschafstwachstum in den vergangenen Jahren. Als sich die Gerüchte verdichteten, der derzeitige Führer der Kongresspartei im indischen Oberhaus könnte der nächste Premier werden, schnellte prompt die Börse wieder nach oben. Die war zu Beginn der Woche kurzfristig völlig zusammengebrochen – als bekannt wurde, dass Sonia Gandhi mit der Unterstützung der Linken Regierungschefin werden sollte.

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