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Shopping Malls sind Teil der Freizeitindustrie.

© dpa

Sonntagsarbeit: Die Vermischung von Kirche und Staat ist problematisch

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Sonntagsarbeit Grenzen gesetzt. Das Urteil zeigt: Es steckt wohl doch noch mehr Kirche im Staat, als eigentlich sollte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es ist menschlich und ein Teil der Geschichte, Konflikte in Gesellschaften anhand ihrer Bezüge zur Religion zu erklären. Anders oder aber eben gemeinsam zu glauben, das stiftet seit jeher ebenso Frieden, wie es Grenzen ziehen kann. So selbstverständlich ist diese Bedeutung des Glaubens, dass wir meinen, sie spiele in unserem säkularen aufgeklärten Alltag ohne Staatskirche, in dem alles irgendwie zu Deutschland gehört, keine Rolle mehr. Ein Irrtum.

Wir glauben, zum Beispiel, an den Sonntag. Er ist auch den Nichtchristen heilig, der Tag für Familie und Freunde, Kuchenbacken oder Zeitunglesen; aber auch zum Shoppen, Bummeln und Bestellen – kommt darauf an, was offen ist. Jetzt hat das Bundesverwaltungsgericht den vielen Geschäften, die für sich Ausnahmen beanspruchen, ein Schloss vorgehängt und die hessische „Bedarfsgewerbeverordnung“ eingeschränkt; in Videotheken, Callcentern und Lottogesellschaften soll die Arbeit sonntags ruhen, während man die Nachfrage etwa für Speiseeishersteller noch klären lassen will; kann ja sein, dass an einem heißen Sommersonntag plötzlich alles aufgegessen ist. Nun müssen die Bundesländer prüfen, was sie noch erlauben dürfen.

Geklagt hatten Gewerkschaften und Kirchen

Man mag das begrüßen, im Interesse von Arbeitnehmern und Angehörigen, vielleicht auch angesichts der Konsumskepsis, die mitschwingt. Allerdings wird die Freiheit jener eingeschränkt, die Kunden und Anbieter der vielgenutzten Freizeitindustrie sind, zu der längst auch Shopping-Malls gehören. Geklagt hatten zudem hier nicht Betroffene, sondern Gewerkschaften und Kirchen. Auf die Kirchen geht auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2009 zurück, mit dem die Sonntagsruhe fast in den Rang eines Grundrechts aufrücken durfte. Damals kippten die Richter die Berliner Ladenöffnungszeiten im Advent.

Die Kirchen pochen auf ihren religiösen Auftrag, den Sonntag für ganz Deutschland in Reinkultur zu erhalten, und die höchsten deutschen Gerichte machen dabei mit. Das subjektive Freiheitsrecht, seine Religion ungestört auszuüben, schlägt damit in die ungeschriebene Befugnis um, anderen im Namen der eigenen Religion Vorschriften zu machen: Ruhe jetzt! Die Sonntagsfrage wird damit zum Lackmustest, der Reste einer problematischen Vermischung von Staat und Kirche sichtbar macht. Es steckt wohl doch noch mehr Kirche im Staat, als eigentlich sollte. Viele kritisieren gern die Grünen, weil sie uns den fleischfreien Veggieday aufzwingen wollen; an dem von Kirchen herbeigeklagten einkaufsfreien Reliday stört sich kaum jemand mehr. Religiöse Identität und kollektives Bewusstsein, sie sind hier eins geworden.

Das Grundgesetz ist kein Bollwerk

Das soll kein Appell sein, den Sonntag in eine Shoppinghölle und Dienstleistungsorgie zu verwandeln. Es sollte nur den Gesetz- und Verordnungsgebern überlassen bleiben dürfen, wie sie das Thema regeln wollen, nicht Kirchen, Gerichten und Gewerkschaften. Der Sonntag ist heute ein anderer als vor hundert Jahren. Ein Grundgesetz ist kein Bollwerk, das Wandel aufhalten soll.

Der christliche Glaube gehört zu Deutschland in einer Weise, von der der Islam nur träumen kann. Aber wenn wir von diesem erwarten, er möge sich zurücknehmen, dann dürfen wir das auch von den Kirchen erwarten. Sonst werden irgendwann auch Muslime für sich und alle anderen ungestörte Feiertage einklagen – und am Ende recht bekommen.

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