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Foto: Luke MacGregor/Reuters

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Politik: sozial Wie ist ? Europa

EU-Bürger dürfen in jedem Land der Union arbeiten. Das begreifen viele als Chance. Andere fürchten die Folgen. Sie haben Angst vor einem Missbrauch des Sozialsystems. Wer hat wo tatsächlich Anspruch auf was? Ein Vergleich.

Wer betrügt, der fliegt – mit diesem Slogan schürte die CSU Anfang des Jahres die Angst vor Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme. Doch auch in anderen europäischen Ländern machen konservative Politiker Stimmung gegen Migranten. So will Großbritanniens Regierungschef David Cameron den Zugang zu Sozialleistungen für EU-Bürger aus anderen europäischen Staaten erschweren. Mit der Forderung, die Migration von einem EU-Land in ein anderes per Quotenregelung zu begrenzen, handelte er sich vor kurzem massiven Ärger ein. Gemeinsam ist diesen Initiativen, dass sie in erster Linie auf Zuwanderer aus Osteuropa abzielen. Befeuert wurde die Debatte dadurch, dass seit dem 1. Januar die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Rumänen und Bulgaren gilt.

Dabei hat sich seit diesem Datum gar nicht so viel verändert. „Der Zugang zum Arbeitsmarkt wurde erleichtert, nicht aber der Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen“, stellt der Volkswirt Herbert Brücker klar, der beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeitet. Seit Jahren beschäftigt sich Brücker mit Migrationsströmen in Europa. Einen „Wanderungsanreiz“ sieht der Wissenschaftler grundsätzlich schon. Schließlich liegt das Bruttoinlandsprodukt in Ländern wie Rumänien und Bulgarien deutlich unter dem deutschen Niveau, so dass sich ein Einkommen durch Auswanderung schon mal vervierfachen lasse.

Doch es gibt im europäischen Recht Vorkehrungen, die verhindern sollen, dass Menschen die Sozialsysteme anderer EU-Staaten missbrauchen. Darauf weist auch EU-Sozialkommissar Laszlo Andor immer wieder hin, der die Debatte über angeblichen Sozialmissbrauch für „überemotional“ und „in die Irre führend“ hält. Natürlich gibt es in Europa deutliche Unterschiede bei den Sozialleistungen, die Sozialpolitik ist nicht vergemeinschaftet. Doch auch wenn das EU-Recht grundsätzlich eine Gleichbehandlung aller Bürger verlangt, so gilt das nicht für Leistungen wie die Sozialhilfe.

In Deutschland haben EU-Bürger aus dem Ausland in den ersten drei Monaten keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Für ihre Kinder können sie allerdings vom ersten Tag an Kindergeld beantragen – 184 Euro im Monat für die ersten beiden Kinder, 190 für das dritte und 215 Euro für jedes weitere Kind. Hartz IV wird aber in der Regel verwehrt. Wer sich nur zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält, hat nach geltendem Recht keinen Anspruch auf das steuerfinanzierte Arbeitslosengeld II. In Einzelfällen haben Sozialgerichte dieses trotzdem zugestanden. Wegen der unklaren Rechtslage hat das Bundessozialgericht Ende 2013 den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg angerufen. Dort wird derzeit überprüft, ob es mit europäischem Recht vereinbar ist, dass Zuwanderern in Deutschland zunächst kein Hartz IV gezahlt wird. Zwar ist es unstrittig, dass EU-Ausländern keine Sozialhilfe gezahlt werden muss. Strittig ist allerdings, ob die Hartz-IV-Leistungen unter den Begriff Sozialhilfe fallen. Ein Urteil wird bis Ende des Jahres erwartet.

Ansprüche erwerben Zuwanderer ansonsten erst, wenn sie eine Weile in Deutschland gearbeitet haben. Wer sechs Monate in einem sozialversicherungspflichtigen Job beschäftigt war und diesen unverschuldet verliert, kann Hartz IV beantragen. Für einen Alleinstehenden liegt der monatliche Regelsatz derzeit bei 391 Euro, hinzu kommen die Kosten der Unterkunft. Mitte 2013 bezogen laut IAB insgesamt 37 000 Rumänen und Bulgaren Leistungen aus Hartz IV, das waren zehn Prozent, deutlich weniger als im Schnitt der ausländischen Bevölkerung (16,2 Prozent). Und wer mindestens ein Jahr in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erwirbt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, so wie jeder inländische Arbeitnehmer auch. Dessen Höhe richtet sich nach dem letzten Verdienst.

Wer sich in Deutschland selbstständig macht oder als Angestellter sehr wenig verdient, kann aufstockend Hartz IV beantragen. Eine Möglichkeit, von der auch nicht allzu viele Gebrauch machen. So bezogen zur Jahresmitte 2013 nach Angaben des IAB gut 2000 Selbstständige aus Bulgarien und Rumänien Aufstocker-Leistungen. Von einem „massenhaften Problem“ könne man nicht sprechen, sagt IAB-Forscher Brücker. Auch das Vorurteil, es kämen viele kinderreiche Familien nach Deutschland, weil sie hier vom Kindergeld leben wollen, sieht er in den Statistiken nicht bestätigt. So sei der Anteil der Kindergeldempfänger an der Bevölkerung aus Rumänien und Bulgarien mit 8,8 Prozent geringer als im Bevölkerungsschnitt (10,8 Prozent) und sogar deutlich geringer als im Schnitt der ausländischen Bevölkerung (15 Prozent).

Dass Menschen sich entschieden haben, nach Deutschland auszuwandern, hat sich in der Vergangenheit unter dem Strich ohnehin ausgezahlt, wie Brücker vorrechnet. Wer hierhergekommen ist, hat in der Regel mehr an Steuern und Sozialabgaben gezahlt, als er oder sie vom Staat an Unterstützung bekam – im Schnitt liegt der Beitrag der Zuwanderer bei 2000 Euro pro Jahr. Das liegt auch daran, dass viele Zuwanderer jung sind: Im Schnitt, so sagt der Migrationsexperte, seien etwa die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien gerade mal 27 Jahre alt. Viele von ihnen finden auch Arbeit. Brücker geht davon aus, dass mit der vollständigen Öffnung der Arbeitsmärkte mehr Arbeitnehmer mit mittleren Qualifikationen nach Deutschland kommen werden, insgesamt rechnet er für 2013 mit bis zu 180 000 Personen. Doch wie viele es am Ende sein werden, hängt auch von der wirtschaftlichen Entwicklung in Südeuropa an. Bislang sind viele Bulgaren und Rumänen lieber nach Italien und Spanien gegangen – und nicht nach Deutschland.

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