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Spaltung des Landes: Wie sich das Referendum auf den Sudan auswirkt

Nach dem Referendum im Sudan wird es zwei Staaten geben. Der Süden wird unabhängig, aber arm sein. Der Norden wird kleiner und islamischer. Was beide zusammenkettet, ist das Öl.

WARUM WOLLEN DIE SÜDSUDANESEN EINEN EIGENEN STAAT?

Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1955 gab es Probleme zwischen dem arabisch-muslimisch dominierten Norden und dem christlich-animistisch (naturreligiös) geprägten Süden des Sudans. 1983 wurde aus den Spannungen über die Vernachlässigung des Südens ein Bürgerkrieg, nachdem die Regierung das islamische Recht, die Scharia, einführen wollte. Der Offizier John Garang sollte den Aufstand beenden, stellte sich aber stattdessen an die Spitze der Rebellion. Der Bürgerkrieg dauerte 22 Jahre. Mindestens zwei Millionen Menschen starben, vier Millionen flüchteten.

2005 schlossen Garang und Omar al Bashir, der sich 1989 an die Macht geputscht hatte, einen Friedensvertrag. Garang wurde im Juli 2005 Vizepräsident des Sudan und Präsident des Südsudans. Drei Wochen später starb der charismatische Intellektuelle bei einem Hubschrauberabsturz. Salva Kiir, der den militärischen Arm der nunmehr zivilen Bewegung SPLM geführt hatte, übernahm Garangs Ämter. Im April 2010 wurde Kiir mit 93 Prozent zum Präsidenten Südsudans gewählt. In seiner Neujahrsansprache sagte er: „Wenn wir am 9. Januar aufwachen, erfüllen wir den Traum unserer Vorväter.“ Christian Paes, der den Südsudan im Auftrag der Bundesregierung bei der Entwaffnung berät, fürchtet jedoch, dass es beim Traum bleiben wird: „Leider werden die Südsudanesen höchstwahrscheinlich enttäuscht werden, denn die Probleme werden dieselben bleiben.“

WORAN LIEGT DAS?

Eine Gefahr ist, dass mit dem Verlust des gemeinsamen Feindes im Norden Spannungen zwischen den verschiedenen Ethnien im Süden aufbrechen. Weder Kiir, der dem größten Stamm, den Dinka, angehört, noch sein Vize Riek Machar, ein Kriegsfürst vom zweitgrößten Stamm der Nuer, waren bisher in der Lage, staatliche Strukturen zu schaffen. Es fehlt an Wissen, Willen, Experten und Transparenz. Beide haben in den vergangenen fünf Jahren des Übergangs vor allem die Interessen ihrer Anhänger erfüllt – und darüber ausländische Investoren vergrault.

Im Südsudan fehlt es an allem. Es gibt etwa 50 Kilometer asphaltierte Straßen, keinerlei Infrastruktur, um das Öl, das reichlich vorhanden ist, zu fördern und zu exportieren. Es gibt kaum Schulen, Krankenhäuser werden von internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) betrieben, auch Jobs fehlen. Die Öleinnahmen, 2008 waren es nach Angaben der britischen NGO Global Witness immerhin 2,8 Milliarden Dollar, sind fast völlig verpufft.

WIRD DER NORDSUDAN DIE ABSPALTUNG HINNEHMEN?

Für eine friedliche Abspaltung spricht, dass selbst ranghohe Vertreter des Nordens öffentlich immer häufiger davon sprechen, dass der Süden sich wohl für eine Sezession entscheiden werde. Auch Bashir selbst hat betont, er werde den Ausgang des Referendums im Süden respektieren. Vor wenigen Tagen sagte er in der südsudanesischen Hauptstadt Juba: „Ich persönlich werde traurig sein, wenn der Sudan sich spaltet. Aber ich werde froh darüber sein, wenn wir Frieden haben.“ Um Bashir eine Kooperation schmackhaft zu machen, hat US-Präsident Barack Obama ihm angeboten, Sudan nach einem friedlichen Verlauf des Referendums von der Liste der Unterstützer internationalen Terrors zu streichen. Auch Deutschland hat angekündigt, nicht nur dem Südsudan, sondern auch dem Norden bei der Bewältigung der neuen Situation helfen zu wollen.

Bashir ist trotz seines Siegs bei der ersten Mehrparteienwahl seit 24 Jahren im April 2010 nicht unangefochten. In seiner Partei NCP gibt es einige, denen sein milder Umgang mit dem Süden nicht passt. Sie empfinden Bashir zudem als Belastung, weil er ein internationaler Paria ist, seit der Internationale Strafgerichtshof 2009 einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat wegen Kriegsverbrechen und Völkermords in der westsudanesischen Krisenregion Darfur. Um seinen Kritikern entgegenzukommen, hat Bashir vor kurzem angekündigt, den Nordsudan zu einem Staat zu machen, dessen Gesetze in vollem Umfang auf der Scharia fußen.

WORÜBER GIBT ES NOCH STREIT?

Beide Seiten müssen sich über eine Vielzahl strittiger Fragen einigen. Es geht um die Staatsbürgerschaft für die rund eine Million Südsudanesen, die im Norden leben, und um den Status der rund zwei Millionen Nomaden, die ihr Vieh nach der Regenzeit jedes Jahr vom Norden in den Süden treiben, sowie eine weitere Million Nomaden, die den umgekehrten Weg gehen. Zudem muss die Aufteilung der Rohstoffe, vor allem der begehrten Ölquellen, endgültig geregelt werden. Die Kommission zur Festlegung der künftigen Staatsgrenzen konnte sich auch noch nicht auf einen endgültigen Grenzverlauf einigen. Umstritten sind die Heglig-Ölfelder in der Region Abyei, die von beiden Seiten beansprucht werden. Abyei hätte eigentlich ebenfalls am 9. Januar ein Referendum über die Frage abhalten sollen, ob die Region zum Norden oder zum Süden gehören will. Doch Nord und Süd konnten sich nicht auf die Modalitäten einigen. Auch die Provinzen Südkordofan und Blauer Nil sollen zu einem späteren Zeitpunkt darüber abstimmen, zu welchem der beiden Staaten sie gehören wollen. Südkordofan verfügt über Ölquellen, in der Provinz Blauer Nil ist der Zugriff auf das Nilwasser strategisch interessant.

Sudan fördert derzeit fast 500 000 Barrel (159 Liter) Öl pro Tag und ist damit der drittgrößte Ölproduzent in Schwarzafrika. 80 Prozent der Reserven von fast sieben Milliarden Barrel liegen dem Ölkonzern BP zufolge im Süden. Das Budget des Südsudans wird nach Angaben von Roba Sharamo vom Thinktank Institute for Security Studies in Nairobi zu 98 Prozent aus den Öleinnahmen gespeist, der Haushalt des Nordsudans zur Hälfte.

WIE STABIL IST DIE SITUATION NACH DER TEILUNG?

Obwohl es 2006 und 2008 bewaffnete Auseinandersetzungen mit einigen hundert Toten im Grenzgebiet gegeben hat, hält der Frieden bisher. Beide Seiten haben sich jedoch neu bewaffnet: Während der Süden alte Waffen aus der Ukraine kaufte, hat sich der Norden mit chinesischem Kriegsmaterial eingedeckt. Peking steht jedoch nicht mehr uneingeschränkt hinter Bashir. Dazu hat die schwindende Bedeutung des Öls beigetragen: Inzwischen erhält China nur noch rund sechs Prozent seines Rohöls aus dem Sudan. Neue Funde am Albertsee im benachbarten Kongo und in Uganda haben China zum Umdenken veranlasst. Auch würde China gerne den Zuschlag für den Bau einer fast 1500 Kilometer langen Pipeline vom Albertsee an die kenianische Küste und damit durch den Südsudan erhalten – und sich am Bau der damit verbundenen Straßen und Bahnlinien beteiligen. Auch dürften die zwischen Khartum und chinesischen Ölkonzern CNPC geschlossenen Verträge nachverhandelt oder gar gekündigt werden, vermutet Roba Sharamo. Das kann für den vom Öl abhängigen Süden Chance und Risiko zugleich sein. So oder so muss ein neuer Staat Südsudan seine Rolle in der Welt erst noch finden.

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Republik Sudan

Das größte Land Afrikas hat nach UN- Schätzungen rund 43,2 Millionen Einwohner. Davon leben etwa acht Millionen im Südsudan. Die Lebenserwartung liegt bei 58 Jahren (Männer) beziehungsweise 61 Jahren (Frauen). Im Nordsudan können etwa 60 Prozent der Menschen lesen und schreiben, im Süden sind es 15 Prozent.

Das Öl

Seit 1999 ist Sudan Ölexporteur. Die meisten Öllizenzen sind an den chinesischen Ölkonzern CNPC erteilt worden.

Deutsche Hilfe

In den Jahren 2009 und 2010 hat Berlin rund 335 Millionen Euro im Sudan ausgegeben. Rund 30 Millionen Euro flossen in den Staatsaufbau des Südsudans.

Von diesem Sonntag an bis zum 15. Januar stimmen rund vier Millionen registrierte Wähler des Südsudans darüber ab, ob ihr Land der erste neue Staat des 21. Jahrhunderts werden soll. Die Zustimmung dazu gilt als sicher. Nordsudan verliert etwa ein Drittel seines Staatsgebiets und zwei Drittel seiner Ölfelder. Der Südsudan ist ein ernsthafter Anwärter auf den Platz des am wenigsten entwickelten Staates der Welt.

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