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Politik: SPD: Die Partei entdeckt die Familie

Manche in der SPD werden es als bedenkliches Zeichen ansehen, dass Renate Schmidt ausgerechnet eine Publizistin lobt, die für ihre radikale Kritik an den "Achtundsechzigern" bekannt ist. "Die Erziehungskatastrophe.

Von Hans Monath

Manche in der SPD werden es als bedenkliches Zeichen ansehen, dass Renate Schmidt ausgerechnet eine Publizistin lobt, die für ihre radikale Kritik an den "Achtundsechzigern" bekannt ist. "Die Erziehungskatastrophe. "Kinder brauchen starke Eltern" heißt das Buch der "Zeit"-Journalistin Susanne Gaschke, das die stellvertretende Parteivorsitzende am Freitag im Willy-Brandt-Haus in Berlin vorstellte. Das muss ein Signal sein. Denn die Lobrednerin der neuen Streitschrift für den Mut zur Erziehung ist als Vorsitzende des SPD-Familienforums verantwortlich für den Leitantrag zur Familie, den das Präsidium der Partei an diesem Montag verabschieden will.

Nun teilt Renate Schmidt, wie sie bei der Buchvorstellung deutlich machte, die Radikalkritik der Autorin an dieser politischen Generation überhaupt nicht und bezeichnete sich selbst fröhlich als "Alt-Achtundsechzigerin". Der von ihr verantwortete Leitantrag aber vollzieht auf viel weniger plakative Weise genau jenen Bruch mit einer lange vorherrschenden politischen Kultur, den auch Susanne Gaschke anstrebt. Er bedeutet einen Wendepunkt im Verhältnis der SPD zur Familie, die Sozialdemokraten in den vergangenen zwei Jahrzehnten gern als eine aussterbende Lebensform hingestellt haben.

Wie der alte Familienbegriff der SPD aussah, lässt sich allein daran ermessen, dass der Leitantrag für den Parteitag im Herbst ursprünglich die Themen Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Familie gemeinsam abhandeln sollte. Die Bedürfnisse der Kinder hätten dann nicht im Mittelpunkt stehen können, alle Bemühungen um die Familie wären nur als ein Anhängsel der Gleichstellungspolitik erschienen.

Renate Schmidt, die ein ansteckend fröhlicher Mensch sein kann, freut sich herzlich darüber, dass die Familie endlich auch in ihrer eigenen Partei zu einer Aufgabe geworden ist, bei deren Behandlung die wichtigen Männer in den Gremien nicht mehr desinteressiert im Pressespiegel lesen. "Es gibt keine Arbeitsteilung, wonach die SPD nur für allein Erziehende, sozial benachteiligte Kinder und Stieffamilien zuständig ist und die Union sich um die Kernfamilie kümmert", findet die Bayerin. Dem sei die SPD mit dem Leitantrag ein bedeutendes Stück näher gekommen. Die Bedürfnisse der so genannten Kernfamilie sollen wieder im Mittelpunkt stehen, ohne dass die SPD dabei ihre Verpflichtung zur Hilfe für sozial Schwache vergessen will. Immerhin leben noch immer in drei viertel aller deutschen Familien Kinder mit ihren leiblichen Eltern zusammen - und die weitaus größte Zahl der jungen Menschen wünscht sich nichts anderes als genau diese Lebensform.

Nur erfahren gerade gut ausgebildete Frauen in Deutschland nach Meinung von Renate Schmidt, dass sie den Wunsch, einen Beruf auszuüben, und gleichzeitig Kinder zu haben, schlecht beziehungsweise gar nicht vereinbaren können. Dass am Verzicht auf Kinder sehr häufig die schlechte Betreuungssituation in der Bundesrepublik schuld ist, belegt die Familienpolitikerin, die selbst Mutter dreier Kinder ist und seit vierzig Jahren berufstätig ist, mit einem Vergleich: In all jenen europäischen Ländern, in denen relativ die meisten Frauen erwerbstätig sind, ist gerade deshalb auch die höchste Geburtenrate zu verzeichnen.

Auch bei der Art der Unterstützung, die ihre Partei künftig anstrebt, hat Renate Schmidt eine neue Herangehensweise durchgesetzt: Die finanzielle Förderung hat nach ihrem Eindruck in der Vergangenheit zu sehr im Vordergrund gestanden. Das Bedürfnis nach materieller Gerechtigkeit steht nun erst an zweiter Stelle, an erster die Bemühungen um ein besseres Betreuungsangebot für Kinder.

Die neue Wertschätzung der Familie, der ihr Leitantrag Rechnung tragen soll, hat für Renate Schmidt Gründe im gesellschaftlichen Umbruch: Das Bedürfnis nach einem festen Halt sieht sie in Zeiten der radikalen und schnellen Veränderung wachsen - und die Familie ist für sie ein solcher fester Ankerpunkt. "Ich bekenne mich dazu, dass ich bei der Familie zu den Wertkonservativen gehöre", sagt sie. Dazu gehört für sie auch die Forderung nach einer Steigerung der Geburtenrate als Ziel der Familienpolitik: "Wir müssen deutlich machen, dass wir ohne Kinder alt aussehen und dass es im Interesse aller Generationen ist, wenn es wieder mehr Kinder gibt."

Renate Schmidt, die sich seit 20 Jahren mit Familienpolitik beschäftigt, vergisst dabei auch nicht, dass sie Parteipolitikerin ist. Im Bundestagswahlkampf, so sagt die stellvertretende Parteivorsitzende voraus, wird das Thema Familie eine entscheidende Rolle spielen.

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