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Die Angeklagten Andreas Anschlag und seine Frau Heidrun betreten am 15.01.2013 einen Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in Stuttgart.

© dpa

Spionageprozess: Die letzten Agenten des KGB

In Stuttgart steht ein Agentenpaar vor Gericht. Die beiden sollen Deutschland und andere Nato-Staaten über 20 Jahre lang ausspioniert haben. Beauftragt wurden sie noch vom berüchtigten KGB. .

Heidrun und Andreas Anschlag geben sich keine Mühe, ihr Gesicht zu verbergen. Ernst zwar, aber sehr gefasst, ja schon kühl wirkend, betreten sie den Saal 18 im Untergeschoss des Oberlandesgerichts Stuttgart, lassen sich von den Wachtmeistern die Handfesseln abnehmen und blicken selbstbewusst um sich. Sie ist blond und trägt einen orangefarbenen Pullover mit V-Ausschnitt, ihr Ehegatte erscheint in einem dunkelblauen Pullover mit hellen Streifen. Seine Haare sind grau, das von ihm angegebene Alter, 53 Jahre, könnte durchaus stimmen. „Er sieht nicht gerade aus wie ein James Bond“, tuschelt jemand in den Zuhörerreihen.

Aber sehr wahrscheinlich gehörte das biedere Aussehen zum Erfolgsrezept des Mannes, der sein bürgerliches Auskommen als Spezialist für Spritzgießtechnik bei Automobilzuliefern hatte. Denn über 20 Jahre lang, so sieht es die Bundesanwaltschaft, arbeitete Andreas Anschlag als Agent in der Bundesrepublik, im Auftrag des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR. Und Heidrun Anschlag soll vor allem dem Auftrag nachgekommen sein, die beschafften Informationen an das Spionagesystem weiterzuleiten.

Das alles will jetzt der Staatsschutzsenat am OLG Stuttgart aufklären. Ein solches Verfahren ist auch für die Richter ungewöhnlich. Denn zuletzt war der  Senat vor 20 Jahren mit einer Spionageaffäre befasst. Zuständig ist Stuttgart deswegen, weil Andreas Anschlag 2011 im kleinen Dorf Dürrwangen bei Balingen festgenommen worden war, wo er einen zweiten Wohnsitz hatte.

Auf Kooperation der beiden Angeklagten kann der Senat nicht bauen. Schon vor dem Ermittlungsrichter reagierten sie mit Schweigen auf die Fragen, und auch gestern zum Auftakt des Prozesses ließen sie ihre Verteidiger ausrichten, dass sie keine Angaben machen werden. So wird sich das Gericht auf Indizien stützen müssen.

„Wenn Angeklagte schweigen, wird ein Prozess immer schwer“, sagte Bundesanwalt Rolf Hannich. Er kennt nicht einmal die genaue Identität des mutmaßlichen Spionagepärchens mit den  Decknamen „Pit“ und „Tina“. Nach dem gefälschten österreichischen Pass kam Andreas A. in Valentin Alsina bei Buenos Aires auf die Welt, seine Frau Heidrun nennt Lima als Geburtsort. Und angeblich haben sie im beschaulichen Altaussee in der österreichischen Steiermark den Bund der Ehe geschlossen, am 6. September 1990, wie eine gestern verlesene Urkunde bezeugt. Aber wie so vieles, was über den Lebenslauf der beiden Angeklagten Auskunft gibt, darf auch dieses Dokument mit Vorsicht betrachtet werden.

"Außerordentliche Sprachkenntnisse" und "ausgezeichnete Allgemeinbildung"

Es war noch zu Zeiten der Sowjetunion, als Heidrun und Andreas als angebliche österreichische Staatsbürger in die Bundesrepublik einreisten. Auftraggeber war, so die Bundesanwälte, der  berüchtigte Auslandsnachrichtendienst KGB, dessen Nachfolgeorganisation der russische SWR wurde. 1988 ließen sie sich bei der Meldebehörde der Stadt Aachen registrieren. Unter Vorlage der falschen Papiere studierte Andreas Anschlag Maschinenbau an der Hochschule Aachen und baute sich eine berufliche  Existenz auf. Arbeitgeber attestierten ihm „sehr gute analytische Fähigkeiten“, „außerordentliche Sprachkenntnisse“ und eine „ausgezeichnete Allgemeinbildung“.

Der Mann war für seine Unternehmen oft im Ausland. Dennoch muss er, so die Bundesanwaltschaft, Zeit genug gehabt haben, seine Auftraggeber in Moskau mit Informationen über die politischen und militärischen Angelegenheiten der Nato und der Europäischen Union zu bedienen. Der Spionagering interessierte sich sehr für das Verhältnis zwischen dem Westen und den ehemaligen Teilrepubliken Osteuropas und Asiens. Er wollte auch wissen: Was unternimmt die EU im Kosovo, was in Georgien?

Als wichtige Quelle für Informationen dieser Art fungierte offenbar ein Beamter im Außenministerium der Niederlande. Er soll, gegen ein Honorar von 72 000 Euro zwischen Oktober 2008 bis August 2011,  amtliche Dokumente aus unterschiedlichen Bereichen seines  Ministeriums und verschiedenen Botschaften seines Landes beschafft und per USB-Sticks an die Agenten weitergeleitet haben. Diese wiederum leiteten die Informationen an Moskau weiter – per Agentenfunk über Kurzwelle, über Satellit  oder auch über internetbasierte Kommunikationskanäle, die sie selbst „Linie D 1“ bezeichneten. Eine andere Methode war, so die Bundesanwälte, versteckte Botschaften als Kommentare zu Youtube-Videos zu übermitteln. So genannte „tote Briefkästen“ kamen auch zum Einsatz, eher eine  klassische Methode von Spionen. Andreas Anschlag stand, so wissen die Ankläger, im Range eines Abteilungsleiters und erhielt von SWR monatlich 4300 Euro Gehalt, seine Frau als stellvertretende Abteilungsleiterin 4000 Euro.

Im Sommer 2011, offenbar, nachdem in den USA ein russischer Agentenring um die später als "Agentin 00Sex" zu zweifelhaftem Ruhm gelangte Anna Chapman ausgehoben worden war, drohte Heidrun und Andreas Anschlag die Enttarnung. „Die Spionageabwehr hat bei uns funktioniert“, sagt Hannich. Die beiden wollten sich absetzen, aber gerade noch rechtzeitig griff die Anti-Terroreinheit GSG 9 zu: In Marburg-Michelbach, wo die Frau wohnte, und in Balingen. Die 21-jährige Tochter der beiden soll in Deutschland Medizin studieren und von der Tätigkeit der Eltern keine Ahnung gehabt haben. Raimund Weible

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