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Eine Moschee in Köln.

© dpa/Oliver Berg

Spionierende Imame aus der Türkei: Was geht vor in Deutschlands Moscheen?

Der türkische Staat lässt über von ihm entsandte Imame in Deutschland offenbar Anhänger der Gülen-Bewegung ausspionieren. Die Betroffenen sind geschockt.

Eine Kleinstadt in Rheinland-Pfalz am 9. Dezember 2016. An einer viel befahrenen Straße steht ein Einfamilienhaus. Ein groß gewachsener Mann öffnet die Tür. Er trägt eine Baseballkappe, seine Augen sind rot geschwollen. „Bitte. Kommen Sie herein. Hinten ist ein Raum, ganz ruhig. Dort können wir sprechen“, sagt er. Ein Raum, wo sonst vermutlich eine große Gästeschar empfangen wird: An drei Wänden stehen riesige Sofas mit orientalischen Stoffbezügen, neben der Tür sind Stühle aufeinandergestapelt.

Adnan B. nimmt seine Kappe ab. „Wir haben kein Auge zugetan seit Ihrem Anruf gestern Abend“, sagt er. „Ich bin 52 Jahre alt. Drei Kinder haben wir, eines ist behindert, natürlich machen wir uns Sorgen um unser Leben.“

Die Zimmertür geht auf, eine Frau kommt herein. Das türkische Willkommen „Hosgeldiniz“ kann sie nur flüstern, schon versagt ihre Stimme und die Tränen beginnen leise über ihre Wangen zu laufen. Auch ihre Augen sind geschwollen. „Seit unserem Telefonat hat meine Frau nur geweint“, sagt Adnan B.

Er möchte den Bericht sehen, in dem sein Name vorkommt. „Wir hatten uns schon gedacht, dass man über uns reden könnte. Trotzdem ist es ein Schock zu erfahren, dass man auf diese Weise etikettiert wird.“ Er schüttelt den Kopf: „Und solch einen Bericht schreibt ein Imam. Der Mensch, dem wir unsere intimsten Dinge anvertrauen: bei Geburten, bei Todesfällen, bei Kummer und Leid.“

Adnan B. ist einer von 46 Menschen, deren Namen als Gülen-Anhänger in Berichten auftauchen, die von türkischen Imamen aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nach Ankara gesandt wurden. Der türkische Vorbeter in seiner Gemeinde schrieb im Bericht über ihn: „Dieser Mann ist in unserem Bezirk die führende Person der FETÖ – der Fethullah Gülen Terrororganisation. Er stellt sein Haus für Gülen-Aktivitäten zur Verfügung, organisiert Feste für sie, sammelt Spenden und Opfergaben.“

Gülen-Anhänger werden denunziert

In einem mündlichen Bericht der nordrhein-westfälischen Landesregierung, der am 9. Februar in der Sitzung des Innenausschusses vom Landesverfassungsschutzpräsidenten Burkhard Freier vorgetragen wurde, wird festgestellt, dass Imame aus NRW 28 Personen und elf Institutionen als Gülen-Anhänger denunziert haben. An den Berichten seien 13 Imame und ein stellvertretender Religionskoordinator beteiligt gewesen. Und offenbar waren es die in den Konsulaten angestellten Religionsattachés, die die Erstellung der Berichte koordiniert haben.

Diese Vermischung religionspolitischer und staatlicher Aktivitäten würde zu der Verordnung passen, die die türkische Religionsbehörde Diyanet am 5. September 2016 in der Folge des gescheiterten Putschversuchs vom Sommer 2016 erlassen hatte. In Artikel 20 der Verordnung heißt es, dass „Bedienstete der Diyanet im Ausland dazu verpflichtet sind, über Aktivitäten von Gruppen wie der Gülen- Bewegung, der PKK und dem sogenannten Islamischen Staat, die als terroristisch bewertet werden, zu berichten.“ Dieser Artikel ist leicht als Aufforderung zur Informationsgewinnung und Übermittlung zu verstehen.

Es steht außer Zweifel, dass in Ditib-Moscheen tätige Imame Informationen über Gläubige der eigenen Gemeinden gesammelt und diese denunziert haben. Die Belege dafür liefert die türkische Religionsbehörde Diyanet höchstpersönlich: In einem offiziellen Schreiben vom 20. September 2016, das dem Tagesspiegel vorliegt, hat sie alle ihre Mitarbeiter aufgefordert, jede verfügbare Information über Aktivitäten, Einrichtungen und Unterstützer der Gülen-Bewegung zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Anschließend hat Diyanet die knapp fünfzig erstellten Berichte eigenhändig an den Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments weitergeleitet, der den Putschversuch in der Türkei untersucht und der deshalb ebenfalls um alle verfügbaren Informationen zur sogenannten „Fethullah Gülen Terrororganisation“ gebeten hatte.

Handlanger der Regierung

Willfährig hat sich das Amt, das sich eigentlich um Religionsangelegenheiten kümmern soll, zum Handlanger einer Regierung gemacht, die die Gülenisten als Hauptschuldige des gescheiterten Putschversuchs betrachtet und erbittert verfolgt.

Auch der Imam Ali S. hat einen, wenn auch knappen Bericht geliefert. Gar nicht zu reagieren, sich zu verweigern, das war für ihn nicht vorstellbar.

Nach dem Putschversuch in der Türkei erhielt Ali S. wie hunderte andere Staatsbeamte im Ausland die Order, nach Ankara zurückzukehren. Angesichts der Verhaftungs- und Entlassungswelle in der Türkei entschied er sich, in Deutschland zu bleiben. Auch Verwandte in der Türkei seien von „Maßnahmen“ betroffen – welche genau will er nicht sagen, er hat Angst, dass er und dadurch auch seine Familie erkannt werden. Wovor er sich konkret fürchtet? Er zieht vielsagend die Augenbrauen hoch.

Ali S. beantragte für sich, seine Frau und seine Kinder Asyl in Deutschland. Unter den Imamen, die zurückgekehrt seien, seien viele, die verhaftet oder entlassen wurden. Sie und ihre Familien seien nun mittellos. Noch nicht einmal in der Privatwirtschaft fänden sie Arbeit, weil sie als Anhänger der sogenannten „Fethullah Gülen Terrororganisation“ abgestempelt seien.

Die türkische Religionsbehörde Diyanet entsendet einen Vertreter nach Deutschland. Er nennt sich „Religionsrat“ und ist in der türkischen Botschaft in Berlin angesiedelt. Diese Person ist zugleich immer auch Vorsitzender der Ditib, des größten Islamverbands in Deutschland, das bedeutet, dass eine direkte institutionelle Verbindung zwischen Diyanet in der Türkei und Ditib in Deutschland besteht.

Auch die Religionsattachés der türkischen Konsulate, die ja das offizielle auffordernde Schreiben der Diyanet vom 20. September aus der Türkei bekommen haben, sind im Vorstand der Ditib hier in Deutschland vertreten. Den Religionsattachés wiederum sind die Imame, die in Ditib-Moscheen tätig sind, direkt unterstellt. Die türkischen Imame sind türkische Beamte und somit weisungsgebunden.

Folgt man nun der Ditib-Argumentation, dass der Verband selbst von den Spitzel-Aktivitäten der Imame in ihren eigenen Moscheen keine Kenntnis hatte, wirft auch das Probleme auf: Das würde bedeuten, dass die Imame ihre Berichte verfasst haben, ohne ihren örtlichen Arbeitgeber Ditib in Kenntnis zu setzen. Angesichts von fast 1000 theologischen Mitarbeitern in mehr als 900 Moscheen stellt das die Aufsichts- und Kontrollmöglichkeiten der Ditib infrage.

Auch der Imam Ali S. und sein Kollege Mahmut D. waren bis Dezember 2016 türkische Staatsbedienstete. Beide wurden sie von der Diyanet in die hiesigen Ditib-Moscheen entsandt, beide haben nun Asyl beantragt in Deutschland. „Gegen mich gibt es einen Haftbefehl“, erzählt Ali S. „Ein Verwandter von mir ist bereits in Haft“, fügt der 52-jährige Mahmut D. hinzu. Als sie noch in der Türkei lebten, haben sie jahrelang ehrenamtlich für Gülen-nahe Vereine gearbeitet. „Dafür wurden wir bis vor einigen Jahren hoch gelobt“, berichten sie. Seit dem Putschversuch ist diese Nähe ein Verhängnis. Die türkische Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den brutalen Putschversuch verantwortlich. Gülen ist vom einstigen Freund und geschätzten Weggefährten von Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP zum Staatsfeind Nummer eins mutiert. Die Bewegung gilt in der Türkei als terroristisch und wird FETÖ/PDY abgekürzt – – Fethullah-Gülen-Terrororganisation/Parallele Staatsstrukturen.

Tatsächlich steht der Prediger Gülen im Zentrum eines internationalen Netzes aus Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Dialogprojekten – tatsächlich fanden sich seine Anhänger in höchsten Ämtern und hierarchischen Strukturen des Landes. Welche Agenda Gülen in Wahrheit verfolgt, welche Interessen und Ziele den stets demütig und freundlich auftretenden Prediger tatsächlich leiten, weiß kaum jemand, geschweige denn, dass es belastbare Beweise gäbe, die die zigtausendfachen Verhaftungen in der Türkei ohne rechtsstaatliche Grundlage nachvollziehbar machten. Sein einstiger Verbündeter Erdogan wirft Gülen vor, den Staat in umstürzlerischer Absicht unterwandert zu haben, dieser weist das entschieden zurück und verweist auf seine starke Bildungsorientierung und mildtätigen Aktivitäten.

In Deutschland wird die Bewegung Gülens nicht als ausländische Terrorvereinigung eingestuft. Daher hegen die Imame Ali S. und Mahmut D. große Hoffnungen, dass ihre Asylanträge positiv beschieden werden. In der Türkei sehen sie für sich mit ihrer Nähe zu Gülen keine Perspektive mehr: Seitdem das Wahlrecht für Auslandstürken eingeführt wurde, sei auch die türkische Religionsbehörde stark politisiert worden, der Druck auf Diyanet, im Sinne der AKP-Regierung zu arbeiten, sei massiv. Von der Diyanet oder Ditib haben die beiden Imame nie eine direkte Anweisung zur Unterstützung der Regierungspartei AKP erhalten, aber der soziale Druck in ihrer Umgebung und Gemeinde sei spürbar. „Wir werden nicht offiziell verpflichtet, zu einer Kundgebung von Erdogan zu gehen, aber die Kollegen, die Mitglieder der Vereine schlagen vor, dass wir gemeinsam hingehen.“ Wer nicht mitgehe, werde misstrauisch beäugt. So funktioniere der „Druck der Nachbarschaft“, „mahalle baskisi“, ein sanfter Zwang, dem man sich besser nicht entziehe.

Ein Imam, der den Auslandsdienst antreten will, muss sich einer aufwendigen Prozedur unterziehen: Er muss fünf Jahre Berufserfahrung mitbringen, schriftliche und mündliche Prüfungen bestehen. Wenn dann ein Bedarf aus Deutschland gemeldet wird, kommen noch 200 Unterrichtsstunden Deutsch beim Goethe- Institut in Ankara hinzu. Vierzig Prozent der Kosten trägt das deutsche Auswärtige Amt. Cihan Yavuzyilmaz vom Goethe-Institut Ankara sagt, für die Sprachkurse werde international anerkannter Lehrstoff eingesetzt.

Ditib will sich nicht erklären

Wer den Deutschkurs erfolgreich abgeschlossen hat, nimmt an zweiwöchigen Orientierungskursen teil. Gesponsert von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara mit Referenten aus Deutschland. Von ihnen lernen die Imame etwas über die Strukturen ihres künftigen Gastlands, etwa das Bildungssystem oder das Vereinsrecht, weil Ditib ein Verein ist. Auch das Bild des Islam in den Medien wird in den Orientierungskursen thematisiert.

Solche Kurse helfen aber nicht weiter, wenn später in der Praxis zum Beispiel ein Urteil zum Schwimmunterricht oder zum Kopftuch eine Reaktion des Imams erfordert. In solchen Fällen müssen die Vorbeter Ankara fragen: Bindend für sie ist die Auslegung der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Der Hohe Religionsrat der Diyanet tage dann und gebe die offizielle Antwort, die auch in Deutschland vertreten werden müsse, sagt Abdullah Gümüssoy. Acht Jahre hat er in Deutschland als Religionsbeauftragter gearbeitet. Zurzeit ist er zuständig für die Ausbildung der Imame fürs Ausland.

Mitte Januar waren in Deutschland 906 Imame und 116 weibliche Religionsbeauftragte aktiv. Einige von ihnen sind wohl im Zuge der Spitzelaffäre abberufen worden, so heißt es zumindest in der Presseerklärung der Ditib vom 3. Februar. Ditib bezieht sich dabei auf Angaben der Diyanet, die ihre internen Untersuchungen zu den Vorwürfen abgeschlossen habe. Sie habe festgestellt, dass einige Imame ihre Verantwortung überschritten hätten, diese seien nach Ankara zurückbeordert worden. Namen der betroffenen Imame werden in der Erklärung nicht preisgegeben.

Eine Quelle der NRW-Landesregierung bestätigt, dass auch die Amtsperioden einiger Religionsattachés frühzeitig beendet worden sind. Nach dem mündlichen Bericht der Landesregierung aus der vergangenen Woche hat der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit gegen 16 namentlich bekannte Beschuldigte eingeleitet, das aktuell beim Bundeskriminalamt bearbeitet wird. Die Bundesanwaltschaft kommentiert das nicht..

Für den größten Islamverband Deutschlands Ditib ist die Spitzelaffäre lange nicht ausgestanden. Nach Aufforderung durch die NRW-Landesregierung lässt er seinen Platz im Beirat für den islamischen Religionsunterricht ruhen. Auch andere Bundesländer überprüfen ihre Zusammenarbeit mit Ditib. Vom einstmals geschätzten Partner in Fragen des islamischen Religionsunterrichts, der muslimischen Seelsorge, von Integrationskursen und Antiradikalisierungsprogrammen ist Ditib zu einem Dauerangeklagten geworden, der sich aber nicht recht erklären mag.

Adnan B. kann sich im Moment vieles nicht erklären. 30 Jahre lang ging der 52-Jährige für sein Freitagsgebet in die örtliche Ditib-Moschee. Seitdem er erfahren hat, dass sein Imam sein Privatleben in einen Bericht gepresst und nach Ankara geschickt hat, setzt er keinen Fuß mehr in das Gotteshaus.

Asli Sevindim, Elmas Topcu

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