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Politik: Spitzel ist nicht gleich Spitzel

Forscher streiten über Überwachungsapparat.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Verharmlost jemand, der die Zahl der inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter (IM) in Zweifel zieht, die Rolle der Geheimpolizei? Dieses Vorwurfs muss sich derzeit Ilko-Sascha Kowalczuk erwehren. Der Historiker hatte in seinem Buch „Stasi konkret“ hinterfragt, ob man Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), die als Betriebsleiter, Kaderleiter oder Parteisekretäre qua Amt der Stasi berichteten, in die IM-Statistik aufnehmen müsse. Oder IMK, die als IM „nur“ ihre Wohnung für Spitzeldienste zur Verfügung stellten.

Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen, hatte erkannt, dass dies nicht nur ein behördeninterner Streit war. Denn es berührte sensible Fragen der Vergangenheitsaufarbeitung. So siedelte er die Debatte in der Öffentlichkeit an: Am Dienstagabend diskutierten im Collegium Hungaricum Befürworter wie Kritiker mit Kowalczuk. Zumindest einen gemeinsamen Nenner fanden alle: IM ist nicht gleich IM, Spitzel nicht gleich Spitzel.

Kowalczuk verteidigte seinen Ansatz, die Logik der Stasi durchbrechen zu wollen. Denunziation müsse als gesellschaftliches Phänomen differenzierter und nicht nur unter dem Label Stasi betrachtet werden. Da kann ihm selbst der „Doyen“ der IM-Forschung an der Behörde, Helmut Müller-Enbergs, zustimmen: Zahlen könnten allenfalls ein Hilfsmittel sein, um Dimensionen zu verdeutlichen. Doch dass die Behörde auf die Anforderungen des Gesetzgebers reagierte und mithilfe der Akten sowie handhabbarer Kriterien diese Ausmaße erforschte, verteidigte er schon. Es sorge ihn, dass sich zum Beispiel Gregor Gysi, „der möglicherweise in den Akten als GMS ,Gregor’ genannt“ werde, sich vielleicht „herzlich bedanken“ würde.

Da freute sich Jens Gieseke vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, dass er nicht mehr der Behörde angehört: „Man kann doch Forschung nicht anhalten, weil das die Behörde in ihren Arbeitsabläufen stört.“ Klaus Schroe- der vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU wies darauf hin, dass „die Zahl der Spitzel unterschätzt wird, wenn man nur auf die IM schaut“. Die Verantwortlichkeit der SED und der Zusammenhang zwischen Stasi und anderen gesellschaftlichen Kräften werde zu wenig beachtet. Strategie der SED sei von Anfang an gewesen, die Stasi zum Sündenbock zu machen. Christian Booß, Projektleiter an der Jahn-Behörde, erinnerte daran, dass der Überwachungsapparat der Stasi größer war als der in anderen Staaten. Ein Grund dafür sei auch die besondere Situation der DDR an der Nahtstelle zwischen Ost und West gewesen. Matthias Schlegel

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