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Politik: "Spitzengruppe" soll EU nach vorn bringen - Balkan-Gipfel über Demokratie angeregt

Für das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten gibt es wieder eine neue Formel. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat am Dienstag in einem Grundsatzvortrag über die Zukunft der Europäischen Union ein Bild benutzt, das seinen Landsleuten gut vertraut ist: Wie bei der Tour de France solle eine "Spitzengruppe" schneller voranpreschen.

Für das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten gibt es wieder eine neue Formel. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat am Dienstag in einem Grundsatzvortrag über die Zukunft der Europäischen Union ein Bild benutzt, das seinen Landsleuten gut vertraut ist: Wie bei der Tour de France solle eine "Spitzengruppe" schneller voranpreschen. Damit klang das Konzept an, das die französische Regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr verfolgen will. Auf den EU-Föderationsplan von Bundesaußenminister Joschka Fischer ging Chirac nicht direkt ein. Aber die beiden Visionen über die Zukunft der EU schließen sich gegenseitig nicht vollkommen aus.

Nach Chiracs Ansicht hat es bereits zwei mustergültige Beispiele gegeben, wie sich "Spitzengruppen" der EU-Staaten auf der internationalen Bühne hervorgetan haben: das Eurokorps, das kürzlich im Kosovo das Kommando der internationalen Kfor-Truppe übernommen hat, und die britisch-französische Verteidigungsinitiative, die beim bilateralen Gipfel in Saint-Malo im Dezember 1998 beschlossen worden war.

Zugleich schlug Chirac ein Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und den Balkanstaaten vor. Bei einem solchen Treffen müsse den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens signalisiert werden, dass sie eines Tages der EU angehören könnten - wenn sie demokratische und marktwirtschaftliche Reformen umsetzen. Die Union sei "die einzige Macht, die der Region einen Rahmen für Frieden und Stabilität" bieten könne. Die EU müsse auf dem Balkan eine "entschlossene Strategie" verfolgen, was auch eines der wichtigen Ziele der im Juli beginennden französischen Ratspräsidentschaft sein werde.

Auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik zeigte Chirac zwei weitere Schritte auf: Einerseits erinnerte er die Teilnehmerstaaten der EU-Krisenreaktionskräfte daran, bis zum Jahresende die Stärke ihrer Kontingente anzumelden, zum anderen brachte er eine weitere Einsatztruppe für den nördlichen Mittelmeerraum ins Gespräch.

In seiner halbstündigen Rede im Elysée-Palast entwickelte Chirac eine "europäische Vision der Welt". Die EU müsse die Außen- und Verteidigungspolitik vorantreiben, um auf der Grundlage des Bürgerwillens ein "starkes Europa auf der internationalen Bühne" zu errichten. Die Verwirklichung werde weit über die halbjährige EU-Präsidentschaft Frankreichs hinausreichen, aber sie sei "notwendig" und "unvermeidlich".

Nach einer Reverenz an die USA, die im 20. Jahrhundert zwei Mal an der Seite der Franzosen "die Tyrannei" bekämpft hätten, machte Chirac deutlich, dass die neuen europäischen Verteidigungsinitiativen durchaus auch zu einer stärkeren Abgrenzung von Washington führen können. Deutlicher als die Regierungen in Berlin und London kritisierte er die Planungen für den neuen US-Raketenschutzschild. Das Vorhaben Washingtons drohe "die Bemühungen um die Rüstungskontrolle zu schädigen" und könne einen neuen "Rüstungswettlauf" heraufbeschwören. Der zwischen Washington und Moskau bestehende ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen dürfe nicht in Frage gestellt werden.

Martin Alioth

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