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Griechenland

© dpa

Staatsschulden: Griechisches Weinen

Jeder vierte Arbeitnehmer ein Staatsdiener, Rente mit 50 – damit ist Schluss. Athens Regierung will drastisch sparen, um Land und Euro zu retten. Die Gewerkschaften aber machen nicht mit. Sie haben für heute zum Generalstreik gerufen.

Oben in den hohen Bäumen sitzen Vögel und singen, unten wechseln Buschwerk und idyllische Lichtungen. Der Nationalgarten ist eine Oase inmitten der lauten, dreckigen Betonwüste von Athen. Es ist grün hier und ruhig – abgesehen von den Vögeln und den aufgeregten Stimmen alter Männer, die durch die Hecken dringen. Jeden Tag versammeln sich die Rentner und Pensionäre auf dem runden Platz, um die Probleme des Landes zu diskutieren. Die meisten haben sich fein gemacht, tragen Anzug und Krawatte, wie die Abgeordneten im Parlament. Sie nennen sich „mikri vouli“, kleines Parlament, und viele ihrer Sätze beginnen mit „Also, wenn ich Ministerpräsident wäre …“

Gerade ist der alte Nektarios dran. „Am Ende wird uns Brüssel den Euro wieder abnehmen“, jammert er. Nektarios ist 75 Jahre alt. Er war mal Bahnhofsvorsteher, aber das ist lange her. Seit 20 Jahren schon ist er Rentner. Viele Staatsdiener können bisher mit Anfang 50 schon in Pension gehen. Ein anderer der Alten greift in seine Brieftasche, zieht einen Tausenddrachmenschein hervor und wedelt damit herum. „Den hier werde ich noch brauchen“, sagt er. Nach dem Kurs von 2001, als die Griechen der Euro-Währungsunion beitraten, sind 1000 Drachmen knapp drei Euro wert ist. Zu Hause habe er weitere Millionen von Drachmen, er habe dem Euro nie vertraut! Der alte Sakis schwingt seinen Spazierstock in die Luft. „Da drüben sitzen die Diebe, denen haben wir das Desaster zu verdanken“, ruft er. Da drüben – wo das Dach des Parlamentsgebäudes hinter den Baumkronen des Nationalgartens auftaucht. Die anderen pflichten ihm bei: „Nutzlose Schufte!“, „Man sollte sie alle davonjagen!“

Doch Rentner Panagiotis stimmt nicht ein. Er sagt: „Wenn es einer schaffen kann, uns da raus zu holen, dann ist es der Giorgos.“ Giorgos meint Giorgos Papandreou, 58, den Ministerpräsidenten. Und „da raus“ meint die größte Krise, in der Griechenland je steckte: Das griechische Haushaltsdefizit ist angewachsen auf fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Staatsschulden belaufen sich auf nahezu 272 Milliarden Euro, das entspricht 113 Prozent der Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres. Rekordwerte in der Europäischen Union sind das, und da hinein strahlen sie auch aus: Das griechische Finanzdesaster beschädigt den Euro, der an Wert verliert, es erschüttert die Fundamente der Währungsunion. Deshalb will die EU gegensteuern: mit harten Sparauflagen und verschärften Kontrollen. Noch nie hat die EU ein Land derart fremdbestimmt.

Das gab auch der griechische Regierungschef zu: „Ich kann es nicht verschweigen: Man hat uns ein Stück unserer Souveränität genommen.“

Papandreou, der sich mit täglichen Besuchen im Fitnessstudio in Form hält und Fahrrad fährt, gilt als integer – eine unter griechischen Politikern seltene Tugend. Außerdem verkündet er nicht nur mit ernster Miene im Fernsehen Sparbeschlüsse, er lebt die neue Bescheidenheit auch vor: den dicken Dienstwagen seines konservativen Vorgängers Kostas Karamanlis hat er ausrangiert und fährt stattdessen einen kleinen Toyota, auf Auslandsreisen fliegt er, wann immer möglich, mit Linienmaschinen. Außerdem kann er stur sein. „Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat“, sagt einer seiner engen Freunde, „zieht er das auch durch.“ In diesem Fall sind das: Rentenreform, Gehaltskürzungen für Staatsdiener – und das ist in Griechenland jeder vierte Arbeitnehmer – und höhere Steuern.

Noch nie seit dem Ende der Obristendiktatur hat ein griechischer Regierungschef – und dann noch ein Sozialist – seinen Landsleuten so massive Einschnitte zugemutet. Die Taxifahrer haben schon dagegen gestreikt, ebenso die Zollbeamten, die Finanzbeamten. Für den heutigen Mittwoch haben die großen Gewerkschaften zum Generalstreik geblasen. Der Ausstand gilt als wichtige Kraftprobe. Doch die Mobilisierung der Massen ist nicht ganz einfach. Ein Streik? Ausgerechnet jetzt? Wo alle mit den Fingern auf die verwöhnten Griechen zeigen, die mit ihrer Disziplinlosigkeit und falschen Zahlen die europäische Währung gefährden?

In einer Umfrage vom Wochenende sprachen sich acht von zehn Befragten gegen Streiks aus. Gute Nachricht gab es dagegen für Papandreous sozialistische Pasok-Partei: Sie kam auf 48 Prozent – vier Punkte mehr als bei der Parlamentswahl vom Oktober, bei der sie die Macht übernahm. Vielleicht liegt das daran, dass die Griechen erst wenig von dem Sparprogramm spüren. Vielleicht aber auch daran, dass sie ihrem Premier vertrauen, der erst seit fünf Monaten regiert. Papandreou zählt zu den Guten, was nicht ohne Ironie ist, denn sein Vater Andreas war es, der als Premier in den 80er Jahren hemmungslos Wahlgeschenke an seine Klientel verteilte und damit jene Schuldenspirale in Gang setzte, die der Sohn, der in den USA zur Welt kam und in Stockholm, Massachusetts und London studierte, nun anhalten soll.

Deshalb sitzt Giorgos Papandreou in diesen Tagen spät in seinem Büro im Regierungsviertel, auf das der Gehstock des Rentners Panagiotis zeigt. Oft geht es auf Mitternacht zu, wenn hinter den Fenstern der klassizistischen Villa Maximos an der Athener Herodes-Atticus-Chaussee noch Licht brennt. Mitunter tagt das Kabinett sogar Sonntagabends. Und wenn die Fenster dunkel sind, ist der Regierungschef wahrscheinlich im Ausland.

In den vergangenen vier Wochen warb Papandreou beim Weltwirtschaftsforum in Davos und im fernen Indien, in Paris, Moskau und London um Vertrauen und politischen Beistand für sein angeschlagenes Land. Doch das sind nur Etappen einer viel größeren, mythischen Reise: Wie der vom Dichter Homer verherrlichte Sagenheld Odysseus, der nach seinem Sieg über Troja erst nach einer langen Irrfahrt seine Heimatinsel Ithaka erreichte, befinde sich Griechenland auf einer Odyssee, erklärte Papandreou gerade erst im Kabinett: „Und wir wissen nicht, welche Gefahren uns auf dem Weg zu unserem Ithaka erwarten.“

Auf der Hermes-Straße, der beliebtesten Einkaufsmeile Athens, ist derweil von Gefahr keine Spur. Außer, dass ein schwarzer Porsche Cayenne durch die Fußgängerzone rollt. Am Steuer sitzt ein junger Mann – vielleicht einer jener Barbesitzer, die dem Finanzamt im Durchschnitt Monatseinkommen von 434 Euro melden? Oder einer der Ärzte, die für einen Hausbesuch 150 Euro kassieren, aber Jahreseinnahmen von weniger als 10 000 Euro deklarieren? Steuerhinterziehung gilt in Griechenland nicht als verwerflich, man ist im Gegenteil stolz drauf, wer zahlt, gilt als Depp.

Dieses Lebensgefühl und Staatsverständnis eint die Polit-Clans, zu denen auch die Papandreous gehören, die sich in Griechenland seit Jahrzehnten an der Macht ablösen. Über Generationen hinweg haben sie ein dichtes Netz von Klientelbeziehungen, Gefälligkeiten und Abhängigkeiten geknüpft, dessen Ziel die Ausbeutung des Staates ist. Vetternwirtschaft und Korruption lähmen das Land und verhindern die politische Erneuerung. Steuerprüfungen besteht man mit einem „fakelaki“, wie der mit Geldscheinen gefüllten Umschlag heißt, den man einem Beamten zusteckt, wenn man sein Anliegen fördern will, oder dem Arzt in einer der staatlichen Kliniken überreicht, wenn man nicht endlos lange auf einen Operationstermin warten möchte. Über eine Anstellung im Staatsdienst entscheiden Beziehungen, nicht Qualifikation. Wer nicht vernetzt ist, hat keine Chance.

Nicht nur immer mehr Jugendliche revoltieren gegen das verfilzte System. Auch Premier Papandreou weiß, dass in diesen Strukturen die Ursache der akuten Krise liegt. Er mahnt deshalb seine Landsleute: „Entweder wir ändern uns, oder wir gehen alle miteinander unter.“

Ende des Monats werden die Griechen anfangen zu spüren, was mit dem Sparprogramm gemeint ist. Dann bekommen die Staatsbediensteten ihre Gehaltsabrechnungen. Und die Beamten sind nur die Ersten, die künftig mit weniger auskommen müssen. Die Kürzungen im öffentlichen Dienst werden auf die Tarifabschlüsse in der Privatwirtschaft abfärben. „Wir sind absolut entschlossen, dieses Sparprogramm buchstabengetreu umzusetzen, bis ins letzte Detail“, hat Papandreou angekündigt – und die Zeitung „Eleftherotypia“ gab ihren Lesern schon mal den Rat: „Verabschiede dich von dem Griechenland, das du bisher kanntest!“

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